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Aus eigener Betroffenheit aktiv geworden: der CSU-Abgeordnete Erich Irlstorfer.

© Harald Regler

Selbsthilfe gegen die Folgen von Long Covid: Wie ein erkrankter Abgeordneter aktiv wurde

Der CSU-Politiker Erich Irlstorfer leidet unter Long Covid. Doch er ist nicht passiv geworden. Im Gegenteil: Mit einem Verein will er Betroffenen helfen.

Der 3. Januar 2021 hat vieles verändert im Leben des CSU-Politikers Erich Irlstorfer. An diesem Tag infizierte sich der damals 50-Jährige beim Besuch seiner Mutter in einer Palliativstation im oberbayerischen Markt Wartenberg mit Covid-19 – „trotz äußerster Vorsichtsmaßnahmen“, also täglicher Tests und regelmäßig angelegter Schutzkleidung, wie er betont. Neun Tage später lag er im Krankenhaus, mit Lungenproblemen, einem völlig aus dem Takt geratenen Blutdruck sowie einem heftigen Abfall der Sauerstoffsättigung. Seine Mutter war schon drei Tage vorher an Covid-19 gestorben. Und das SARS-CoV-2-Virus erwischte auch den Rest der Familie: die Frau, die 17-jährige Tochter, den neunjährigen Sohn.

Irlstorfer selber war einige Wochen zur Reha, erst ambulant, dann stationär. Nach wie vor kämpft der Diabetiker gegen Müdigkeitsschübe und Konzentrationsstörungen. Gerade steigen seine Antikörper-Werte wieder. Auch bei den anderen arbeitet die Immunabwehr weiter auf Hochtouren, deshalb kann sich nach wie vor keines der Familienmitglieder impfen lassen.

Aufklärung und Selbsthilfe 

Doch das alles hat den Freisinger Bundestagsabgeordneten und vormaligen Außendienstmitarbeiter der AOK Bayern zu keinem passiven Menschen gemacht. Im Gegenteil: Irlstorfer kämpft nicht nur gegen seine eigene Krankheit, er will auch anderen Betroffenen helfen. Ende Mai rief er zusammen mit 12 weiteren Mitstreiter:innen einen Verein namens „ELIAS“ ins Leben. Der Vorname ist eine Abkürzung, er steht für „durch Covid-19 Erkrankte und Langzeitgeschädigte sowie deren Angehörige zur Information, Aufklärung und Selbsthilfe“.

Zudem wolle man darauf hinwirken, dass die medizinische Versorgung der Betroffenen verbessert und die „Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, deren Angehörigen und den Ärzten sowie Wissenschaftlern“ gefördert werde, heißt es in der Satzung. „Vordringlich“ zwar erst mal in Irlstorfers Wahlkreis 214, also den oberbayerischen Landkreisen Freising, Pfaffenhofen an der Ilm und Neuburg-Schrobenhausen. Allerdings war schon bei der Gründungsversammlung durchzuhören, dass der Anspruch ausgreifender ist. Es gebe „Tausende von Menschen in Deutschland, die an den Spätfolgen von Covid-19 zu tragen haben“, betonten die Initiatoren. Für diese gebe es derzeit keinen Ansatz zur Hilfe, „damit es wieder so wird, wie es vorher war“. Und besonders problematisch sei dabei das Auftreten des Fatigue-Syndroms (CFS/ME), unter dem rund zwei Prozent der Corona-Patienten litten.

Starke Resonanz auf ein Facebook-Video

Entstanden war die Idee aus der gewaltigen Resonanz auf ein Facebook-Video, mit dem Irlstorfer die Bürger seines Wahlkreises über seine Erkrankung informiert hatte – Anfang Februar und noch aus seiner Reha in Passau heraus. Zwar habe er schon vorher gewusst, dass diese Erkrankung „nicht schön“ sei, sagt der müde wirkende Patient darin. Doch wenn man sie selber durchmache, erlebe man alles nochmal anders, körperlich und psychisch. Behauptungen, dass Covid-19 nur wie eine Art Grippe verlaufe, seien jedenfalls „ein absoluter Schmarrn“.

