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Kabinettssitzung.

© dpa/Kay Nietfeld

„Jetzt offiziell abgehakt von der Ampel“: Kritik an fehlender Parität im Bundeskabinett nach Entscheidung für Pistorius

Nach dem Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht wird der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius ihr Nachfolger. So reagieren die Ampelvertreter und die Opposition.

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Nach dem Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht wird der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (beide SPD) ihr Nachfolger. Die Reaktionen der aus der Ampel-Koalition fielen dabei vorwiegend positiv aus. Auch erste Stimmen aus Bundeswehrkreisen fanden eher lobende Worte. Kritik gab es vor allem an der nicht mehr eingehaltenen Parität im Kabinett.

Schon bevor Bundeskanzler Olaf Scholz (ebenfalls SPD) die Nachfolge im Verteidigungsministerium bekannt gab, pochten die SPD-Frauen auf Geschlechterparität in der Ampel-Regierung. „Eine Gesellschaft, die zu über 50 Prozent aus Frauen besteht, muss sich auch im Kabinett widerspiegeln“, sagte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, Maria Noichl, der „Rheinischen Post“ vom Dienstag. „Fifty-fifty muss weiter gelten. Dafür steht die SPD.“

Nun ist es aber ein Mann geworden: Pistorius sei ein „herausragender Politiker“, erklärte Scholz am Dienstag. „Pistorius ist ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltungserprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik beschäftigt und mit seiner Kompetenz, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem großen Herz genau die richtige Person ist, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen“, erklärte er weiter.

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Noch im November 2020 hatte Scholz versprochen, ein von ihm geführtes Kabinett werde „mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt“. Bisher hatten acht Männer und acht Frauen Posten im Kabinett der Bundesregierung inne, nun werden es neun Männer und sieben Frauen sein – der Kanzler selbst nicht mitgezählt. Dass die SPD nun von der Parität abweicht, sorgt auch für Kritik aus den Reihen der Regierungspartner.

Grüne pochen auf Parität im Kabinett

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge pocht grundsätzlich darauf, an einer paritätischen Besetzung des Bundeskabinetts mit Frauen und Männern festzuhalten. „Unsere Auffassung ist es, dass im Jahr 2023 ein Kabinett paritätisch besetzt sein sollte“, sagte Dröge am Dienstag in Berlin.

Dröge sprach dem Nominierten gleichwohl „viel Erfahrung“ und „viel Kompetenz“ zu. Sie fügte aber hinzu, es gebe auch genug Frauen, die für die Leitung des Verteidigungsministeriums gut qualifiziert seien. Aus Sicht der Grünen sei „eine paritätische Besetzung des Kabinetts extrem wichtig“, hob Dröge hervor. Von ihrer eigenen Partei werde dieser Grundsatz für die Grünen-Ministerinnen und -Minister ja auch eingehalten.

Grünen-Chef Omid Nouripour erklärte am Dienstag: „Wir Grüne werden stets unseren Beitrag zur Parität leisten – auch im Kabinett.“ Er begrüßte allerdings die „schnelle“ Nachfolgeregelung und wünschte dem designierten Verteidigungsminister „viel Erfolg“.

Kritik an der Entscheidung kam auch von Linken-Chefin Janine Wissler. „Mit der Benennung von Boris Pistorius verabschiedet Scholz sich von der Parität innerhalb der Ampel-Regierung“, sagte die Politikerin dem Nachrichtenportal „t-online“ am Dienstag. Es bleibe abzuwarten, wie weit es dem SPD-Politiker gelingen werde, „die Unterwanderung der Bundeswehr durch Netzwerke und Gedankengut von Rechtsaußen zurückzudrängen und konsequent zu bekämpfen“, sagte Wissler weiter. 

Offenbar wurde – so wie von Konservativen gefordert – nun nach fragwürdigen Qualifikationen statt Geschlecht besetzt. Damit verabschiedet sich die Bundesregierung auch von ihrem Wahlversprechen eines paritätisch besetzten Bundeskabinetts.

Heidi Reichinnek, Bundestagsabgeordnete der Linke

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek sagte: „Offenbar wurde – so wie von Konservativen gefordert – nun nach fragwürdigen Qualifikationen statt Geschlecht besetzt. Damit verabschiedet sich die Bundesregierung auch von ihrem Wahlversprechen eines paritätisch besetzten Bundeskabinetts.“ Reichinnek kritisierte zudem Pistorius „Law-and-Order-Politik“ als Innenminister in Niedersachsen.

Auch der Militärexperte Carlo Masala zeigte sich enttäuscht, dass „die Chance nicht genutzt wurde, zu einem etwas größerem Umbau, der auch die Parität im Blick gehabt hätte“. Er hoffe, dass dies im Februar passiere.

Kritik aus der Union

„Parität ist jetzt offiziell abgehakt von der Ampel“, sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zu der Nominierung von Pistorius. Er sei aber „offenkundig nicht die erste Wahl“, sagte der CSU-Chef. Mit der Wehrbeauftragten des Bundestages, Eva Högl, hätte eine Kennerin der Truppe zur Verfügung gestanden, erklärte er.

Aus der Union im Bundestag kam ebenfalls Kritik an der Personalie. „Der Bundeskanzler zeigt damit, dass er seine eigene Zeitenwende nicht ernst nimmt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU), der Deutschen Presse-Agentur. „Erneut spielen Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle“, kritisierte Wadephul.

