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Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat (li.), und der Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden, Sebastian Edathy (SPD), auf der Pressekonferenz in Berlin.

© dpa

Schleppende Aufklärung: NSU-Opfer: Wir fühlen uns hintergangen

Vor einem Jahr wurde die Mordserie des Zwickauer Terrortrios bekannt. Seither ist für Angehörige unerträglich viel Zeit vergangen. Sie fordern, dass Tätern und Mittätern endlich der Prozess gemacht wird.

Ein Jahr nach Bekanntwerden der rechtsextremistischen Mordserie in Deutschland fordern Angehörige der Opfer, dass Tätern und Mittätern endlich der Prozess gemacht wird. Gamze Kubasik, Tochter des am 4. Juni 2006 in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik, sagte dem Tagesspiegel: „Es wird Zeit. Uns wurde viel versprochen, auch von Kanzlerin Merkel. Dann haben wir gehört, dass Akten vernichtet wurden, und wir haben das Gefühl, die Aufklärung kommt nicht voran. Wir fühlen uns hintergangen, und ich bin wütend und traurig.“

Kerim Simsek, Sohn des am 9. September 2000 erschossenen Enver Simsek, sagte dieser Zeitung: „Wir wollen, dass es jetzt endlich zum Prozess kommt. Unser tiefer Wunsch nach vollständiger Aufklärung wird erst durch einen Richterspruch Geltung erlangen.“ Opferanwalt Stephan Lucas, der die Familie Simsek vertritt, sagte: „Für die Angehörigen war die Zeit seit der Bekanntmachung der möglichen Täter bis heute eine gefühlt unerträglich lange Zeit. Um so wichtiger ist es, dass es nach einer Anklage auch sehr schnell zum Prozessbeginn kommt.“

Auch Vertreter der Türkischen Gemeinde und der Politik äußerten ihre Sorge, dass die Ermittlungen verschleppt werden könnten. Nach Ansicht des Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, fragen sich inzwischen viele Bürger, ob der Wille zur schnellen Aufklärung „tatsächlich vorhanden ist“. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte die Bilanz der Untersuchungsausschüsse zum selbsternannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) als enttäuschend.

Die Angehörigen, die teilweise mit ihren Familien jahrelang selbst als tatverdächtig galten, haben immer beklagt, dass die Ermittler auch rassistische Ressentiments hatten. Der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, forderte am Donnerstag eine Einstellungsquote für Polizisten mit Migrationshintergrund. Sebastian Edathy (SPD), der Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses zu den Neonazi-Morden, sagte: ,„Wir haben es mit einem Struktur- und Mentalitätsproblem zu tun.“ Kolat sprach von einem „riesigen Rassismus-Problem“. Die Schwestern des in Kassel ermordeten Halit Yozgat trauen sich auch deshalb nicht in die Öffentlichkeit, weil ihnen gesagt wurde, Türken hätten doch auch schon Deutsche getötet.

Die mutmaßlichen Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind tot, ihre Komplizin Beate Zschäpe sitzt in Untersuchungshaft. Die Anklage wird in Kürze erwartet. Mit Zschäpe werden wohl fünf weitere Männer, die dem Trio geholfen haben, vor Gericht stehen. Die Drei sollen von 2000 bis 2007 zehn Menschen mit Migrationshintergrund und eine deutsche Polizistin ermordet haben. Zum Jahrestag am 4. November sind in rund 30 Städten Aktionen geplant. Koordiniert werden sie von einem „Bündnis gegen das Schweigen“.

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