7500 Menschen hätten sich den Beitrag angesehen, berichtet Irlstorfer. Und etliche hätten nicht nur Anteilnahme gezeigt, sondern – als ebenfalls Betroffene – auch ähnliche Hilflosigkeit geschildert, wie von ihm selbst erlebt: Sie wurden als gesund entlassen, kamen aber nicht wieder auf die Beine. Ihnen fehlten Ansprechpartner, kompetente Ärzte und Psychotherapeuten, Tipps zum Umgang mit genervten Arbeitgebern oder mit verständnislosen Mitarbeitern bei Krankenkassen und Rentenversicherung.

Renommierte Expert:innen im Beirat

Der Verein habe zwar „regionale Wurzeln“, sagt der Vorsitzende. Man wolle sich aber „nicht verzwergen“. Angestrebt seien durchaus auch Initiativen auf nationaler, sogar internationaler Ebene. Dass Irlstorfer als Abgeordneter im Gesundheitsausschuss des Bundestages sitzt, ist dabei nicht von Nachteil. Regionale Beiräte, die bei der konstituierenden Vorstandssitzung Anfang Juni berufen wurden, sollen dem Verein Themen vorgeben. Ein Beirat für nationale und internationale Aufgaben will Kontakte zu Forschung und Wissenschaft herstellen.

Der Verein hat sich vernetzt, mit vielen Universitäten, Institutionen, Gesundheitsexperten. Und es sind illustre Namen, die Irlstorfer aufzählt. Die Long-Covid-Expertin Carmen Scheibenbogen vom Institut für Medizinische Immunologie der Berliner Charité ist darunter, Uta Behrends von der Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Technischen Universität München, der frühere wissenschaftliche Geschäftsführer des Innovations- und Gründerzentrums Biotechnologie (IZB) in Martinsried und Sprecher des Münchner Spitzenclusters „m4 – personalisierte Medizin und zielgerichtete Therapien“, Horst Domdey, und der langjährige Präsident der Technischen Universität München, Wolfgang A. Herrmann.

Zum September eine Internet-Plattform

Unterstützung signalisierten auch die bayerische Johannesbad Gruppe aus Bad Füssing mit ihren neun Fach- und Rehakliniken, der Babynahrungshersteller Hipp mit deutschem Firmensitz in Pfaffenhofen und der Bauunternehmer Thomas Bauer aus Schrobenhausen mit seinen internationalen Kontakten. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) stelle fünf Millionen Euro für die weitere Erforschung von Long Covid zur Verfügung. Und über Parteifreund Manfred Weber, den Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, hoffe man auf EU-weite Vernetzung.

Überregionale Reichweite bekommen könnte das Ganze durch eine Internet-Plattform, die am 1. September starten soll. Der Bundestag dagegen, Irlstorfers berufliches Spielfeld seit acht Jahren, ist gerade in der Sommerpause und danach voll im Wahlmodus. Allerdings habe er auch von dort Anteilnahme und gesteigertes Interesse am Thema Long Covid erfahren, berichtet der bisherige Pflegebeauftragte seiner Fraktion – und zwar über Parteigrenzen hinweg. Irlstorfer will übrigens wieder rein ins Bundesparlament, zum dritten Mal. 43 Prozent der Direktstimmen erhielt er 2017. Und von seiner Parteibasis schon mal einen Vertrauensbeweis. Sie kürte ihn mit 96 Prozent der Stimmen zum Kandidaten.

Der 51-Jährige, der auch im Unterausschuss Globale Gesundheit sitzt, traut sich den aufreibenden Job als Bundestagsabgeordneter nochmal zu. Und er geht dabei offen mit seinem Long-Covid-Handicap um. Es werde schon Tage geben, an denen er Pausen machen müsse, räumt Irlstorfer ein. Dann aber auch wieder solche, an denen er sich stark und energiegeladen fühle. „Ich will Menschen durch Politik helfen“, sagt der CSU-Politiker. „Das galt während meiner gesamten beruflichen und politischen Karriere.“ 

Ungehalten über Corona-Verharmloser

Womöglich sieht er die Corona-Politik der Bundesregierung nun aber noch aus einem etwas anderen Blickwinkel. In der Pandemie hat Irlstorfer schon mal den Satz geprägt, dass die Pflegekräfte vom Klatschen allein keine Mieten bezahlen könnten. Doch welche Positionen bezieht er im Dauerstreit um Lockdowns und Öffnungen, um Tests und Freiheitsbeschränkungen? Der Abgeordnete klingt erstaunlich zurückhaltend. Er sei erklärter Gegner einer Impfpflicht, sagt er. Setze stattdessen weiter auf Überzeugungsarbeit, „die Kraft des Wortes“. Unbedingt aber müsse es seriöse Information und Impfangebote für die gesamte Gesellschaft geben.

