zum Hauptinhalt
Schwarz und grün – man glaubt es ja kaum, aber das ist historisch. Im Bund ist dies der erste Versuch einer Annäherung. Von den Zahlen her würde es passen: 41,5 plus 8,4 Prozente ergeben eine hinlängliche Mehrheit. Nur drei Probleme gibt es, idealtypisch verkörpert in drei Personen: Seehofer, Trittin – und Angela Merkel.

© dpa

Schwarz-grüne Sondierung: Der Versuch einer Annäherung

Schwarz und grün – man glaubt es ja kaum, aber das ist historisch. Im Bund ist dies der erste Versuch einer Annäherung. Von den Zahlen her würde es passen: 41,5 plus 8,4 Prozente ergeben eine hinlängliche Mehrheit. Nur drei Probleme gibt es, idealtypisch verkörpert in drei Personen: Seehofer, Trittin – und Angela Merkel.

Von

Der Horstograph steht grade ungefähr auf Mitte. Anfang der Woche war das noch anders, da wanderte der Zeiger zornig zitternd Richtung Sturm. Aber so weit, dass er schon vorher das erste schwarz-grüne Sondierungsgespräch zerfetzt, das es auf Bundesebene jemals gegeben hat – so weit wagt sich nicht einmal Horst Seehofer vor. Außerdem muss er gar nicht mehr groß Wind machen, weil das inzwischen andere erledigen. Auch das zeigt der Horstograph an, jenes imaginäre Messinstrument, dessen Zeiger von öffentlich gesprochenen Worten des CSU-Vorsitzenden bewegt wird. Im Falle Schwarz-Grün kann man an ihm zweierlei ablesen: Erstens Seehofers politischen Blutdruck, wenn er an die Wortfolge „Bundesminister Jürgen Trittin“ denkt. Und zweitens, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es trotzdem so weit kommt.

Anfang der Woche also wies der Zeiger auf „Man kann das nicht ausschließen.“ Sonst hätten Seehofers Truppen ja nicht durchstechen müssen, dass sich der CSU-Chef und die CDU-Chefin Angela Merkel und der SPD-Chef Sigmar Gabriel für den Freitag zum Dreier-Treffen verabredet haben – ein ganz normaler Vorgang eigentlich, der jetzt aber wirkt wie eine Privataudienz einen Tag nach dem Treffen mit den Grünen. Es wäre auch nicht nötig gewesen, den Generalsekretär Alexander Dobrindt in die „Bild“-Zeitung zu schicken und Jürgen Trittin als „Mann von gestern“ zu beschimpfen, der in der Unterhändlergruppe nichts zu suchen habe.

Ein historischer Moment

Seit ein paar Tagen schweigen beide. Dafür redet jetzt Trittin. Am Donnerstag früh koffert der Ex-Spitzenkandidat im Privatsender N24 los. Über Merkel zum Beispiel, die in Europa Obergrenzen für den Auto-Benzinverbrauch „akut sabotiert“. Oder über den Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU, dessen Flüchtlingspolitik im Angesicht der Toten von Lampedusa „ein Abgrund an Zynismus“ sei. Was man halt so sagt über Leute, mit denen man in ein paar Stunden darüber diskutieren wird, wie man gedeihlich vier Jahre miteinander regieren könnte.

Es sieht also schlecht aus.

Daran, dass das hier ein historischer Moment ist, ändert das aber erst mal nichts. Man glaubt es ja kaum, nachdem Schwarz-Grün in vielen Rathäusern längst die Regel ist und Länder-Koalitionen immer wieder erwogen und versucht wurden: Aber im Bund ist dies der erste Versuch einer Annäherung – das lustlos-kuriose „Jamaika“-Gespräch zwischen Union, Grünen und FDP vor acht Jahren zählt ja nicht wirklich.

Von den Zahlen her würde es diesmal passen – 41,5 plus 8,4 Prozente ergeben eine hinlängliche Mehrheit. Alt genug für eine Lebensabschnittspartnerschaft wären sie auch, die Öko-Partei hat dieses Jahr ihren 33. Geburtstag gefeiert. Nur drei Probleme gibt es, idealtypisch verkörpert in drei Personen: Seehofer, Trittin – und Angela Merkel.

Eine Einladung der Kanzlerin schlägt man nicht ab

Seehofer ist der einfachste Fall. Er hat der CSU die absolute Mehrheit zurückgebracht. Aber Alleinregierungen haben es an sich, dass alle anderen für sie Konkurrenz darstellen. Und die Grünen sind in Bayern eine sehr ernst zu nehmende Konkurrenz. General Dobrindt kann in seinem oberbayerischen Wahlkreis Ort für Ort aufzeigen, wie die Grünen immer stärker geworden sind, während die SPD als einstellige Splitterpartei verharrt.

