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So schön grün!

© ZPatrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB

Zum Nutzen nachhaltiger Investments: Schluss mit der grüngläubigen Naivität!

"Grüne" Finanzprodukte werden mit Geld geflutet. Dabei fördern sie keinesfalls immer die Nachhaltigkeit von Unternehmen. Aufklärung tut Not. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Jörg Rocholl

- Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Jörg Rocholl, Präsident der internationalen Wirtschaftshochschule ESMT in Berlin. Regelmäßige Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther Oettinger, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Was können die internationalen Finanzmärkte zum dringend benötigten grünen Umbau der Wirtschaft und damit zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen? Auf den ersten Blick eine ganze Menge, denn der Boom bei grünen Finanzierungen hält an. Noch nie wurde so viel Geld für Nachhaltigkeitszwecke an den Kapitalmärkten eingesammelt wie 2021. Das gesamte globale Volumen nähert sich der Marke von zwei Billionen Euro.

Man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass Finanzprodukte nur das Label grün erhalten müssen, um von Anlagegeld überschwemmt zu werden. Nicht nur Unternehmen reiten auf der Welle, auch Staaten haben die Nachfrage nach diesen Anlageklassen entdeckt. Im internationalen Vergleich konnte Europa sich dabei deutlich an die Spitze setzen, mit weitem Abstand folgen die USA und Asien.

[Lesen Sie hier bei T-Plus: Studie zu nachhaltigen Anlageprodukten: Mit schönen Versprechen in schlechte Geschäfte gelockt]

Schon jubilieren einige, Europa sei der große Gewinner bei grünen Finanzierungen. Das in besonders großem Umfang zur Verfügung stehende grüne Kapital, so heißt es, werde den Umbau der Wirtschaft im Vergleich zu den USA und China schneller vorantreiben. Eine solche Sichtweise verkennt jedoch fundamental die Wirkungszusammenhänge von Kapitalmärkten. Eine erste kritische Frage lautet: Was ist überhaupt grüne Finanzierung?

Die Ansichten dazu unterscheiden sich von Land zu Land, eine einheitliche Klassifizierung gibt es nicht. Während etwa Atomenergie in Frankreich als umweltfreundlich betrachtet wird, gilt in Deutschland das Gegenteil. Diese Unsicherheit führt dazu, dass einige Finanzinstitutionen sich zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt sehen, es mit der Klassifizierung grüner Anlagen nicht allzu genau zu nehmen und Marketing Vorrang vor Substanz einzuräumen.

Wird mit grüner Finanzierung die Wirtschaft grüner?

Dieser Vorwurf wird unter dem Stichwort „Greenwashing“ zusammengefasst. Aber selbst wenn es eine einheitliche und allgemein akzeptierte Einordnung grüner Anlagemöglichkeiten gäbe, wäre damit der Kampf noch nicht gewonnen. Denn die zweite Frage lautet: Werden durch grüne Finanzierung überhaupt zusätzliche Mittel zum nachhaltigen Umbau der Wirtschaft zur Verfügung gestellt? Das ist in vielen Fällen mit einem klaren Nein zu beantworten.

Ein Beispiel: Bei den erstmals im September 2020 begebenen „grünen“ Bundesanleihen ist es nicht etwa so, dass aufgenommene Mittel zusätzlich für den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft verwendet werden. Der deutsche Bundeshaushalt wurde vielmehr nur daraufhin untersucht, welche bereits geplanten Ausgaben als grün zu klassifizieren sind. Nachdem die Summe dieser Ausgaben feststand, hat der Bund grüne Anleihen in exakt dieser Höhe verkauft – es hat sich also nichts geändert.

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Dieses Vorgehen des Bundes ist nicht verwerflich, im Sinne der Steuerzahler ist es sogar zu begrüßen: Der Staat hat das Verfahren transparent dargestellt und nicht suggeriert, es würden zusätzliche grüne Projekte finanziert. Er profitierte von der großen Nachfrage nach grünen Anlagen von besonders günstigen Preisen und konnte so seine Finanzierungskosten senken.

Umgekehrt scheinen Anleger bereit zu sein, auf Rendite zu verzichten, wenn sie das Gefühl haben, etwas Gutes zu tun zu. Ein gutes Gefühl entspricht aber nicht unbedingt einem wirkungsvollen Beitrag.