Etwas ungehalten wird Irlstorfer allerdings, wenn es um Corona-Verharmloser geht. Vor denen sind sie schon in ihrem Verein auf der Hut. Um sich vor „Unterwanderung“ zu schützen, werde man alle künftigen Mitglieder vor ihrer Aufnahme genau prüfen, so die Ansage. Und auch Politiker-Auftritte, wie die des Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger, ärgern den CSU-Mann. Nicht weil dieser sich selber nicht impfen lassen wolle, was sein gutes Recht sei, sondern weil er öffentlich Ängste vor angeblich „massiven Nebenwirkungen“ schüre. Von einem stellvertretenden Regierungschef erwarte er mehr Fachlichkeit und Verantwortungsbewusstsein bei diesem so wichtigen Thema, sagt Irlstorfer. Stattdessen sei der Chef der Freien Wähler offenbar auf „schnellen Applaus“ und Stimmenfang in gewissen Kreisen aus.

„Noch sehr dicke Bretter zu bohren“

Aufgrund seiner Krankheitserfahrungen reagiere er „angegriffener“ auf Menschen, die Corona kleinreden wollten und die Gesundheit anderer in Gefahr brächten, berichtet Irlstorfer. Und dass er dann als Betroffener „auch schon mal ins Detail“ gehe. Gleichzeitig müsse er sich bei der Reaktion auf gewisse Äußerungen mitunter emotional „sehr disziplinieren“.

Insofern ist die Vereinsarbeit für Betroffene vielleicht auch ein inneres Ventil. Trotz der schweren Zeit habe vieles sehr gut geklappt bei seiner Behandlung, so Irlstorfer. Dafür sei er dankbar. Andererseits gebe es enormen Bedarf an Forschung, Wissensvermittlung und Hilfestellung für die Patienten. Ob bei Diagnostik, Mediziner-Fortbildung, Prävention – oder bei der Durchsetzung von Krankengeldbezug und möglicher Erwerbsunfähigkeit. Gleichzeitig gelte es Ängste abzubauen, Prävention zu betreiben. Gerade drehen sie im Verein kurze Filme, um ausländische Mitbürger in deren Muttersprache übers Impfen zu informieren. „Wir haben es mit einer ganz neuen und sehr gefährlichen Krankheit zu tun“, sagt der Politiker. Da gelte es „noch sehr dicke Bretter zu bohren“.

Auch Reha-Kliniken gründen Selbsthilfegruppe

Die Gründung einer weiteren, bundesweiten Selbsthilfegruppe für Long-Covid-Erkrankte verkündeten auch die Reha-Kliniken der Median-Unternehmensgruppe. Unterstützt wird ihr Projekt vom Landesverband Sachsen für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e. V. (LVS/PR).

„Wir wollen nicht nur unsere Expertise aus mittlerweile mehr als 2.000 Behandlungen in diesem Forum teilen, sondern auch den betroffenen Menschen ermöglichen, sich gegenseitig zuzuhören und zu helfen“, erklärte der Initiator und Chefarzt der Klinik für Herz-Kreislauf-Erkrankungen der Median-Klinik Bad Gottleuba, Christoph Altmann. Seit Mai sei bereits eine Fach-Plattform namens „Medical Board Long Covid“ im Internet, mit dem man das bisherige zu Wissen zu Covid-19-Langzeitfolgen zusammenzutragen und so die Rehabilitation zu optimieren versuche. Und gefolgt sei dem auch die Einrichtung einer allgemein zugänglichen Website namens www.long-covid.de, die Ärzten, Kliniken, Therapeuten und Patienten gesammeltes Wissen und Behandlungserfahrungen zur Verfügung stelle.

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