Er gibt deshalb doppelt gern die Kavallerie: „Die Friedenspfeife ist ein Instrument, das im Werkzeugkasten der Generalsekretäre nicht vorkommt“, vermerkt Dobrindt am Dienstag am Rande der CDU/CSU-Fraktionssitzung in Berlin. Hinter den geschlossenen Türen hat Merkel übrigens erneut versichert, dass die Union „ernsthaft“ auch mit den Grünen sondieren wolle, und hinzugefügt, dies gelte auch für Seehofer. Die Fraktion hat wissend, also ungläubig gemurmelt.

Der Problemfall Trittin ist komplizierter. Er ist nämlich der Einzige, der eine schwarz-grüne Koalition in der eigenen Partei durchsetzen könnte. Der 58-jährige zählt zur Gründergeneration, als Student war er Kommunist und besetzte in Göttingen Häuser, als Umweltminister verhandelte er den Atomkonsens. Die Biografie verschafft ihm bei der eigenen Parteilinken eine Autorität, die vielleicht ausreichen würde, dass sie ihm in ein schwarz-grünes Abenteuer folgen.

Die grüne Seele

Doch das mit der Autorität ist seit dem Wahlabend so eine Sache. Trittin war bis dahin die Nummer eins, das Steuer-Wahlprogramm war sein persönliches Ding. Nach der Niederlage musste er widerwillig den Fraktionsvorsitz räumen. In der Sondierungsdelegation sitzt der designierte Hinterbänkler aber noch. Das wirkt so kurios wie es trotzdem logisch ist: Schwarz-Grün ohne den ausgefuchsten Trittin als Vizekanzler kann sich bei den Grünen überhaupt keiner vorstellen. Das erklärt vielleicht auch seine Last-Minute-Attacken. Gemeint sind damit gar nicht Merkel oder Friedrich; gemeint sind die eigenen Truppen, die hören sollen: Hier kämpft einer ungebeugt und ungebrochen nicht für den Dienstwagen, sondern um die grüne Seele.

Wobei Trittin die Chancen auf Dienstwagen genauso skeptisch sieht wie die meisten anderen in der Führungsriege, eben wegen der grünen Seele. Mit 15 Prozent Selbstbewusstsein ließe sich leichter verhandeln als mit mickerigen 8,4 Prozent Wählerstimmen. Außerdem hat niemand ein schwarz-grünes Bündnis vorbereitet, und niemand hat die Partei vorbereitet. Da draußen im Lande würden es viele als Verrat empfinden, nicht zuletzt unter den alten Getreuen, den Friedensmarschierern und Brokdorf-Blockierern, die ihr halbes Leben gegen Helmut Kohl gelebt haben und gegen die CDU. Die Grünen würden Wähler verlieren und Mitglieder dazu.

Trotzdem – eine Einladung der Kanzlerin schlägt man nicht ab. Man hat sie ja vor acht Jahren auch nicht abgeschlagen. Das „Jamaika“-Gespräch dauerte allerdings bloß eineinhalb Stunden, Grünen-Chefin Claudia Roth lobte nachher die „Entdämonisierung“ der Grünen und Merkel betonte: „Die Tür ist nicht zu.“ Schöne Worte, folgenlos. Roth und ihr Co-Chef Reinhard Bütikofer hatten sich nicht mal einen Plan zurecht gelegt – für eine Demonstration des guten Willens reichte ein Zettel mit Stichpunkten.

Dass es ernst ist, zeigt die Vorbereitung

Dass es dieses Mal ernster ist, lässt sich schon an der ganz anderen Art der Vorbereitung ablesen. Auch wenn sie seit dem Wahlabend vorrangig mit Dingen beschäftigt sind, die nichts mit Regierungsbildung zu tun haben, Rücktritten, Antritten, Kampfkandidaturen und so weiter – die führenden Köpfe in der Partei wissen, dass sie sich für die Zukunft neue Optionen eröffnen müssen. Die acht Unterhändler haben tagelang über politische Schwerpunkte beraten, die sie in einem schwarz-grünen Bündnis umsetzen wollen. „Wir müssen zeigen, dass wir uns nicht nur um uns selbst drehen, sondern auch Verantwortung übernehmen“, hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine Parteifreunde schon vor Tagen ermahnt.

Kretschmann ist vielleicht der wichtigste Grund dafür, dass die Sondierung diesmal mehr ist als höfliche Formsache unter eigentlich desinteressierten Demokraten. Der weißborstige Super-Realo aus Stuttgart ist für viele in der Union der lebende Beweis dafür, dass man grün sein kann, ohne Trittin sein zu müssen. Sogar Seehofer hat ihn vorgeschoben, um seine Niederlage zu kaschieren: Mit dem, ja mit dem könne man reden! Mit Trittin nicht, er jedenfalls nicht, hatte nämlich der Bayer kurz nach der Wahl dekretiert: „Damit hat sich das.“

Hat er wirklich gedacht, er kann die Tür zuknallen, weil niemand dem absoluten Horst zu widersprechen wagt? Es hatte sich nicht.

Noch immer gibt es einen Graben

Je öfter das CDU-Präsidium sich jetzt getroffen hat, desto klarer ist ein Willen zu erkennen gewesen, jetzt auch von christdemokratischer Seite aus diese schwarz-grüne Option mal ernsthaft zu betrachten.

