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Verschuldung der Welt: So hoch wie selten zuvor

Niemals seit dem Zweiten Weltkrieg waren die Staaten der Welt so hoch verschuldet wie heute. Aber nicht nur Regierungen – auch die privaten Haushalte und Unternehmen leben immer mehr auf Kredit.

Es habe nie einen „civilisierten Staat ohne Staatsschuld“ gegeben, hat der Professor für Politische Ökonomie Lorenz von Stein einmal gesagt. Und es solle auch „nie einen solchen geben“, meinte er. Denn ein schuldenfreier Staat mache entweder „zu wenig für seine Zukunft, oder er fordere zu viel von seiner Gegenwart“ – sprich: die Steuern sind zu hoch. Das war 1878. Die deutsche Staatsschuld lag damals bei etwa 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Lorenz von Stein hätte möglicherweise anders geurteilt, hätte er die heutigen Schuldenstände vor Augen. Freilich gab es auch damals schon Staaten, die tief in der Kreide standen. Das Habsburgerreich zum Beispiel hatte eine Staatsschuld von etwa 70 Prozent. Es galt als Staatswesen ohne große Zukunft. Frankreich wiederum, mit über 90 Prozent, litt noch unter den Folgen des deutsch-französischen Krieges. Im 20. Jahrhundert waren die von Deutschland ausgehenden Weltkriege Ursache noch weit höherer Staatsschulden.

Aber auch private Gier und Konsumlust sind Schuldentreiber. Auf Pump gekaufte Immobilien, bisweilen in spekulativer Absicht, sind die Ursache für die aktuelle Finanzkrise, die heftigste seit 1945. Immer öfter werden private Erwerbungen mit immer höheren Schulden finanziert. Für die Leistungen des modernen Interventionsstaates gilt das auch. Es ist das Zeitalter des Kredits. Der Kalauer sei erlaubt: Wir leben in einer neuen Kreidezeit.

Kreditblasen, hat der Wirtschaftsprofessor Moritz Schularick herausgefunden, führen immer wieder zu Finanz- und Bankenkrisen, bei denen die Staaten dann als Retter einspringen müssen. Die privaten Schulden haben in den vergangenen 30 Jahren massiv zugenommen, wie eine Übersicht von Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigt. Weltweit wuchs die Verschuldung privater Haushalte in den entwickelten Industriestaaten seit 1980 im Schnitt von 37 auf 93 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den USA verdoppelte sie sich auf 95 Prozent, in Großbritannien stieg sie von 37 auf 106 Prozent, in Spanien gab es eine Vervierfachung auf 91 Prozent. Nur in Deutschland wuchsen die privaten Schulden kaum: 64 Prozent waren es 2010, vor 30 Jahren dagegen 59 Prozent – damals fast schon der Spitzenwert, was möglicherweise erklären hilft, warum sich die Deutschen der globalen Schuldenrallye nicht anschlossen.

Auch Staaten und Unternehmen haben sich immer stärker verschuldet. Bei den Firmen der Industriestaaten wuchs die Schuldenlast von 85 auf 128 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Schulden der Industriestaaten haben sich seit 1980 sogar mehr als verdoppelt – von 44 auf 93 Prozent im Schnitt. Die Gründe sind vielfältig, aber Konjunkturpolitik, Subventionen und Sozialleistungen spielen eine Rolle. In Deutschland kam die Wiedervereinigung dazu. Vor allem die Finanzkrise seit 2008 trieb die Staatsetats tiefer in die Miesen. Der Schuldenstand aller Staaten stieg von 2008 – da waren es 66 Prozent – auf 81,3 Prozent 2012, folgt man dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Ein Zuwachs von 23,5 Prozent. In den Industriestaaten aber wuchsen die Schulden weitaus stärker: von 81,5 Prozent auf 110,7 Prozent. Ein Plus von 35,8 Prozent.

