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Twitter-Logo auf der Computer-Tastatur.

© dpa

Ronja von Rönne und ihre Feminismus-Kritik: So leicht tritt man einen Shitstorm los

Kontrovers, wertend, möglicherweise verletzend: Ein Satz im Internet reicht, ein Satz, der sitzt - und das Reiz-Reflex-Schema startet. Jüngstes Beispiel: Der Wirbel um Ronja von Rönne. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Einen Shitstorm loszutreten ist einfach. Man nehme einen der folgenden Sätze: Benjamin Netanjahu ist eine Schande für das israelische Volk. Der Westen ist ein dreckiger Verräter und Wladimir Putin sein jüngstes Opfer. Die Ehe ist eine selbst gewählte Zwangsjacke für heterosexuelle Oberlangweiler. Oder: „Der Feminismus ekelt mich eher an.“

Kontrovers muss es sein, oder die Leute in ihrer privaten Lebensführung treffen oder sich gegen den politischen Mainstream richten. Der Satz muss mindestens ein unmissverständlich wertendes und potenziell verletzendes Wort enthalten. Dazu braucht es ein halbwegs frequentiertes Blog-/Twitter-/Facebook-Account (1000 Follower plus). Im Netz sollte es idealerweise schon eine „Community“ geben, die sich dank kontinuierlicher Selbstaufpeitschung bereits auf einem gewissen Grundempörungslevel befindet. Wer dann noch als Urheber tatsächlich oder scheinbar für eine Institution steht, für ein großes Medienhaus, eine Partei, ein Unternehmen und/oder besonders schön, besonders wohlhabend oder sonst irgendwie beneidbar ist, dem fliegt der Shit nur so zu.

„Adel ist etwas für die Laterne“

Im jüngsten Shitstorm vom Wochenende kamen viele dieser Faktoren zusammen. Die Autorin und Bloggerin Ronja von Rönne, 23 Jahre alt, sehr hübsch (Achtung: Neidpotenzial) und seit Kurzem Mitarbeiterin im Feuilleton der „Welt“ (Achtung, Institution) hat einen Text geschrieben, in dem der letzte der Beispielsätze stand, oder so ähnlich: „Ich weiß nicht, ob ,man’ im Jahr 2015 in Deutschland den Feminismus braucht“, schrieb sie, „ich brauche ihn nicht. Er ekelt mich eher an.“ (Achtung: Reizthema, Reizwörter)

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Schon kurz nach der ersten Veröffentlichung Anfang April gab es viel Widerspruch. Ende vergangener Woche dann wurde bekannt, dass von Rönne für den Bachmann-Preis nominiert wurde (noch mehr Neidpotenzial) – die Welle brach erneut los. Jemand twitterte „Adel ist etwas für die Laterne“. Anna-Mareike Krause, eine Mitarbeiterin von Tagesschau.de, warf von Rönne vor, dass ihr Beitrag von einer NPD-Frauenorganisation geteilt worden war, was wiederum Verteidiger auf den Plan rief, niemand könne ja was für seine Claqueure, jetzt richtete sich ein Teil des Sturms gegen Krause. Der Grüne Volker Beck beteiligte sich ebenso wie Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestags.

Am Sonntag schrieb Ronja von Rönne auf ihrem Facebook-Account, sie sei nun nach drei Tagen Shitstorm vor die Tür gegangen und habe festgestellt, dass alles ist wie immer: Die Sonne scheint, die Leute trinken Kaffee. Es wäre schön, wenn das ginge: Einfach nach draußen treten, in eine Welt, in der die Menschen höflich sind und in ruhigem Ton wohlüberlegte Argumente austauschen.

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Doch die Welt draußen existiert nicht losgelöst von der Welt im Netz. Das Netz wirkt zurück, nicht zuletzt in die Redaktionen.

Die „Welt“ hat die Bloggerin Ronja von Rönne eingestellt, damit sie provokant schreibt, viele Sachargumente finden sich deshalb in ihren Text nicht. Die „klassischen“ Medien füttern hin und wieder gern das Reiz-Reflex-Schema des Shitstorms, sie wissen um die leichte Erregbarkeit der Netzgemeinschaft und jeder Shitstorm ist auch ein Klickstorm. Das ist so kurzweilig wie leichtsinnig. Denn noch immer ist die große Frage unentschieden, ob das Netz Ventil oder Verstärker für Ressentiments ist.

In der „Zeit“ berichteten Politiker zuletzt über den Hass, der ihnen in sozialen Netzen entgegenschlägt und darüber, wie er in die reale Welt diffundiert, in Schmierereien an Hauswänden und zerbrochene Fensterscheiben. Sie sagen, das habe zugenommen.

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Gleichzeitig tötet die Reflex-Gesellschaft jeden echten Dialog gerade bei den großen, emotionalen Themen. Der Nahostkonflikt, die Ukraine-Krise, die Emanzipation, in Form von Schlagworten tragen sie einen Shitstorm, doch der tobt stets weitab von echten Argumenten, weitab von der Entwicklung von Lösungen. Schlimmer noch, der Shitstorm fördert das schematische Denken.

Das Internet gehört abgeschaltet

Mit dem Anzetteln der Stürme sollte man deshalb sparsam sein. Es besteht immer noch Hoffnung auf einen Lernprozess, eine neue Kultivierung des Arguments im digitalen Zeitalter, darauf, dass aus Keulen wieder Federn werden. Und darauf, dass das Spiel mit den Reflexen langweilig wird.

Das ist zu unentschieden? Nun, dann schließe ich lieber so: Das Internet ist nichts als ein piefiger Treffpunkt fürs professionelle Verbalkotzer. Es gehört abgeschaltet (109 Zeichen).

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