Die Bewegung ging nicht von den üblichen Verdächtigen aus, der alten „Pizza Connection“ um Peter Altmaier oder Hermann Gröhe, die sich schon in Bonner Tagen mit den damals jungen Grünen gut verstanden haben. Das stärkste Moment kam aus den Ländern: Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen. Dass alle vier Landesverbände von Vize-Bundesvorsitzenden angeführt werden, ist ein hübscher Zufall. Kein Zufall ist, dass für alle vier nach der nächsten Wahl daheim die Grünen als Partner nützlich werden könnten; Volker Bouffier in Hessen führt das gerade vor.

Merkel hat die plötzliche schwarz- grüne Begeisterung mit dem Hinweis auf den sehr schweren Gang zu bremsen versucht, den ein solches Bündnis gegen einen Bundesrat gehen müsste, der auf absehbare Zeit von roten Länderfürsten dominiert wird, der Kurfürstin Hannelore Kraft aus NRW vorweg. Ansonsten hat sie sich aber nicht entgegen gestellt. Wie denn auch – sie selbst hat ja mit dem Fukushima-Atomschwenk den tiefsten Graben zugeschüttet.

Die Sache ist schwierig

Doch es gibt immer noch einen Graben. Er ist ebenfalls tief, vor allem aber breit, und er hat mit Merkels Wahlkampf zu tun. Die Kanzlerin, die ihre CDU fast an die absolute Mehrheit geführt hat, hat ihrem Volk wenig Konkretes versprochen. Dafür war die Grundbotschaft um so deutlicher. Vernunft und Augenmaß, lautete sie, stabile Verhältnisse – oder kurz: keine Experimente.

Eine große Koalition wäre ja bestimmt auch nicht einfach, allein schon wegen der Kurfürstin Kraft und des ewigen Zappelphilipps Gabriel. Aber ein Bündnis der Volksparteien ist jedenfalls kein Experiment.

Schwarz-Grün wäre eins, in jeder denkbaren Hinsicht, personell, inhaltlich, kulturell. Das schließt diesen Weg nicht aus. Aber es macht ihn kompliziert. Der bekennende Schwarz-Grün-Freund Jens Spahn hat schon die halbe niederrheinische Landwirtschaft am Telefon gehabt: Ob sie jetzt völlig verrückt geworden sind da in Berlin, hat seine Wählerschaft den CDU-Abgeordneten gefragt. Die Frage war rhetorisch gemeint.

Spahn ist trotzdem weiter ein Anhänger von Schwarz-Grün. Aber spätestens seit der Anrufserie ist ihm klar, dass es mehr brauchen könnte als eine Verständigung einer kleinen Gruppe pragmatischer Polit-Profis auf ein halbwegs tragfähig erscheinendes Regierungsprogramm und eine Mannschaft, die sich nicht in jeder Kabinettssitzung gegenseitig die Nasen abbeißt – von den allfälligen Koalitionsrunden mit dem gewissen Horst Seehofer ganz zu schweigen.

Schwarz-Grün braucht einen überzeugenden Grund

Nein, die Sache ist schwieriger, viel schwieriger. Schwarz-Grün braucht einen überzeugenden Grund. Und Angela Merkel brauchte einen sehr, sehr überzeugenden Grund für Schwarz-Grün.

Am Donnerstagnachmittag sammelt sich die Grünen-Unterhändlerschar im Jakob-Kaiser-Haus. Sie haben sich zu acht vorher in der Parteizentrale vorbereitet, jetzt wollen sie in die Parlamentarische Gesellschaft, mit kleinem Umweg außenrum an den aufgebauten Kameras vorbei. Bloß – wo steckt Trittin? „Einer fehlt!“ ruft Claudia Roth und stoppt die Truppe. Das wäre ja auch noch schöner. Gleich kommt der Seehofer, und dann guckt er sich gravitätisch im Verhandlungsraum um – und dann ist der Trittin nicht da?

Drei Stunden später steht fest: Auch mit den Grünen wird es eine zweite Sondierung geben, wie mit der SPD. Sehr ernsthaft sei das Gespräch gewesen und professionell, berichtet CDU-General Gröhe, was der CSU-Kollege Dobrindt unterstreicht, ergänzt um die Maßangabe, „dass der Weg von den Grünen zu uns etwas länger ist als der Weg der SPD zu uns“. Auch die Grünen fanden das Klima okay: Sachlich, freundlich, positiv. Ob man sich näher gekommen sei? „Wir kennen uns doch“, sagt Roth. Außerdem, näher kommen, das gehöre in einen anderen zwischenmenschlichen Bereich. Aber viele Themen sind noch gar nicht behandelt, darum das zweite Treffen. Und natürlich wieder mit Trittin. Sie hatten auf ihn gewartet. „Ohne Jürgen gehn wir nicht rein“, hatte Roth gerufen. Was, wie schon gesagt, umfassend gilt.

Erschienen auf der Dritten Seite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false