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Der Blick auf den Gaszähler wird wichtiger - der Preis für Heizen und Kochen steigt.

© Bernd Weißbrod/dpa

Neues Gesamtpaket gegen die Inflation: So will die Regierung Verbraucher in drei Schritten entlasten

Die Ampel plant ein Gesamtpaket gegen die Inflation: Was kann kurzfristig kommen? Wie gelingt die Finanzierung? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Der Bundeskanzler hat gemerkt, dass schnell gehandelt werden muss. Mit einem neuen Gesamtpaket wollen Olaf Scholz und seine Ampel-Koalitionäre auf die hohen Preise bei Gas, Strom und Nahrungsmitteln reagieren. Vor allem diese Sektoren treiben die Inflation in diesem Jahr massiv nach oben. Das begann schon im Winter, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die ausbleibenden Gaslieferungen haben es noch beschleunigt.

Die Annahme, dass die Inflation ihren Höhepunkt schon überschritten habe, könnte sich als trügerisch erweisen. Bundesbankpräsident Joachim Nagel rechnet mittlerweile mit einer zweistelligen Steigerungsrate im Herbst. Mehr als zehn Prozent Inflation – das hat es zuletzt 1951 gegeben. In der Nähe der aktuellen Inflationsrate von mehr als sieben Prozent lag die Preissteigerung allenfalls in den frühen Neunzigerjahren wegen des Einheitsbooms, um 1980 herum und Anfang der Siebzigerjahre.

Ein kräftiger Rückgang der Inflation steht vorerst nicht in Aussicht. Nagel rechnet für 2023 mit einer Inflationsrate von nochmals sechs Prozent – in diesem Jahr wird sie bei etwa acht Prozent liegen.

Was plant die Ampel im Gesamtpaket?

Das von Scholz angekündigte Gesamtpaket soll zügig beschlossen werden, das war in den vergangenen Tagen immer wieder zu hören. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Sonntag jedoch, man brauche noch „ein paar Wochen“. Es gebe einiges zu klären. Zuvor war in der Regierung von „letzten Abstimmungen“ die Rede gewesen. Wie immer die Details aussehen, in groben Zügen ist jedoch bekannt oder lässt sich schon erkennen, was in der Planung ist.

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Das Gesamtpaket wird, was die Wirksamkeit betrifft, wohl drei Teile haben. Teil eins ist schon vorgezogen worden. Die vom Kanzler gerade angekündigte Mehrwertsteuersenkung auf Erdgas ist eine Akutmaßnahme, um vom 1. Oktober an den massiven Preisauftrieb hier zumindest etwas auszugleichen – wozu die Regierung mit ihrer Entscheidung, auf das teure Produkt noch eine Gasumlage zu erheben, selbst beigetragen hat.

Auch das Auslaufen von Neun-Euro-Ticket und Tankrabatt Ende August tragen zur höheren Inflation im Herbst bei – höhere Preise auf Sprit und Nahverkehr könnten etwa einen Prozentpunkt ausmachen. Umgekehrt zeigt dies jedoch, welche große Wirkung diese beiden Maßnahmen hatten. Zwar gibt es von SPD und Grünen Forderungen, das Neun-Euro-Ticket jetzt gleich zu verlängern und nicht nur nach einer Anschlussregelung im kommenden Jahr zu suchen. Doch ganz billig ist das Ticket für den Staat nicht: Drei Milliarden Euro kostete die Bezuschussung den Bund in diesem Sommer.

Joachim Nagel, Präsident der deutschen Bundesbank, sieht die Inflation im Herbst bei mehr als zehn Prozent.

© Federico Gambarini/dpa

Die kräftigste Maßnahme aus diesen Paketen wird demnächst kommen: Die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro wird an alle Arbeitnehmer über die Gehaltsabrechnung im September oder Oktober ausgezahlt. Selbständige und Freiberufler können sie über die Steuererklärung geltend machen. Kosten für den Staat: neun Milliarden Euro.

Der dritte Teil des Gesamtpakets lässt sich durch die Ankündigungen aus der Koalition schon ausmachen. Es geht dabei um Vorhaben, die ab 2023 greifen. Die SPD hat ihr Bürgergeld mit eventuell höheren Monatsleistungen an Bedürftige skizziert. Eine Wohngeldreform mit breiterem Bezieherkreis und einem dauerhaften Heizkostenzuschuss ist ebenfalls absehbar. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Eckpunkte eines Inflationsausgleichsgesetzes vorgelegt. Ein höheres Kindergeld, wie von den Grünen gefordert, könnte sich auch in diesem Paket finden.

