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Grundsteuer zahlen alle Eigentümer - sie kann auf Mieter umgelegt werden.

© Foto: dpa/Jens Büttner

Reform der Grundsteuer: Ist das neue Gesetz verfassungswidrig?

Der Wissenschaftliche Dienst im Bundestag schließt sich Bedenken an, dass teure Immobilien systematisch unterbewertet werden. Die FDP sieht sich bestätigt.

Ist die Reform der Grundsteuer, die der Bundestag an diesem Freitag verabschiedet hat, auch verfassungswidrig? Wie schon die Grundsteuer, die bisher erhoben worden ist? Sie wurde vom Bundesverfassungsgericht im Mai 2018 als grundgesetzwidrig eingestuft, weil die zugrundliegenden Bewertungen – die so genannten Einheitswerte – völlig veraltet waren. In der alten Bundesrepublik gingen diese auf das Jahr 1964 zurück, im Osten gar auf 1935, weil in der DDR keine Bewertungen mehr vorgenommen wurden.

Damit, so die Richter, sei die Basis der Grundsteuerbemessung so weit von den aktuellen Verkehrswerten entfernt, dass sie nicht mehr im Einklang mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes stünde. Also musste ein neues Gesetz her, das sich an neuen Bewertungen orientiert und zudem die regelmäßige Wiederbewertung vorgibt, die jahrzehntelang unterlassen worden war.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags gibt nun in einer neuen Ausarbeitung zu bedenken, dass auch das frisch beschlossene Gesetz wieder in Karlsruhe scheitern könnte. Der Grund: Im Verlauf der Beratungen verzichteten Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und die Länderfinanzminister darauf, die künftige Grundsteuer an den tatsächlichen Werten im Einzelfall auszurichten, sondern führten aus Gründen der einfacheren Verwaltung Typisierungen ein – vor allem gemeindebezogene Durchschnittswerte bei den Nettokaltmieten, die in die Bewertung der Immobilien einfließt.

Und in dieser Typisierung vor allem sieht der Wissenschaftliche Dienst ein verfassungsrechtliches Risiko, weil es so bei bebauten Grundstücken „zu erheblichen Verzerrungen zwischen Grundsteuer- und Verkehrswert kommen kann“.

Kämen Eigentümer in Bestlagen zu gut weg?

Der Verkehrswert ist der Wert einer Immobilie, die sich aktuell beim Verkauf erzielen lässt. Der Wissenschaftliche Dienst, eine Art Service-Einrichtung für die Fraktionen und Abgeordnete, schreibt in dem Papier: „Erste Musterberechnungen legen es nahe, dass teure Wohnungen systematisch unterbewertet und mittlere bis einfache Wohnlagen über dem Verkehrswert bewertet würden“.

Oder anders gesagt: Eigentümer in Bestlagen kämen relativ besser weg, auch wenn sie natürlich höhere Grundsteuern zahlen müssten – aber eben eventuell nicht so hoch, wäre der Einzelfall der Maßstab.

Den Auftrag für die Ausarbeitung hat die FDP-Fraktion  gegeben. Deren Grundsteuer-Experte Markus Herbrand sagte dem Tagesspiegel: „Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil klar gemacht, dass die einzelnen wirtschaftlichen Einheiten innerhalb der jeweiligen Gemeinde im Verhältnis zueinander realitätsgerecht bewertet werden müssen.“

Angesichts des Gutachtens hat er nun Zweifel, ob das Wertmodell, das nun als Bundesgesetz von der schwarz-roten Koalition und auch den Grünen beschlossen worden ist, tatsächlich in Karlsruhe Bestand haben wird. „Es ist verfassungsrechtlich ganz dünnes Eis, auf dem sich das Scholz-Modell bewegt.“

Typisierungen statt Einzelfall

Der Wissenschaftliche Dienst verweist in seiner Einschätzung vor allem auf Bedenken, die einige Juristen und Ökonomen schon im Gesetzgebungsverfahren erhoben hatten. So hatte die Kölner Steuerrechtsprofessorin Johanna Hey, die auch dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums angehört, kritisiert, dass das vereinfachte Verfahren zwar grundsätzlich in Ordnung sei, das das „Zusammenspiel der Typisierungen“ aber problematisch sei. Damit komme es nicht zu der von Karlsruhe geforderten realitätsnahen Wertermittlung.

Insbesondere ergibt sich laut Hey eine „systematische Unterbewertung hochwertiger Immobilien“. Hey sieht ein Problem darin, dass die hohen Steigerungen der Nettomieten in den vergangenen Jahren zu wenig berücksichtigt werden, denn die pauschalen Mietwerte, die im Bundesgesetz nun herangezogen werden basieren auf dem Mikrozensus von 2014.

Auch der Trierer Ökonom Dirk Löhr, der zu den Verfechtern einer reinen Bodenwertsteuer gehört, wird in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes mit seiner Kritik an der unzulänglichen Differenzierung der Wertberechnung innerhalb von Gemeinden zitiert.

FDP plädiert für Modell ohne Wertberechnungen

Ob sich Karlsruhe diesen Meinungen anschließt, sollte es zu einer Klage gegen das neue Gesetz kommen, ist natürlich unklar. Eventuell lässt sich das Gesetz auch nachbessern, denn gezahlt werden muss die neue festgesetzte Grundsteuer erst ab 2015. Herbrand betont jedoch, es sei angesichts der Zweifel richtig, dass die FDP das Gesetz zur Grundsteuerreform am Freitag abgelehnt und nur die Verfassungsänderung zugunsten eines Abweichungsrechts für die Länder mitgetragen habe.

Die Freien Demokraten hätten die Verfassungsbedenken im Verfahren vorgetragen, die Koalition aber habe nicht nachgebessert. Mit der Grundgesetzänderung sei es nun möglich, dass Länder vom Bundesmodell abweichen könnten. „Sonst müssten jetzt alle ein unsicheres Gesetz nehmen“, lautet Herbrands Einschätzung.

Der FDP-Politiker ist sicher, dass einige Steuerzahler in Karlsruhe gegen das neue Gesetz klagen werden. Die FDP hat sich wie Teile der Unions-Fraktion und viele Wirtschaftsverbände für ein Flächenmodell ausgesprochen, bei dem auf jede Wertermittlung verzichtet wird. Bayern hat angekündigt, ein solches Modell, das allein auf Grund- und Gebäudeflächen setzt, umzusetzen. Wie weit andere Länder vom Bundesgesetz abweichen, ist unklar.

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