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Der deutsche Kanzler: Olaf Scholz.

© dpa/Fabian Strauch

Update

Scholz über Schlüsse aus Solingen-Attentat: „Ich verstehe es ja auch nicht“

Nach dem Angriff von Solingen fordert der Kanzler von den Behörden in Nordrhein-Westfalen Aufklärung. Er könne nicht nachvollziehen, warum der mutmaßliche Täter nicht nach Bulgarien abgeschoben wurde.

Stand:

Seit Monaten streitet die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP über immer neue Themen, in Umfragen schneiden die drei Parteien zusammen schlechter ab als die Union. Immer wieder wird daher auch über das vorzeitige Ende des Bündnisses spekuliert.

Die Opposition um CDU-Chef Friedrich Merz wird nicht müde, vorgezogene Neuwahlen zu fordern. Jetzt hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz selbst in ungewöhnlich deutlicher Form zum Zustand und zur Arbeit der Regierung geäußert.

„SPD, Grüne und FDP haben diese Koalition zustande gebracht. Das war mühselig und ist mühselig geblieben“, sagte der Sozialdemokrat dem „Spiegel“. „Es mag ein Stück neue Realität sein, an das auch ich mich noch nicht ganz gewöhnt habe. Da geht es mir nicht viel anders als den Bürgerinnen und Bürgern.“ Scholz weiter: „Es wäre naiv zu glauben, dass andere Konstellationen zu weniger Diskussionen führen würden.“

Ich will hier gar nichts schönreden – da war nicht alles ein Ruhmesblatt.

Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD), über die Arbeit der Ampelkoalition

Scholz gab Schwierigkeiten der Ampel zu. „Ich will hier gar nichts schönreden – da war nicht alles ein Ruhmesblatt“, sagte der Kanzler. „Aber: Union, Grüne und FDP sind 2017 schon beim Versuch gescheitert, eine Jamaikakoalition zu bilden.“

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Koalitionen würden auf absehbare Zeit kompliziert bleiben, unabhängig von der Ampel. „Aufgrund der Veränderungen in unserer Gesellschaft und in der politischen Landschaft werden künftig Parteien miteinander eine Koalition bilden, die nicht schon immer davon geträumt haben, miteinander zu regieren“, sagte Scholz. „Die Zeiten, in der eine große mit einer kleinen Partei regiert, scheinen erst mal vorbei.“ Regulär wird der neue Bundestag im September 2025 gewählt.

Angesprochen auf die schlechten Umfragewerte sagte Scholz: „Vor der letzten Bundestagswahl waren die Ausgangsbedingungen nicht besser.“ Die politische Landschaft sei in Bewegung. „Ich bin gern Kanzler. Mein Ziel ist es, dass die SPD möglichst stark wird und auch die nächste Regierung anführt“, sagte Scholz. Im jüngsten Politbarometer von ZDF und Tagesspiegel kam die SPD auf nur 14 Prozent.

Scholz macht Behörden in NRW Vorwürfe

Der Bundeskanzler äußerte sich auch zu dem Thema, das in diesen Tagen die Innenpolitik bestimmt. Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen machte Scholz den Behörden in Nordrhein-Westfalen Vorwürfe. „Es muss jetzt ermittelt werden, warum jemand, der nach Bulgarien hätte abgeschoben werden sollen, von den Behörden vor Ort nicht abgeschoben wurde“, sagte er.

Auf die Frage, warum der mutmaßliche Täter noch in Deutschland gewesen sei, antwortete der Kanzler: „Das wüsste ich auch gern.“ Bei dem mutmaßlichen Täter von Solingen handelt es sich um einen Syrer, der eigentlich bereits im Juni 2023 nach Bulgarien gebracht werden sollte. Der 26-Jährige hatte dort das EU-Gebiet betreten und hätte nach dem Dublin-Verfahren in Bulgarien sein Asylverfahren durchlaufen müssen.

Es gehe nicht um Schuldzuweisungen, „sondern darum aufzuklären, was schiefgelaufen ist, um die nötigen Lehren zu ziehen, damit sich so was nicht wiederholt“, sagte der Kanzler weiter. „Man kann doch niemandem vermitteln, warum es offenbar nur einen Versuch gab, den Mann in seiner Unterkunft aufzusuchen. Warum man nicht einfach wiedergekommen ist. Warum man nicht beantragt hat, die Frist zur Rückführung zu verlängern. Das geht nämlich.“

Scholz äußerte Verständnis dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger dies nicht mehr verstünden. „Ich verstehe es ja auch nicht. Wir haben Regeln geschaffen, die seine Abschiebung erleichtert hätten. Personen, von denen wir glauben, sie könnten sich der Abschiebung entziehen, können wir in Abschiebegewahrsam nehmen“, sagte der Kanzler. Mittlerweile sei dies für 28 Tage möglich.

Der Kanzler gab zu, dass es auch auf europäischer Ebene nach wie vor Probleme gebe. „Das Dublin-System funktioniert seit Längerem nicht, da dürfen wir nicht drum herumreden“, sagte Scholz. Deshalb sei mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem ein neuer Solidaritätsmechanismus geschaffen worden.

„In Zukunft werden deutlich mehr Asylentscheidungen direkt und in kurzer Zeit an den Außengrenzen der Europäischen Union gefällt. Trotzdem führen wir harte Gespräche mit unseren Nachbarn, wenn sie zum Beispiel Asylbewerber einfach zu uns durchwinken.“

Ich zähle aber gerade nicht zu den feigen Politikern.

Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD)

Scholz verteidigte sich gegen Kritik, seiner Ankündigung für einen schärferen Kurs bei Abschiebungen seien nicht wirklich Taten gefolgt. Vor zehn Monaten hatte der Kanzler gesagt: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.“

Im ersten Halbjahr habe es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 20 Prozent mehr Abschiebungen gegeben, auch die Zahl der Asylanträge sei um ein Fünftel gesunken, so Scholz. „Das Thema Migration ist ein großes Rad, an dem man drehen muss. Veränderungen brauchen ihre Zeit“, sagte der Kanzler.

Auf den Einwand, die Zahl der Abschiebungen sei vor der Pandemie höher gewesen, entgegnete Scholz: „Ich könnte es mir jetzt einfach machen und sagen: Abschiebung ist Ländersache. Ich zähle aber gerade nicht zu den feigen Politikern, sondern kümmere mich auch als Bundeskanzler um solche Themen – in vielen Gesprächen mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und mit praktischen Verbesserungen.“

Am Donnerstag hatte sich die Ampel als Konsequenz aus der tödlichen Messerattacke von Solingen auf neue Maßnahmen zum Schutz vor islamistischem Terror, gegen irreguläre Migration und zur Verschärfung des Waffenrechts verständigt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach von „weitreichenden“ und „harten“ Schritten. 

Scholz, der wegen seiner Sommerreise bei der Vorstellung nicht dabei war, sagte am Rande eines Bürgerdialogs im brandenburgischen Seelow: „Es ist gut, dass es so schnell, so präzise geschehen ist, und ich bin froh, dass heute diese Maßnahmen vorgestellt werden konnten.“ Sie sollten nun schnell auf den Weg gebracht werden.

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