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Die Grünen-Politikerin Rebecca Harms war 15 Jahre Europaabgeordnete

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Rebecca Harms verlässt EU-Parlament: „Da fließen jetzt öfter Tränen“

Anti-Atom-Proteste im Wendland und Pro-Europa-Demos auf dem Maidan: Die Grünen-Politikerin Harms blickt auf ein bewegtes politisches Leben zurück.

Dass sie mittlerweile sogar im Museum zu besichtigen ist, findet Rebecca Harms dann doch ein bisschen schräg. Genau 40 Jahre ist es her, dass sich hunderte Landwirte mit ihren Treckern aus dem Wendland aufmachten, um gegen den Beschluss der niedersächsischen Landesregierung zu demonstrieren, ein Atommülllager in Gorleben zu errichten. Harms war eine der zentralen Akteurinnen bei den Protesten, die zum Erfolg der Anti-Atom-Bewegung in Deutschland beitrugen. In Hannover widmet sich gerade eine Ausstellung dem Thema.  „Ich musste schlucken, als ich merkte, wie lange mich das umtreibt“, sagt die Grünen-Politikerin.

Heute ist Harms 62 Jahre alt. Nach 15 Jahren im Europaparlament beendet sie ihre politische Karriere, zur Wahl am Sonntag tritt sie nicht mehr an. Bei den Grünen hat sie vieles erreicht: Sie war Spitzenkandidatin und Fraktionschefin, im Landtag von Niedersachsen ebenso wie in Europa.

Mit ihr geht ein Typ Politikerin, der bei den Grünen seit dem Generationswechsel an der Spitze seltener wird. Viele jüngere Parteimitglieder kennen die Auseinandersetzungen um Castor-Transporte mit radioaktivem Müll, gegen die Harms auf die Straße ging, allenfalls aus Erzählungen. Es gibt aber noch einen zweiten Faden, der sich durch ihr politisches Leben zieht: Harms hat sich wie sonst niemand im Europaparlament dafür eingesetzt, EU und Ukraine näher zusammenzubringen. Weggefährten sagen, mit ihrem Ausstieg breche da etwas weg.

Die Wohnung in Brüssel ist aufgelöst, letzte Termine stehen an, unter anderem ein Abstecher nach Berlin. In der Sankt-Matthäus-Kirche soll Harms eine Kanzelrede zu „Umbrüchen“ halten - eine Thema, das auch zu ihrer Situation passt. Vorher nimmt sie sich Zeit für ein Gespräch in einem Café.

In der grünen Europafraktion fühlte Harms sich zunehmend heimatlos

Den Rückzug aus dem EU-Parlament hatte Harms schon vor einem Jahr beschlossen – und dies auch mit zunehmender politischer Heimatlosigkeit in der europäischen Grünen-Fraktion begründet. Sie könne deren Entscheidungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der Handelspolitik und der Flüchtlingspolitik immer weniger mittragen, schrieb sie damals. In der Mitte der Wahlperiode hatte sie außerdem den Fraktionsvorsitz an die jüngere deutsche Kollegin Ska Keller abgegeben. Sie wollte nicht riskieren, abgewählt zu werden.

Geht sie nun mit Verbitterung aus dem Europaparlament - oder doch eher mit Wehmut? Harms sagt, es falle ihr „wahnsinnig schwer“, Abschied zu nehmen von ihrer Arbeit und den Möglichkeiten, die sie als Abgeordnete hatte. Seien es die regelmäßigen Reisen in die Ukraine („Da fließen jetzt öfter Tränen“) oder die Treffen, die sie als Vorsitzende einer Versammlung von EU-Abgeordneten mit Kollegen aus fünf osteuropäischen Nachbarschaftsländern organisierte. Aber auch die  Reisen in die Türkei, um befreundete Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zu unterstützen („Ich weiß nicht, ob das ohne Diplomatenpass noch funktioniert“).