Für wen sind schnelle Maßnahmen im Gespräch?

Nun geht es aber vor allem um den zweiten Teil des Gesamtpakets. In der Koalition ist die Erkenntnis gereift, dass die Maßnahmen in den ersten beiden Entlastungspaketen nicht genügen werden. Der Druck von außen wächst ohnehin. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der bei der Landtagswahl am 9. Oktober im Amt bestätigt werden möchte, nennt ein weiteres Entlastungspaket „zwingend geboten“. Dieses soll aus Maßnahmen bestehen, die schnell und direkt schon im Winter greifen. Und da stehen vor allem Geringverdiener im Mittelpunkt. Denn diese spüren die Inflation am stärksten.

Nach einer Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (auf Basis der Bundesbank-Prognose von Juni, die auf eine Jahresinflation von 7,1 Prozent hinauslief) werden die untersten zehn Prozent mit 5,3 Prozent belastet. Beim obersten Zehntel dagegen sind es nur 1,1 Prozent. In der sehr breiten Mitte dazwischen beträgt die Bruttobelastung zwischen 4,4 Prozent und 3,4 Prozent - was bedeutet: unten etwas mehr, oben weniger.

Der Einkauf im Supermarkt wird für Ärmere noch mehr zu einer Frage, was man weglässt.

© imago images/Martin Wagner

Betrachtet man die Wirkung der Hilfspakete, sinkt die Belastung ganz unten – also bei Beziehern von Sozialleistungen – deutlich auf 1,6 Prozent. Das hängt damit zusammen, dass sie aus den ersten beiden Entlastungspaketen mit Direktzuschüssen und Einmalzahlungen bedacht wurden. Wer Hartz IV, Grundsicherung im Alter oder Sozialhilfe bezieht, bekommt zudem die Heizkosten ersetzt. Die Wirkung in der breiten Mitte ist geringer, die Belastung unter Berücksichtigung der bisherigen Maßnahmen (also vor allem Tankrabatt, Neun-Euro-Ticket, Energiepreispauschale, erhöhter Grundfreibetrag bei der Steuer, vorgezogene Abschaffung EEG-Umlage) liegt im Schnitt bei 2,7 Prozent.

Doch nun laufen Maßnahmen aus, und die Heizperiode beginnt erst. Vor allem in der unteren Mitte, wo ein relativ hoher Anteil der Einnahmen für den Grundbedarf ausgegeben werden muss (bis zu 70 Prozent), gibt es wenig Einsparpotenzial – die Rücklagen sind oft nicht hoch. „Bei denen geht es nicht allein darum, an dem einen oder anderen Urlaub zu sparen“, sagte DGB-Chefin Yasmin Fahimi mit Blick auf diejenigen, die nach Ansicht der Gewerkschaften es jetzt am nötigsten haben.

Welche Vorteile hat die Energiepreispauschale?

Als besonders wirksam für die breite Mitte gilt eine Direktzahlung, wie sie jetzt mit der Energiepreispauschale vorgenommen wird. Sie ist zu versteuern – was bedeutet, dass Geringverdiener netto mehr von den 300 Euro haben als Gutverdiener. Zwar wird die Pauschale an alle ausgeschüttet, es gilt also das Gießkannenprinzip. Aber wegen der Versteuerung wirkt sie gestaffelt – ausgezahlt werden zwischen 300 Euro an alle, die unter der Besteuerungsgrenze liegen, und 174 Euro an jene, die mit ihrem Gehalt unter den Spitzensteuersatz von 42 Prozent fallen.

An der Pauschale wird kritisiert, dass sie nicht an Rentner und Studierende ausgezahlt werde. Lindner hat am Wochenende nochmals deutlich gemacht, dass die Älteren in diesem Jahr von einer hohen Rentenerhöhung profitiert hätten. Aber SPD und Grüne wollen eine zweite Energiepreispauschale breiter streuen. Ministerpräsident Weil hält weitere Hilfen vor allem in den Bereichen für notwendig, „die bislang nur relativ wenig Unterstützung erfahren“ – nicht zuletzt Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende ohne Zusatzeinkommen. Eine Einmalleistung in Höhe der ersten Energiepreispauschale sei dringend zu empfehlen, und zwar noch vor Jahresende, so lautet Weils Forderung.

Kommen auch neue Wirtschaftshilfen?

