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Religiöse Rituale: Ex-Verfassungsrichter kritisiert geplantes Beschneidungsgesetz

Religionsfreiheit, Selbstbestimmung, Körperverletzung - darum geht es in der Beschneidungsdebatte. Ein Gesetz soll das Problem regeln. Nun warnt der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer vor den Plänen.

„Wir sollten ein solches Gesetz nicht erlassen“, schreibt der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer in der neuen Ausgabe der „Zeitschrift für Rechtspolitik“. Ein Gesetz, wie es der Bundestag nach seinem Beschluss von Mitte Juli verabschieden wolle, könne jetzt aufgebrochene Dispute beschwichtigen, würde aber „die innen- und religionspolitischen Grundfragen, die sich jetzt stellen, unter Wert behandeln“. In seiner „prinzipiellen Unentschiedenheit“ würde es die straf- und verfassungsrechtlichen Sachfragen der Rechtsprechung überantworten, „die mit ihnen nach aller Erfahrung nur schlecht zurechtkommt.“ In seinem Beschluss verlangt der Bundestag, ein Gesetz solle sicherstellen, „dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist“. Derzeit arbeitet das Bundesjustizministerium an einem Entwurf.

Zuvor hatte das Landgericht Köln den Eingriff aus allein religiösen Motiven für strafbar erklärt. In seinem Beitrag betonte Hassemer, das umstrittene religiöse Ritual dürfe nicht vorschnell für zulässig erklärt werden. Den Befürwortern der Beschneidung warf er vor, den „unkorrigierbaren Eingriff in den Körper eines unverständigen Kindes“ als kulturelles Gebot herunterzuspielen. Andererseits liege die Religionsausübung dem Grundgesetz am Herzen. Hassemer kritisierte „die kalte Abweisung, zu unserer Mehrheitskultur passe nun einmal die Beschneidung nicht“. Der Strafrechtsprofessor forderte, sorgfältig zu prüfen, ob mit dem Eingriff nicht bis zur Zustimmungsfähigkeit des Betroffenen gewartet werden könne. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft verteidigt derweil ihre Linie im Umgang mit dem Thema. Auch auf eine Strafanzeige gegen den für Württemberg zuständigen Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger sei kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, sagte Sprecherin Claudia Krauth dem Tagesspiegel.

Video: Was ein Arzt zur Beschneidung sagt

Pflieger hatte die Staatsanwälte angewiesen, bei medizinisch fachgerechten Beschneidungen aus religiösen Gründen keine Ermittlungen wegen Körperverletzung aufzunehmen. Dies gelte so lange, wie kein Bundesgesetz dazu vorliege, hieß es. Pflieger wurde daraufhin Rechtsbeugung vorgeworfen, es wurde Anzeige gegen ihn erstattet. Krauth sagte, es habe keinen Anfangsverdacht gegen Pflieger gegeben. Der behördliche Umgang mit Beschneidungsfällen sei rechtmäßig. Die im Urteil des Landgerichts Köln vertretene rechtliche Auffassung sei die Meinung einer Minderheit. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart schließe sich dagegen der Mehrheitsmeinung an, die eine religiöse Beschneidung für zulässig erachte. Zuvor hatte auch die für Baden zuständige Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe angekündigt, solche Fälle nicht zu verfolgen. Im Südwesten der Bundesrepublik bleibt die rituelle Beschneidung damit zunächst straffrei. Auch in Berlin erwägt Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) eine vergleichbare vorläufige Regelung für die Strafverfolger. Wie sie aussehen könnte, ist derzeit noch ungewiss.

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