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Sigmar Gabriel: In der Zerreißprobe

Sigmar Gabriel sieht sich als „Minister für die Wirtschaft in Deutschland“. Als solcher darf er sich keinen Fehler erlauben – damit er SPD-Chef bleiben kann. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Sigmar Gabriel in aller Munde. Wieder einmal. Er soll sich entscheiden – rufen sie in der Wirtschaft. Wirtschaftsminister oder SPD-Vorsitzender, was kommt für ihn zuerst? „Der zerreißt sich“, hieß es anfangs anerkennend. Jetzt wird eine Liste der Vorhaltungen aufgemacht: Vermögensteuer, Ceta-Streit, TTIP. Und dass er nach dem Brexit-Votum EU-weit mehr Staatsgeld ausgeben will, um soziale Ungleichheit und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, findet auch nur negativen Widerhall – aus Furcht vor neuen Belastungen.
Was aber die Wenigsten verstanden haben: Gabriel ist entschieden. Er sieht sich als „Minister für die Wirtschaft in Deutschland“, und die hat den Menschen zu dienen, nicht umgekehrt. Das ist sein Markenkern als Wirtschaftsminister und als – nach Willy Brandt – längstgedienter Vorsitzender der SPD. Und nur für die würde sich Sigmar Gabriel zerreißen. Das gilt. Bis heute. Selbst wenn er sich den 12. Juli 2016 rot in seinem Kalender anstreichen muss – in seinem Kalender als Wirtschaftsminister. Denn das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf über die Ministererlaubnis zur Fusion von Kaiser’s/Tengelmann mit Edeka ist sanfter im Ton als das eines teils der SPD über ihren Vorsitzenden.

Er ist so eine Art oberster Betriebsratsvorsitzender der Republik

Das Argument des Ministers, dass seine Erlaubnis doch Arbeitnehmerrechte erhalte und damit dem Gemeinwohl diene – fürs Gericht nicht rechtens. Und hier kreuzen sich die Aufgaben. Gabriel ist Wirtschaftsminister und als SPD-Chef so eine Art oberster Betriebsratsvorsitzender der Republik. Für den Minister wäre es eine Illusion zu glauben, dass bei einer Übernahme unter Supermarktketten nicht auch Arbeitsplätze verloren gehen können. Daran kann auch er als Sozialdemokrat nichts ändern. Aber richtig: Es geht um Tausende Arbeitsplätze in einem Lohnbereich, der angestammt sozialdemokratisch ist, und um Kunden, die das auch sind. Da führt Handeln leicht ins Dilemma.
Gabriel bleibt jetzt nichts, als sich zu wehren. Denn seit Wochen werden in der Partei drei Fragen diskutiert: Kann dieser Vorsitzende die Sozialdemokratie aus dem Umfragetief führen? Hat er nach mehreren Kurswechseln noch die nötige Glaubwürdigkeit, um Kanzlerkandidat für die Wahl 2017 zu werden? Ist er der Richtige, Angela Merkel zu besiegen?
Drei Schicksalsfragen – und eine Trias der Zweifel. Die werden selbst von Mitgliedern der Parteiführung geteilt. Alternativen gibt es: Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und neuerdings wieder Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Drei für die drei herausragend wichtigen Themen der SPD: soziale Gerechtigkeit in allen Facetten, Europa, Frieden.
Der Fall Edeka/Tengelmann wird Gabriels Gegner in ihren Zweifeln bestärken. Für den Minister kommt es daher entscheidend darauf an, den Verdacht des Missmanagements und der Befangenheit auszuräumen. Restlos. Er darf keinen einzigen Fehler machen. Sonst kommt ein Untersuchungsausschuss. So würde Gabriel ein Jahr vor der Bundestagswahl in die Defensive gedrängt und womöglich vorzeitig als Kanzlerkandidat ausscheiden. Damit könnte er leben – wenn man ihm nur den SPD-Vorsitz ließe. Denn an eines glaubt Sigmar Gabriel immer noch, trotz alledem: dass er für das Amt der Richtige ist. Weil sich doch keiner so für die Partei zerreißt.

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