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Schlimmer als in Berlin: Israel: Kein Zug wird kommen

Schlechter Trost für die schneegeplagten europäischen Bahnbenutzer und Berliner S-Bahn-Fahrgäste: Um Israels Eisenbahn steht es, auch ohne Schnee, noch schlimmer.

Tel Aviv – Chuzpe ist ein hebräisches Wort – das illustrierten am Dienstag etliche Bahnkunden und setzten sich beim Bahnhof Beit Shemesh aus Protest auf die Schienen, weil vom Zug Jerusalem–Tel Aviv auch nach einer Stunde Verspätung noch nichts zu sehen war. Dabei haben sie Glück, dass die Strecke zwischen der Hauptstadt und der Metropole überhaupt noch bedient wurde. Denn ab Freitag geht hier für 14 Tage kein Zug mehr. Auch die wichtige Südlinie von Tel Aviv in die Negevwüste, nach Beer Sheva und Dimona wird für zwei Wochen stillgelegt – wegen „Unterhaltsarbeiten zur Aufstufung“, wie das im Amtshebräisch heißt. Und das ist erst der Anfang: Der gesamte Süden des Landes ab Tel Aviv wird über 100 Tage, ein Drittel des Jahres, für diese „Aufstufung“ ohne Verbindung ins Zentrum auskommen müssen.

Alles werde besser, versichert die Bahndirektion, die bisher noch jedes Jahr stolz neue Rekordzahlen vorlegen konnte. Doch um welchen Preis? 2011 wird das wohl nicht mehr gelingen. Seit letzter Woche gilt ein „Sonderfahrplan“. Anders ausgedrückt: Sämtliche Vorortzüge von Tel Aviv sind gestrichen, die Bahnhöfe sind geschlossen. „Bis auf Weiteres“ – bis die Untersuchungen über das bisher letzte Bahnunglück abgeschlossen sein werden.

In der vergangenen Woche nämlich war die Bahn äußerst knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Die mittleren Waggons des Zuges Haifa–Tel Aviv waren, aus bisher unbekannter Ursache, in Brand geraten. Der Lokführer merkte nichts, bis endlich jemand die Notbremse gefunden hatte und zog. Nicht so erfolgreich war in den meisten Waggons danach die Suche nach dem Not-Hammer, um die Plexiglasfenster herauszuschlagen. Die automatische Türöffnung funktionierte nur in den Waggons, die nicht in Flammen standen. Doch auch vereinzelt gefundene Hammer halfen nichts: Die durch stetige Sonnenbestrahlung und Dreck fast „blinden“ Fenster gaben nicht nach. Erst indem ein mitfahrender Soldat durch eine der Scheiben schoss, machte er sich und den übrigen in Panik geratenen Passagieren den Weg nach draußen frei. Alle konnten gerettet werden, aber über 120 Menschen erlitten meist leichte Rauch- und Brandverletzungen.

Die Bahndirektion äußerte Kritik – nicht an dem Zustand ihres Zuges, sondern an dem Retter ihrer Fahrgäste: Der Soldat hätte versuchen müssen, das Fenster mit Körpergewalt aufzusprengen und nicht „vorschnell schießen“ dürfen, ließ sie verlauten. Sonst ist von der Bahndirektion bis auf fast täglich verkündete Bestellungen von neuen Zügen nicht viel zu hören. Auch sonst fehlt ihr manchmal der Realitätsbezug: Die Mitteilung, die Strecke Hod HaSharon–Tel Aviv“ werde gesperrt, wunderte Kunden. Denn die Endstation heißt Kfar Saba. Nach jahrelangem Streit hatte die Bahn die zwei nur wenige hundert Meter voneinander entfernten Stationen umbenannt, die verwirrend falsche Namen trugen: Der Bahnhof „Kfar Saba“ lag in Hod HaSharon, „Hod HaSharon“ aber in Kfar Saba. Warum? Der Ex-Regierungschef Yitzchak Schamir antwortete in solchen Fällen: „Darum.“

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