zum Hauptinhalt
Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht

© ImagoPanama Pictures/Christoph Hardt

Rechts oder links?: Sahra Wagenknecht, die Nationalbolschewistin

In der Wirtschaftspolitik radikal links, bei Migrationspolitik eher rechts. Sahra Wagenknechts Standpunkt ist nicht einfach zu verorten. Doch es gibt eine Tradition, die ihrer Linie entspricht.

Ein Gastbeitrag von Peter R. Neumann

Ist die neue Partei von Sahra Wagenknecht rechts oder links? Einerseits hat die ehemalige Chefin der „Kommunistischen Plattform“ bei Wirtschaftspolitik und Umverteilung radikal linke Ansichten. Andererseits steht sie bei Migrations- und Gesellschaftspolitik eher rechts.

Wo also lässt sie sich politisch einordnen? Und was genau ist an ihr gefährlich?

Auch wenn sie in den letzten Jahrzehnten kaum Unterstützung hatte, gibt es eine ideologische Tradition, die Wagenknechts Linie ziemlich genau entspricht, nämlich den Nationalbolschewismus. Dessen Vordenker und wichtigste Repräsentanten kommen zwar meist von links, haben sich aber von ihren einstigen Genossen im Laufe der Zeit entfremdet. Sie sind keine „Nationalsozialisten“ im Sinne von Hitlers NSDAP, aber sie lehnen die Westbindung und bürgerliche, liberale Demokratie ab.

Begründer dieser Tradition war der Franzose George Sorel (1847–1922) – ein Beamter, der in seinen späten Dreißigern damit begann, Artikel über Politik zu schreiben. Zeit seines Lebens verstand er sich als revolutionärer Sozialist. Alle bürgerlichen Kräfte – und besonders die Sozialdemokraten – hatten seiner Meinung nach bei der Vertretung von Arbeiterinteressen versagt. Stattdessen brauchte es eine Revolution, um die Eigentumsverhältnisse und Strukturen des Staates neu aufzustellen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Als in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts verschiedene Streiks fehlschlugen, verbündete er sich mit der rechtsradikalen Action Française und verfolgte fortan die Idee einer „Querfront“ – also einer Art Bündnis von revolutionär orientierten Linken mit revolutionär orientierten Rechten. Nur der Nationalismus hatte seiner Überzeugung nach genügend Mobilisierungspotenzial, um der von ihm erhofften Revolution zum Durchbruch zu verhelfen.

Wagenknecht ist keine „National-Sozialistin“

Der italienische Faschistenführer Benito Mussolini (1883–1945) befand sich auf einem ähnlichen Weg. Im Alter von knapp zwanzig Jahren emigrierte er in die Schweiz, wo er zunächst als Steinmetz arbeitete und später studierte. Obwohl er schon damals in der sozialistischen Bewegung aktiv war und sich als Gewerkschaftsführer einen Namen gemacht hatte, interessierte sich Mussolini für rechte Ideen und las mit großem Interesse die Schriften von Sorel, den er als „Meister“ bezeichnete.

Genauso wie Sorel änderte Mussolini niemals sein ultimatives Ziel – Abschaffung der bürgerlichen Demokratie und Befreiung der Arbeiterklasse –, aber er verwarf linke Gleichheitsansprüche und Internationalismus. Im Nationalismus erkannte er eine Ideologie, die ganz offensichtlich erfolgversprechender zu sein schien als der Sozialismus.

Ein weiterer Repräsentant ist der deutsche Schriftsteller und Politiker Ernst Niekisch (1889–1967), für den der Begriff Nationalbolschewismus zuerst verwendet wurde. Auch Niekisch begann als überzeugter Sozialist und war Teil der (kurzlebigen) Münchner Räterepublik. Während der 1920er Jahre knüpfte er systematisch Verbindungen zu Rechten – darunter dem Schriftsteller Ernst Jünger – und gilt heute als Vertreter der sogenannten Konservativen Revolution, die die Weimarer Republik bekämpfte.

Eines seiner größten Feindbilder waren die Vereinigten Staaten, deren vermeintlich dekadenter, liberaler Individualismus alles repräsentierte, was Niekisch ablehnte. Stattdessen propagierte er eine Hinwendung zur Sowjetunion und sah in der Verbindung von (russischem) Nationalismus und (revolutionärem) Sozialismus ein Staatsmodell, das er auch für Deutschland anstrebte.

Was Frau Wagenknecht vorhat, ist also keineswegs neu. Ihr Ziele sind weder links noch rechts, sondern eine Mischung aus beidem.

Peter R. Neumann

Ist der Nationalbolschewismus also identisch mit Hitlers Nationalsozialismus? Trotz aller Parallelen und Anknüpfungspunkte wäre es ein Fehler, die zwei Denkrichtungen gleichzusetzen. Sorel war kein Rassist und hatte für damalige Verhältnisse ein relativ fortschrittliches Bild von Juden. (In der sogenannten Dreyfus-Affäre unterstütze er den falsch beschuldigten jüdischen Offizier.)

Auch Mussolinis früher Faschismus war nicht an biologischer Reinheit interessiert, sondern propagierte als Leitbild das kulturell und „rassisch“ vielfältige Römische Reich. Niekisch legte sich sogar mit Hitler an, wurde vom Volksgerichtshof wegen Hochverrats verurteilt und saß ab 1937 bis Ende des Kriegs im Gefängnis.

Wagenknecht ist also keine „National-Sozialistin“, aber ihre neue Partei würde sehr gut an die national-bolschewistische Tradition anknüpfen. Ihre Positionen in der Wirtschaftspolitik sind nach wie vor links, wenn nicht sogar revolutionär; doch in der Gesellschaftspolitik steht sie mittlerweile weit rechts; Nationalismus ist für sie nicht mehr Gegner, sondern Mittel und Zweck, um Menschen für ihre Art von Sozialismus zu mobilisieren.

Am wichtigsten vielleicht: Genauso wie Niekisch will sie statt der Bindung an Amerika und den Westen ein engeres Bündnis mit einem autoritären Russland.

Was Frau Wagenknecht vorhat, ist also keineswegs neu. Ihr Ziele sind weder links noch rechts, sondern eine Mischung aus beidem. Ihr gemeinsamer Nenner ist die Feindschaft gegenüber einer am Westen orientierten, liberalen und bürgerlichen Demokratie.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false