Es gibt zwar Etikettenschwindel, aber auch Grund zur Zuversicht

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat in einer Stellungnahme daher den häufig allzu naiven Umgang mit nachhaltiger Finanzierung kritisiert und Wege für tatsächliche Chancen aufgezeigt. Denn trotz manchen Etikettenschwindels gibt es durchaus Grund zur Zuversicht: Grüne Finanzierung kann, richtig verstanden und eingesetzt, tatsächlich einen wirkungsvollen Beitrag zum Umbau der Wirtschaft leisten.

Das gilt in erster Linie für aktive Anleger, die sich direkt in die Geschäftspolitik der Unternehmen einschalten, in die sie investiert haben: So können Aktionäre dem Management die Entlastung verweigern, wenn sie dessen Bestreben nach einem grünen Umbau des Unternehmens für nicht ausreichend halten.

Banken wiederum können ihren Kreditnehmern Mittel verwehren oder ihnen diese nur zu sehr ungünstigen Konditionen anbieten, wenn sie von einem Unternehmen mehr Engagement für den Klimaschutz erwarten.

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Daraus ergibt sich die nur scheinbar paradoxe Situation, dass klimabewusste Anleger am meisten erreichen, wenn sie in Unternehmen investieren, die bisher als Klimasünder bekannt sind. Denn bei diesen Unternehmen können sie durch ihre Intervention etwa den CO2-Ausstoß deutlicher senken als bei ohnehin schon klimafreundlichen Unternehmen. Anleger sollten aber nicht dem Trugschluss unterliegen, mit ihren Investitionen in einen grünen Umbau von Unternehmen ließen sich auch automatisch höhere Renditen erzielen.

Das kann zwar der Fall sein, wenn sie früher als andere Anleger erkennen, dass ein Unternehmen sich mit seiner Produktionstechnologie auf einem klimaschädlichen Holzweg befindet und ein schnelles Umsteuern seine Ertragschancen erhöhen würde. Doch dies ist nicht der Regelfall, denn Investitionen in ausschließlich grüne Anlageklassen verwehren Anlegern die Möglichkeiten, ihr Kapital möglichst breit zu streuen. Auch diese Erkenntnis gehört zur Wahrheit über grüne Finanzierung.

Im Wettbewerb mit den USA und China täte Europa also gut daran, sich nicht zu früh über die derzeitige Vorreiterrolle zu freuen. Vielmehr sollte Europa das Momentum nutzen und Voraussetzungen dafür schaffen, dass Anleger mit ihren Handlungen tatsächlich zu einem grünen Umsteuern bei Unternehmen beitragen können.

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Dafür gibt es gute Ansatzpunkte: So sollten die Regeln zur Corporate Governance in diesem Sinne gestärkt werden. Die über viele Jahre und in allen wesentlichen internationalen Kapitalmärkten zu beobachtende Tendenz zu passiven Index-Investitionen dürfte schon bald drehen, wenn erkannt wird, welche große Bedeutung Interventionen durch Kapitalanbieter beim grünen Umbau der Wirtschaft haben.

Europa kann mehr als nur die eigenen Emissionen beeinflussen

Ein florierender Markt für Venture Capital wäre ein weiteres zentrales Element. Während Europa den USA und China in vielen technologischen Entwicklungen hinterherhinkt, besteht die Möglichkeit, durch eine enge Verzahnung von Wissenschaft und Praxis die nächste Riege der Einhörner im Bereich der Klimatechnologie auf dem alten Kontinent zu schaffen. Häufig heißt es, Europa trage ja ohnehin nur zehn Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen bei.

Doch europäische Unternehmen könnten durch ihre Innovationskraft nicht nur die von Europa verursachten Emissionen deutlich verringern, sondern auch zum Maßstab und gefragten Anbieter für CO2-Reduzierungen in aller Welt werden. Damit würde auch die Verzwergung bei den Marktwerten europäischer Unternehmen im Vergleich zu Konkurrenten aus USA und China gedreht werden.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist zu wichtig, als dass man nur scheinbar plausiblen Argumenten folgen sollte. Es ist höchste Zeit, von einem naiven zu einem aufgeklärten Umgang mit nachhaltiger Finanzierung zu kommen – im Sinne der Anleger und der Umwelt. Dafür sollte von der Glasgower Klimakonferenz ein starkes Signal ausgehen.

Jörg Rocholl

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