Bei der Personalie handle es sich um eine „Besetzung aus der B-Mannschaft“. Damit sei Kanzler Scholz „eine echte Überraschung gelungen. Nur leider keine gute.“ Um die Bundeswehr voranzubringen, brauche es nicht nur Geld, sondern auch Sachverstand. „Angesichts der Lage wird Boris Pistorius keine 100 Tage Einarbeitung haben können“, betonte Wadephul.

SPD-Spitzendpolitikerinnen schweigen zur Parität

Die ehemalige Justizministerin und heutige Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Katarina Barley (SPD), bezeichnete Pistorius als „einen unserer Besten“. Auch Franziska Giffey (SPD) lobte die Entscheidung. Pistorius kenne die Bundeswehr von innen und habe das Vertrauen der Sicherheitskräfte. „Er hat Wehrdienst gelistet und weiß, worum es bei seiner Aufgabe geht“, so die regierende Bürgermeisterin von Berlin. Die mit der Benennung nicht mehr gewährleistete Parität im Kabinett kommentierten beide nicht.

SPD-Chef Lars Klingbeil hingegen betonte, dass die Frage der Parität von Männern und Frauen weiterhin wichtig bleibe – dem Bundeskanzler und der SPD-Spitze. „Aber wir hatten jetzt in den vergangenen Tagen in einer konkreten Personalfrage zu entscheiden. Und Boris Pistorius ist der richtige für diesen Job – und danach haben wir entschieden.“

Lob von Finanzminister und Vize-Kanzler

Die Partner der SPD in der Ampel-Koalition lobten die Personalie. Finanzminister Christian Lindner gratulierte Pistorius umgehend. In einem Tweet sprach der FDP-Chef von seinem „neuen Kabinettskollegen Boris Pistorius“. „Vor allem mit der Umsetzung des Sondervermögens liegt eine große Aufgabe vor uns“, schrieb er. Er freue sich auf eine gute Zusammenarbeit von Finanz- und Verteidigungsministerium.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr lobte die Entscheidung ebenfalls. „Ich bin davon überzeugt, dass er der richtige Mann für das Amt des Verteidigungsministers ist“, sagte er dem Nachrichtenportal t-online. Er kenne ihn aus seiner Zeit im niedersächsischen Landtag und habe ihn als Innenminister dort stets geschätzt.

„Herr Pistorius hat langjährige Erfahrung mit der Struktur unserer Sicherheitsbehörden, zudem war er selbst bei der Bundeswehr. Ich bin davon überzeugt, dass er der richtige Mann für das Amt des Verteidigungsministers ist und die Zeitenwende mit Leben füllen kann“, sagte Dürr.

Boris Pistorius ist ein sehr erfahrener Politiker, der in schwierigen Situationen über die nötige Nervenstärke verfügt.

Robert Habeck (Grüne); Wirtschafts- und Klimaschutzminister

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) begrüßte die Ernennung des Niedersachsen. „Boris Pistorius ist ein sehr erfahrener Politiker, der in schwierigen Situationen über die nötige Nervenstärke verfügt.“

Pistorius übernehme das Verteidigungsressort „in sehr entscheidenden Zeiten“. „Es sind auch kurzfristig wichtige Entscheidungen zu treffen, insbesondere die drängende Frage, wie wir die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung weiter unterstützen. Deutschland trägt hier eine Verantwortung und muss große Aufgaben bewältigen“, erklärte Habeck.

Verband begrüßt Wahl eines Reservisten

Der Reservistenverband der Bundeswehr begrüßt die Entscheidung, Pistorius zum neuen Verteidigungsminister zu berufen. „Er ist durchsetzungsfähig und hat sich bisher schon intensiv mit den Sicherheitsfragen unseres Landes beschäftigt“, sagte der Verbandspräsident Patrick Sensburg der „Rheinischen Post“.

Der Verband freue sich, dass nun ein Reservist an der Spitze des Ministeriums stehe, der schon lange gute und intensive Kontakte zur Reserve in Niedersachsen habe. „Boris Pistorius ist ein erfahrener Innenminister und kennt Menschenführung“, betonte Sensburg. „Ich bin mir sicher, dass er sich schnell in die verteidigungspolitischen Details einarbeiten wird.“ Mit der Entscheidung für Pistorius hebelt Scholz seinen eigenen Anspruch aus, seine Ministerriege paritätisch zu besetzen.

Lambrecht hatte am Montag nach gut einem Jahr im Amt ihren Rücktritt erklärt. In den vergangenen Tagen waren mehrere andere Namen als mögliche Nachfolger genannt worden, darunter Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, SPD-Chef Lars Klingbeil und die Wehrbeauftragte Eva Högl. Pistorius war nun eine Überraschung. Der niedersächsische Innenminister gilt als erfahrener Polit-Manager. Im Kreis der Innenminister von Bund und Ländern hat sich Pistorius in den vergangenen Jahren einen Ruf als kenntnisreicher Fachpolitiker erworben.

Pistorius wurden immer wieder Ambitionen für ein politisches Amt auf Bundesebene nachgesagt. Es gab beispielsweise Gerüchte, er könnte Bundesinnenminister werden, falls Nancy Faeser bei der Landtagswahl in Hessen als Spitzenkandidatin für die SPD antreten sollte.

Lambrecht hinterlässt Pistorius eine ganze Reihe von Baustellen. So steht die Modernisierung der Bundeswehr unter anderem mithilfe des 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens erst am Beginn. Bisher wurden erst Verträge über gut zehn Milliarden Euro geschlossen. Die Aufrüstung hatte Kanzler Scholz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar vergangenen Jahres verkündet. (Tsp mit dpa)

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