Immer stärker kommt auch das Argument auf, dass wie in der Pandemie jetzt auch wegen der neuen Krise Hilfen für betroffene Unternehmen nötig werden könnten. Denn die hohen Gas- und Strompreise bedrängen nicht nur private Haushalte, sondern auch kleinere wie größere Betriebe, welche die Preissteigerungen nicht weitergeben können – zumal es erste Anzeichen gibt, dass wegen der Inflation nun auch mit einem teilweisen Konsumrückgang zu rechnen ist. Lindner sagte am Wochenende, nötig seien „gezielte wirtschaftliche Hilfen in den Bereichen, in denen Strukturbrüche drohen durch gestiegene Energie- und Gaspreise“.

Weil hat diese Problematik ebenfalls im Blick: „Auch die Situation in der Wirtschaft verlangt verstärkt Aufmerksamkeit. In vielen Branchen zeichnen sich Probleme aufgrund der reduzierten Kaufkraft ab“, sagte er. Dazu komme die angespannte Situation etwa in der Energiewirtschaft. „Ebenso wie in der Bankenkrise und der Pandemie muss die Bundesregierung rechtzeitig reagieren und Unterstützungsprogramme vorbereiten“, sagte Weil. „Ein starkes Engagement des Staates wird auch in dieser Krise unbedingt notwendig sein.“

Wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Lindner hatte unlängst noch durchblicken lassen, dass im Etat für 2022 eigentlich kein Spielraum mehr sei für ein Nachlegen bei der Entlastung. Jetzt aber hält er mit Blick auf ein drittes Entlastungspaket eine Summe im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich für möglich. Dazu trägt auch die Inflation bei. Denn je höher sie liegt, umso mehr profitiert der Staat von steigenden Umsatzsteuereinnahmen. Die Mehrwertsteuersenkung beim Gas finanziert sich so teils durch die massiv steigenden Einnahmen in diesem Bereich.

Bei neuen Maßnahmen neigt er (noch) zum Bremsen: Finanzminister Christian Lindner am Sonntag beim Tag der offenen Tür in seinem Ministerium.

© IMAGO/Bernd Elmenthaler

Von Januar bis Juli stiegen die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zwar war 2021 wirtschaftlich kein gutes Jahr wegen der Pandemie. Doch zeigt das Plus, dass Ukraine-Krieg und Gaskrise noch keine so starken Spuren hinterlassen haben bei den Steuereinnahmen. Auf das ganze Jahr gesehen rechnet das Bundesfinanzministerium aktuell mit einem Steuerplus von 8,2 Prozent. Bei der Umsatzsteuer sollen es 12,9 Prozent sein.

Doch ob das für ein größeres Gesamtpaket reicht, ist unklar. Die FDP dringt darauf, dass 2023 die Schuldenbremse wieder Geltung hat. Von SPD und Grünen kommen daher Forderungen nach einer Übergewinnsteuer für jene Unternehmen, die in der Krise größere Gewinne machen. Mit diesen Einnahmen sollen dann gezielt Entlastungen finanziert werden. Die FDP lehnt das ab, Scholz neigt auch nicht dazu.

Grünen-Chef Omid Nouripour hat am Wochenende nochmals eine Streichung des „Dienstwagenprivilegs“ gefordert. Mit der pauschalen Besteuerung der privaten Nutzung von Dienstwagen – das ist ein geldwerter Vorteil – verzichtet der Staat nach Schätzungen des Umweltbundesamtes auf Einnahmen in Höhe von bis zu drei Milliarden Euro. Die FDP ist aber auch hier dagegen.

Grüne für Mehrbelastung von Topverdienern

Einen neuen Ansatz bringt nun der Grünen-Finanzpolitiker Sebastian Schäfer ins Gespräch. Er setzt beim Inflationsausgleichsgesetz von Lindner an. Das wird kritisiert, weil höhere Einkommen aufgrund ihrer höheren Steuerlast absolut auch stärker profitieren, wenn der Steuertarif an die Preissteigerung angepasst wird. Schäfer schlägt vor, „deutlichere Entlastungen für kleinere und mittlere Einkommen“ durch eine weitere Tarifstufe für sehr gut Verdienende zu kompensieren.

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Dann würde zwischen dem Spitzensteuersatz von 42 Prozent (ab einem Einkommen von etwa 58600 Euro) und dem Reichensteuersatz, der ab einem Einkommen von etwa 277000 Euro greift, eine neue Steuerstufe eingefügt – beispielsweise 43,5 Prozent ab 100000 Euro.

Schäfer kann sich alternativ auch vorstellen, die Reichensteuer schon weiter unten als bisher anzusetzen. „Da es hier nur um sehr hohe Einkommen mit zu versteuernden Einkommen im sechsstelligen Bereich im Singletarif geht, würde dies einer Entlastung der Mitte nicht entgegenstehen“, sagte der Grünen-Politiker dem Tagesspiegel.

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