Die aufstrebenden Wirtschaftsnationen sind hingegen kaum berührt worden. Die Schwellenländer, darunter China, Indien, Brasilien, Mexiko, Russland und die Türkei, legten nur von 33,6 auf 34,8 Prozent zu. Manche dieser Länder stehen heute sogar besser da als vor der Krise. Auch die armen Länder waren wenig betroffen – ihre Schulden wuchsen von 41,1 auf 42,5 Prozent ihres BIP.

Freilich muss hier differenziert werden. Denn während entwickelte Länder wie Italien oder Belgien auch früher schon über Jahre hinweg Schuldenstände von mehr als 100 Prozent hatten, ohne zu kippen, kann in einem weniger entwickelten Staat schon eine Schuldenquote von 40 oder 50 Prozent zu massiven Problemen führen. Als Russland 1998 in die Krise schlitterte – nicht zuletzt, weil nervös gewordene Anleger ihr Geld aus dem Land abzogen – lag die Staatsschuld bei eigentlich unspektakulären 55 Prozent – um dann 1999 auf fast 89 hochzuschießen.

Und es kommt nicht unwesentlich darauf an, wer die Gläubiger sind. Der japanische Staat etwa bekommt das Geld vor allem von seinen eigenen Bürgern geliehen. Griechenland dagegen ist stark im Ausland verschuldet, und fremde Geldgeber sind eine weniger solide Gläubigerbasis als einheimische. Viele aufstrebende Staaten und Drittweltländer sind jedoch darauf angewiesen, sich im Ausland zu verschulden, denn die eigenen Bevölkerungen sind nicht wohlhabend genug. Und meist können sie sich auch nicht in der eigenen Währung verschulden, sondern müssen ihre Anleihen in Fremdwährung begeben – vor allem dem US-Dollar als globaler Leitwährung. Das schafft Abhängigkeiten, und eine Abwertung der eigenen Währung in Krisenzeiten (normalerweise eines der Rettungsmittel) verschärft dann die Situation, weil die Schulden weiterhin in der nun teurer gewordenen Fremdwährung bedient werden müssen.

Ab wann wird eine Staatsverschuldung gefährlich? Die Ökonomen sind da vorsichtig, weil es eben auf den jeweiligen Fall ankommt. Aber es gibt Indikatoren. Die Euro-Staaten haben sich ein Limit bei 60 Prozent des BIP gesetzt – diese Marke gilt als Stabilitätsgrenze. Aktuell vergeben die IWF-Ökonomen in einem Überblick über die finanzielle Verwundbarkeit der Staaten die rote Karte an alle Industrieländer, die über einer Quote von 72 Prozent liegen. Bei den Schwellenländern wird die Linie schon bei 43 Prozent gezogen. Die BIZ-Ökonomen gehen davon aus, dass sich ab 85 Prozent negative Effekte für das Wirtschaftswachstum ergeben. Der IWF hat aus einer historischen Untersuchung dagegen die Erkenntnis gewonnen, dass die Politik oft erst mit ernsthaften Gegenmaßnahmen beginnt, wenn die Schuldenquote über 100 Prozent klettert.

Und wie ist die Lage nun einzuordnen? In ihrem aktuellen „World Economic Outlook“ kommen die IWF-Ökonomen zu der Einschätzung, dass die Umstände der heutigen Schuldenkrise im historischen Vergleich „ernüchternd“ sind. Denn die Krise hat sich weit verbreitet, die private Verschuldung ist sehr hoch, die demografischen Trends – gemeint ist vor allem das Älterwerden der Bevölkerungen in den entwickelten Staaten – sind nachteilig. Die Entschuldung dürfte daher lange Zeit in Anspruch nehmen. Eine wachstumsfördernde Politik wird vom IWF dabei als wesentlich angesehen. Die ist bisher oft über eine höhere Verschuldung angegangen worden. Das aber hat nun seine Grenzen.

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