An der Seite der Europabefürworter auf dem Maidan

Als sich 2004 in der Ukraine die Orangene Revolution anbahnte, wurde Harms ins Europaparlament gewählt. Im Winter 2013/2014 stand sie in Kiew auf dem Maidan an der Seite derer, die für eine engere Anbindung ihres Landes an die EU kämpften. Mit ihrem Eintreten für die Revolutionsbewegung machte sie sich nicht nur Freunde. Sie sei zu unkritisch gegenüber rechten Nationalisten, musste sie sich anhören. Die Unterstellung, ihre proukrainische Haltung sei antirussisch, ärgert Harms: „Meine Kritik an Putin geschieht aus Zuneigung zu Russland, das besseres verdient als einen Präsidenten, der Krieg gegen Nachbarländer führt", sagt sie.

Zuletzt war Harms etwa einmal im Monat in der Ukraine, sie hat sich dort ein breites Netzwerk in der Zivilgesellschaft und Politik aufgebaut. Die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine im Herbst 2014 sei eine der wichtigsten Entscheidungen gewesen, an denen sie im EU-Parlament mitgewirkt habe, sagt sie. Eine amerikanische Stiftung mit Sitz in Washington hat ihr angeboten, nach dem Ausstieg aus der Politik in Kiew die Leitungen eines großen Büros zu übernehmen, doch Harms sagte erstmal ab: „Das ging mir zu schnell.“ Das heißt nicht, dass sie nicht auch wieder stärker im Land aktiv werden will. In den letzten Weihnachtsferien hat sie einen Intensivkurs Ukrainisch belegt, ihre Kenntnisse will sie weiter vertiefen. Doch nach der dicht getakteten Zeit im Parlament wolle sie erstmal ausschlafen, Abstand gewinnen, nachdenken und die Bücher lesen, die sie zu Hause im Wendland angesammelt hat, sagt sie.

Ihr Wissen über Atommüll will sie an die nächste Generation weitergeben

Und dann ist da ja auch immer noch die Atomfrage. Momentan arbeitet Harms gemeinsam mit Wissenschaftlern an einem Bericht zum Stand der Endlager in acht Atom-Ländern, nach dem Sommer soll er fertig sein. Bisher gebe es keine Daten, die Vergleichbarkeit darüber gewährleisten, wie viel Müll welcher Kategorie oder welche finanzielle Vorsorge die Länder hätten. „Für Deutschland kommt der Bericht zu einem wichtigen Zeitpunkt“, ist Harms überzeugt – jetzt, wo mit der neuen Suche nach einem Endlager auch klar werde, dass die nächste Generation die Lösung übernehmen müsse. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen will sie deshalb weiter geben.

Noch immer trifft sie sich mit den Mitstreitern von damals, mit denen sie als Anfang 20-jährige die Bürgerinitiative und die „Freie Republik Wendland“ gründete, ein Hüttenlager im Wald, von dem aus die ersten Erkundungsarbeiten des Salzstocks verhindert werden sollten. In der „Gartower Runde“ geht es im Prinzip auch heute noch um die Frage, wie sich Gorleben verhindern lässt. Die Diskussion ist wieder neu in Gang gekommen, spätestens seit eine Bundestags-Kommission ein neues Verfahren zur Endlagersuche vorgeschlagen hat und die Bundesgesellschaft gegründet wurde, die nun einen geeigneten Standort finden soll.

Jahrzehntelanger Kampf gegen ein Endlager Gorleben

Dass nach den jahrzehntelangen Kämpfen um Gorleben der Suchprozess neu begonnen werden soll, ist für Harms ein Erfolg  – auch wenn sie die Enttäuschung vieler in der Region teilt, dass der Salzstock immer noch nicht von der angeblich weißen Landkarte gestrichen wurde. „Lange habe ich mir nicht vorstellen können, dass wir einen Neustart mitgestalten könnten“, sagt Harms. Die Proteste im Wendland seien auch deshalb so erfolgreich gewesen, weil die Beteiligten damals nicht in erster Linie die Konfrontation gesucht hätten, sondern Mehrheiten gegen die Atomwirtschaft überzeugen wollten.

Am Ende, davon ist Harms überzeugt, muss die Suche nach einem geeigneten Endlager auch das Aus für Gorleben bedeuten. „Der Standort wurde aus politischen Gründen gewählt und nicht, weil der Salzstock gut geeignet wäre“, sagt sie. Demnächst wird sie öfter mal wieder vorbeifahren. Ihr Haus im Wendland liegt nur etwa 20 Kilometer von Gorleben entfernt.

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