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SPD-Chef Sigmar Gabriel beim Empfang für ehrenamtliche Flüchtlingshelfer.

© Kay Nietfelddpa

Der SPD-Chef und die Flüchtlinge: Sigmar Gabriel hat eine Mission

Fünf Tage nach seinem Besuch in Heidenau treibt Sigmar Gabriel das Thema Fremdenfeindlichkeit um. Dabei ist er nicht gerade zimperlich.

Von Hans Monath

Manchmal machen 220 Kilometer den Unterschied zwischen zwei Welten aus. 220 Kilometer sind es vom Reichstag und der Bundespressekonferenz zum ehemaligen Baumarkt in Heidenau, der von Fremdenfeinden belagert wurde, weil dort Flüchtlinge untergebracht werden. Am Montag hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Aufnahmelager nahe Dresden besucht und anschließend harte Worte für die Gewalttäter gefunden ("Pack"). Fünf Tage später treiben ihn die Themen Hilfe für Flüchtlinge und Akzeptanz für Fremde immer noch um, auch wenn er an diesem Samstagmittag und -abend in Berlin-Mitte kein einziges kritisches Wort gegen Asylbewerber hört.

Im Fraktionssaal der SPD im dritten Stock des Reichstags ehren Partei und Fraktion an diesem Nachmittag rund 400 ehrenamtliche Flüchtlingshelfer mit SPD-Parteibuch, ein Heimspiel für den Vorsitzenden. Gabriel hat die Brisanz und die Dimension der Herausforderung eher erkannt als der Koalitionspartner, redet mit seinen Appellen zur Solidarität der eigenen Partei aus der Seele und hat mit seinen seit Monaten vorbereiteten Konzepten zur Hilfe für Länder und Kommunen nun die Meinungsführerschaft gegenüber der Kanzlerin erobert. Die Genossen, die in ihrer Freizeit für Flüchtlinge Spenden sammeln, Kindern aus Syrien oder dem Irak Nachhilfe geben oder Freizeitangebote organisieren und die Not der Flüchtlinge aus eigener Anschauung kennen, spenden ihm viel Beifall für seine Analysen und Thesen. Der Vorsitzende revanchiert sich mit dem Lob "Ihr seid die Besten der Partei".

Warum wird nicht effektiver geholfen?

Aber auch wenig später vor der Bundespressekonferenz, zu der wegen des Tags der offenen Tür ganz normale Bürger geladen sind und Fragen stellen dürfen, warnt niemand vor einer Überforderung des Landes, gibt niemand Ängsten vor den Hunderttausenden von Flüchtlingen allein in diesem Jahr Ausdruck. Von rund 30 Fragen in der einen Stunde Presse- und Bürgerkonferenz mit Gabriel beziehen sich nur vier auf Flüchtlinge – und alle drei Bürger wollen wissen, warum diesen nicht effektiver geholfen werde, warum die Hürden für den Weg nach Europa so hoch seien und ob deutsche Waffenexporte nicht zu Krisen und Kriegen beitragen, welche die Menschen erst aus ihrer Heimat vertreiben. Sonst geht es quer durch alle Felder der Politik: Rente, Energiewende und immer wieder TTIP.

Bei beiden Terminen erlebt Gabriel eine Aufgeschlossenheit gegenüber den Schutzsuchenden, von der er überzeugt ist, dass sie die große Mehrheit im Land teilt. "Ihr repräsentiert das Deutschland, das vielleicht 99 Prozent unserer Gesellschaft ausmacht", sagt er den ehrenamtlichen Helfern. Die "Rechtsradikalen, die Rechtsterroristen, die Mordbrenner" dürften nicht das Bild Deutschlands bestimmen. Wieder spitzt der SPD-Chef zu: "Das sind die eigentlichen Undeutschen."

Keinen Anlass für Neid schaffen

Doch Gabriel braucht keine skeptischen oder kritischen Fragen, um zu wissen, dass angesichts der dramatischen Zahlen und dramatischen Bilder manche Bürger von Ängsten geplagt werden und für Ressentiments und Propaganda anfällig werden. Während er sich hart abgrenzt gegenüber rechtsradikalen Propagandisten und Gewalttätern, will er um die Schwankenden kämpfen, wie er deutlich macht, ohne Probleme totzuschweigen. "Es gibt auch viele Menschen bei uns, die sind verunsichert", sagt er: "Wir müssen auch diesen Teil der Gesellschaft mitnehmen."

Anlass für Neid will der Vizekanzler jedenfalls nicht schaffen, neue Wohnungen nicht nur speziell für Flüchtlinge, sondern für alle bauen. "Wir werden Konflikte bekommen", prophezeit er und warnt vor neuen Spaltungen. "Die Menschen bleiben nur zusammen, wenn sie den Eindruck haben, wir gucken auf alle, und nicht nur auf wenige." Die Sozialdemokraten müssten deshalb die Rolle der "Kümmerer" übernehmen und zeigen, dass sie die Sorgen der Verunsicherten "so ernst nehmen wie die der Menschen, die zu uns kommen". Es ist der gleiche Gedanke, aus dem heraus Gabriel um den Jahreswechsel an einer Debatte in Dresden teilnahm, die auch von Pegida-Anhängern besucht wurde. Damals trug ihm das aus der eigenen Partei viel Kritik ein.

Ein kleiner polemischer Seitenhieb

Vor den Helfern kritisiert Gabriel jene hart, die für die Sicherheit des Aufnahmelagers in Heidenau und für den Versuch verantwortlich sind, ein Solidaritätsfest für die Flüchtlinge am Wochenende zu verbieten. Natürlich habe der Staat die Aufgabe, für Sicherheit zu sorgen, meint der SPD-Chef: "Man kann nicht sofort nach dem Aufstand der Anständigen rufen, wenn es den Anstand der Zuständigen nicht gibt." Es sei "völlig absurd", dass die Behörden in Heidenau "einknicken vor den Nazis".

Der Bürger, der gegen das Verbot von Solidaritätsversammlungen vor dem Heidenauer Aufnahmelager erfolgreich das Bundesverfassungsgericht anrief, war laut Gabriel ein Juso. Er bekommt vom Parteichef ein besonderes Lob, das für die Gegenseite eine Ohrfeige sein soll: "Ein Jurastudent aus Bonn hat der sächsischen Administration und dem sächsischen Staat mal gesagt, was ein Rechtsstaat ist."

Parteipolitische Profilierung, so mahnt Gabriel einmal an diesem Samstag, helfe bei der Bewältigung der Probleme nicht weiter. Dass seine Sozialdemokraten seit Monaten auf mehr Hilfe für die Kommunen drängen, macht er trotzdem deutlich. Und einen kleinen polemischen Seitenhieb gegen Merkels G-7-Treffen von vor wenigen Wochen erlaubt sich der Vizekanzler auch noch: "Wenn wir sieben Spitzenpolitiker mit 20.000 Polizisten bewachen, wenn sie sich in Elmau treffen, wird es wohl möglich sein, dass wir 250 Flüchtlinge in Heidenau bewachen."

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