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Russlands Präsident Wladimir Putin spricht am Montag in den USA vor den Vereinten Nationen - und mit US-Präsident Barack Obama. Bis dahin wartet er ab.

© Alexei Nikolsky/AFP

Neue Debatte über Sanktionen gegen Russland: Russische Gelassenheit

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) will das Wirtschaftsembargo gegen Russland wegen der Ukraine lockern - um die Krise in Syrien gemeinsam mit Wladimir Putin zu lösen. Die russische Regierung lässt die Idee kalt.

Für die Europäische Union und die Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten gelten Wirtschaftssanktionen bisher als das entscheidende, eigentlich einzige politische Druckmittel, um Position gegen Russlands Vorgehen in der Ukraine zu beziehen. Damit soll die Regierung von Wladimir Putin zum Rückzug aus der Ostukraine bewegt werden und zur Umsetzung der zwischen Russland, Ukraine, Deutschland und Frankreich getroffenen „Minsker Vereinbarungen“ einschließlich einer Waffenruhe.

Wie auch bei anderen Wirtschaftssanktionen in internationalen Konflikten – etwa im Iran – nehmen aber auch die meisten Russen das Embargo als Angriffsversuch auf ihr Land wahr. Das verbindet sie auch trotz latenter innenpolitischer Unzufriedenheit eher mit ihrer Regierung, als dass daraus Widerstand entstünde. Ein politischer Kurs- oder gar ein Regimewechsel, mit dem regierungsnahe Politologen das eigentliche Ziel der Sanktionen gern erklären, steht daher selbst aus Sicht ihrer kritischen, der Opposition zugeneigten Kollegen nicht einmal mittelfristig an. Einzige mögliche Ausnahme wäre, dass die Ölscheichs und Gasbarone meutern würden. Der Einfuhrstopp für deren Fördertechnik gefährdet immerhin Pläne für die Erschließung und Ausbeute von Energievorkommen in der russischen Arktis.

Der deutsche Vize-Kanzler beeindruckt den Kreml nicht sehr

Richtig entlasten, höhnen kremlnahe Kolumnisten, würde die jetzt vom deutschen Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) angeregte Aufhebung der Sanktionen vor allem Europas Landwirte und die Lebensmittelindustrie. In der Tat machten gerade diese Woche wieder deutsche Milchbauern auf ihre schwierige Lage auch wegen der Wirtschaftssanktionen aufmerksam. Hebt der Westen sein Embargo auf, macht Russland auch den als Retourkutsche verfügten Einfuhrstopp für EU-Lebensmittel rückgängig.

Gabriels Ansatz, vom Verzicht auf die Russland-Sanktionen mehr Verhandlungsspielraum zum Vorgehen in Syrien zu erhoffen, erteilte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow schon vor der Rede seines Chefs vor der UN-Vollversammlung und dessen Gespräch mit US-Präsident Barack Obama am Montag eine Abfuhr: Über einen Sturz Assads werde Moskau nicht verhandeln.

Russland hält ihn für den wichtigsten Gegner des IS. Putins Berater werfen dem Westen vor, mit dem Sturz anderer Diktatoren – im Irak etwa oder in Libyen – die ganze Region destabilisiert und das Terrornetzwerk so erst ermöglicht zu haben. Dass die Idee nicht von der Bundeskanzlerin, sondern von ihrem Vize und Juniorpartner stammt, macht sie nicht stärker: der hat aus Moskauer Sicht international nur begrenzte Gestaltungskompetenz.

Je mehr Widerstand Putin international erhält, desto größer ist die Zustimmung im eigenen Land

So hat Gabriels Vorstoß in Russland keine große Aufregung verursacht. Obwohl es den Russen derzeit schlechter geht als während der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09, liegen Putins Zustimmungsraten bei deutlich über 80 Prozent. Die Umfragewerte der Liberalen, die sich angesichts der angepassten etablierten Parteien als „real existierende Opposition“ bezeichnen, sind dagegen statistisch kaum noch messbar.

Schon Anfang 2014 – vor dem Embargo – sei die Wirtschaft, die 2010 noch um 4,5 Prozent zulegte, nur noch um 0,8 Prozent gewachsen, erklärt der Analyst Igor Nikolajew. Der Grund seien verschleppte Strukturreformen. Die Devise heißt inzwischen schlicht: Sparen – bei Kitas und Krankenhäusern, beim Militär und den Gehältern des öffentlichen Dienstes, trotz steigender Preise und einer verdoppelten Inflationsrate. Von den üppigen sozialen Wohltaten und Plänen, mit denen Putin 2012 seine dritte Amtszeit begann, ist Russland weit entfernt – als Grund dafür gilt im Land eher der Ölpreisverfall als der Wirtschaftsboykott des Westens.

Weitere Reaktionen auf Sigmar Gabriels Vorschlag lesen Sie hier - und die ersten Reaktionen aus der Ukraine hier.

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