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Kay Nietfeld

© dpa/Kay Nietfeld

Rede zur Zukunft der EU: Scholz entwirft in Prag ein neues Europa

In Prag wird der Kanzler grundsätzlich: Er stellt Ideen vor, wie Europa in gefährlicher Zeit stark bleiben kann. Nicht überall hört man das gerne.

Von Hans Monath

Es ist ein mit Geschichte aufgeladener Ort, an dem Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag seine Grundsatzrede zu Europa hält: Fast 700 Jahre ist die Universität Prag alt. Die Karls-Universität sei „so etwas wie die Chronistin unserer an Licht und Schatten so reichen europäischen Geschichte“, sagt Scholz.

Dann leitet er aus der jüngsten dramatischen Wendung europäischer Geschichte, nämlich aus dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, in teilweise dramatischen Formulierungen die Forderung ab, die EU müsse grundlegende Reformen in Angriff nehmen, um nach der Zeitwende nach innen und nach außen handlungsfähig zu werden. Im gleichen Trott wie bislang weiterzumachen, so warnt der Kanzler, sei für Europa keine Option. Denn eine schlecht aufgestellte EU sei eine „Einladung an alle, die uns gegeneinander ausspielen wollen“.

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In vier Bereichen skizziert Scholz in der Hauptstadt Tschechiens, das gegenwärtig den EU-Ratsvorsitz innehat, seine Vorstellung: Demnach soll die EU ihre Entscheidungsmechanismen vereinfachen und sich um neue Mitglieder erweitern. Sie soll nach außen handlungsfähiger und militärisch stärker werden.

Sodann geht es ihm um neue Lösungen für die alten Konflikte in der Migrations- und Asylpolitik, die das Potenzial für innere Konflikte der EU haben. Nicht zuletzt sollen sichergestellt werden, dass Mitgliedstaaten anders als heute nicht weitgehend folgenlos gegen EU- Grundwerte verstoßen können. Man könnte das so umschreiben: Geht es nach dem deutschen Regierungschef, soll sich die EU ehrlich machen, wie sie es selbst mit ihren Werten hält.

Gegen das Vetorecht in der EU hat Scholz schon oft argumentiert

Wenig überraschend ist, dass Scholz sich gegen das Prinzip der Einstimmigkeit bei EU-Entscheidungen ausspricht, um die Union handlungsfähiger zu machen. Die Abkehr vom Vetrorecht einzelner Staaten zumindest in der Außen- und Steuerpolitik sei wichtig, argumentierte er: „Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eine EU, die liefert“, sagte er mit Blick auf die langwierigen Abstimmungsprozesse in der Gemeinschaft.

Der Regierungschef plädiert für eine deutliche Erweiterung des Bundes von 28 Staaten und spricht von 30 oder 36 Mitgliedern. Die Westbalkan-Staaten, die Ukraine, die Republik Moldau und „perspektivisch“ Georgien gehörten in die EU. Diese Erweiterung sei im Interesse der Europäer.

Reden an einem Ort, der fast 700 Jahre alt ist: Olaf Scholz in der Karls-Universität in Prag.

© Michal Cizek/AFP

„In diesen Tagen stellt sich erneut die Frage, wo künftig die Trennlinie verläuft zwischen diesem freien Europa und einer neo-imperialen Autokratie“, sagt Scholz mit Hinweis auf den Russlands Krieg gegen die Ukraine. Genau für diese Aufnahme müsse die EU aber interne Reformen angehen. Ohne Reform drohe „ein Vorangehen in immer unterschiedlicheren Gruppen" und „ein Dschungel verschiedener Regeln“.

Auch nach außen soll die EU handlungsfähiger werden, ihre geopolitischen Rolle im Ringen mit Autokratien wie Russland oder China besser ausfüllen können. Scholz schloss sich den Vorschlägen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an, über die EU hinaus ein Gremium zu schaffen, in dem man sich mit Nicht-EU-Mitgliedern wie Großbritannien abstimmen kann. Scholz schlug Treffen auf Regierungschefebene ein- oder zweimal im Jahr vor. Dies dürfe aber kein Ersatz für den Beitritt weiterer Staaten sein.

Die Vorschläge dürften vor allem bei kleineren EU-Staaten auf Widerstand stoßen. Zwar sollten sie nach Scholz’ Vorstellungen wie bisher einen EU-Kommissar oder eine EU-Kommissarin bestimmen können, aber etwa im europäischen Parlament deutlich an Gewicht verlieren.

Denn Scholz schlägt vor, dass das Europäische Parlament „unter Beachtung auch des demokratischen Prinzips, wonach jede Wählerstimme in etwa das gleiche Gewicht haben sollte“ reformiert werden sollte. Davon dürfte ein großes Land wie Deutschland gegenüber kleineren Ländern wie etwa Luxemburg profitieren.

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Die bisherige Obergrenze von 751 Parlamentarierinnen und Parlamentariern dürfe auch bei der Erweiterung auf 36 Staaten nicht überschritten werden. Scholz betont, es gebe in der EU keine Über- und Unterordnung.

Viktor Orban wird die Botschaft von Olaf Scholz nicht gerne hören

Auch für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU macht Scholz sich stark. Es bereite ihm „Sorgen, wenn mitten in Europa von ,illiberaler Demokratie’ geredet wird – so als wäre das nicht ein Widerspruch in sich“, sagt er. Dies ist vor allem eine Ansage an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dürfte aber auch in Polen nicht gern gehört werden. Denn der Kanzler will „Zahlungen konsequent an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards knüpfen“.

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Prag ist nicht nur ein historisch aufgeladener, sondern auch ein spannungsreicher Ort für einen EU-Reformappell eines deutschen Kanzlers. Denn viele östliche EU-Staaten halten Deutschlands militärische Unterstützung der Ukraine für viel zu zögerlich und ungenügend. Der Kanzler, der um die Vorwürfe weiß, verspricht dem angegriffenen Land weitere Hilfe und entwirft dann Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit der EU in der Verteidigungs- und Rüstungspolitik.

Als eine Art deutscher Oberlehrer der EU will der Kanzler allerdings nicht verstanden werden. Über seine Rede sagt er: „Ideen sind das, wohlgemerkt, Angebote, Denkanstöße – keine fertigen deutschen Lösungen.“ 

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