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Ein bewaffneter Beamter der österreichischen Militärpolizei bewacht den Tatort nach dem Anschlag nahe der Synagoge im Wiener Stadtzentrum.

© dpa

Schwieriger Anti-Terror-Kampf in der EU: Das Misstrauen der Geheimdienste

Deutschland und Frankreich fordern eine engere Zusammenarbeit in der EU gegen den Terrorismus. Doch die Staaten in der Gemeinschaft misstrauen einander.

Erst Frankreich, jetzt Österreich – Europa muss zurzeit wieder Terroranschläge ertragen. Jedes Mal folgen Solidaritätsbekundungen europäischer Politiker. Doch sollte die EU auch strukturell noch stärker gemeinsam gegen Terror vorgehen – das besagte zumindest eine gemeinsame Erklärung Deutschlands und Frankreichs, die nach dem islamistischen Attentat in der vergangenen Woche in Nizza veröffentlicht wurde.

In der Erklärung kündigen die Innenminister Horst Seehofer (CSU) und sein Amtskollege Gérald Darmanin (LREM) an, dass der deutsche EU-Vorsitz das Thema auf die Agenda des Treffens der EU-Innenminister am 13. November setzen werde. Bis dahin prüfe man, „wie der Informationsaustausch über Personen, die eine terroristische oder gewalttätige extremistische Bedrohung darstellen, verbessert werden kann“.

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Das sei der richtige Ansatz, findet Alexander Ritzmann, Terrorismus- und Sicherheitsforscher bei der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik (DGAP). Der Austausch von Daten und Information sei der Schlüssel zu echter EU-Kooperation gegen Terror, „das ist die größte Baustelle, die angegangen werden muss“, sagte Ritzmann im Gespräch mit EurActiv Deutschland.

Experte fordert Vernetzung bei der Terrorbekämpfung

Terrorismus sei ein internationales Phänomen, und brauche daher eine internationale Antwort, so Ritzmann: „Man braucht ein Netzwerk, um ein Netzwerk zu schlagen.“ Terroristische Akteure koordinieren sich immer besser grenzübergreifend, erklärte er. Das gelte nicht nur für radikal-islamistische Zellen, sondern vermehrt auch in der rechtsextremen Szene. „Dort hört man immer öfter: Deutsch, Französisch, Polnisch - egal, der Kampf für weiße Herrenrasse vereint uns“, so Ritzmann.

Anschläge werden im Ausland vorbereitet, Täter fliehen über Grenzen, Geldflüsse bilden ein Netzwerk aus internationalen Konten. Dagegen kommen Einzelstaaten nicht effektiv an. Also müssten sie ihr Wissen teilen. Das Problem: Die EU-Staaten, vor allem ihre jeweiligen Nachrichtendienste, misstrauen einander teilweise. „Nachrichtendienste sind dafür bekannt, Informationen zu sammeln, nicht aber dafür, sie weiterzugeben“, so Ritzmann.

Hehre Vorsätze nach Anschlägen in London und Madrid

Nach den Anschlägen in den frühen 2000-er Jahren, etwa in London oder Madrid, gelobten die EU-Staaten, großzügiger mit ihren Informationen umzugehen. Was aber immer noch fehlt, ist eine Struktur dafür. Das Prinzip lautet bislang „Need-to-Know“: Demnach werden nur dringend notwendige Informationen übermittelt. Doch über die Auswahl entscheiden nicht die Empfänger, sondern die Absender der Informationen.

[Erschienen bei EurActiv. Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.]

Staaten entscheiden also von Fall zu Fall, wem sie welche Geheimdienstinformationen geben. Das laufe oft informell ab, abseits der Brüsseler Konferenzsäle, und hänge vom bilateralen Vertrauen zwischen Ländern und deren Behörden ab, so Ritzmann. Statt einer solchen unbefriedigenden Ad-hoc-Lösung brauche eine echte Struktur, eine gemeinsame Datenbank.

Als Vorbild könne laut Ritzmann das System in Deutschland dienen, das wegen der föderalen Struktur sowieso „eine Art Mini-EU“ sei: Die Bundesländer und der Bund haben eigene Kriminalämter und Verfassungsschutzorgane. Die gemeinsame Terrorismus-Bekämpfung funktioniert nach einem einfachen Prinzip: In einer gemeinsamen Anti-Terror-Datenbank sehen die angeschossenen Behörden, ob anderswo relevante Informationen vorhanden sind.

Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern verläuft nicht immer spannungsfrei: Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin.
Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern verläuft nicht immer spannungsfrei: Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin.

© dpa

Man sieht also, ob eine andere Behörde Informationen hat, aber diese entscheidet, was sie mit wem teilt. Wenn beispielsweise die bayerische Polizei bei der Durchsuchung der Wohnung eines Gefährders unbekannte Namen und Telefonnummern sicherstellt, dann können die Ermittler in Bayern in der Datenbank sehen, ob diese zu weiteren Terrorverdächtigen etwa in Berlin gehören. Die Berliner Behörde entscheidet dann, welche Informationen sie den Kollegen in Bayern auf Anfrage weiterleitet. Das wahrt die Balance zwischen Effizienz, Quellenschutz und Datenschutz.

Auf EU-Ebene wäre das genauso umsetzbar. Doch dazu brauche es einerseits mehr Offenheit von den Mitgliedstaaten, die ihre innere Sicherheit weiterhin selbst regeln wollen, und andererseits Druck von außen, etwa von der Zivilgesellschaft. Die aktuellen Anschläge könnten diesen Druck erzeugen, und der deutsch-französische Vorstoß könnte ebenfalls dienlich sein, so Ritzmann.

EU-Finanzminister sprechen über Trockenlegung der Terrorfinanzierung

Ob es reicht, wird sich beim Treffen der EU-Innenminister am 13. November zeigen. Bereits an diesem Mittwoch sprechen ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzressort per Videokonferenz über Terrorbekämpfung mit Blick auf eine Trockenlegung der Geldströme an extremistische Organisationen.

Dazu sagte ein Sprecher des Finanzministeriums gegenüber EurActiv Deutschland,  Deutschland habe „Ratsschlussfolgerungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erarbeitet“ und wolle am Mittwoch „eine politische Einigung“ darüber erzielen. Die ambitionierten Ratsschlussfolgerungen sollen der EU- Kommission eine politische Leitlinie geben für die für 2021 angekündigten Legislativvorschläge.

Europäische Kooperation gegen Terrorismusfinanzierung sei sinnvoll, sagt dazu der Experte Ritzmann. Doch auch dafür brauche es besseren Informationsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten, um Geldflüsse tatsächlich nachverfolgen zu können.

Philipp Grüll

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