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Sozialdemokratie: Gabriel prophezeit der SPD eine lange Durststrecke

Die Partei sei in einem "katastrophalen Zustand", schreibt Sigmar Gabriel, der designierte Vorsitzende der SPD, an die Mitglieder. Er fordert innerparteiliche Reformen und rechnet mit seinen Vorgängern ab. In der Parteizentrale ist man über diese fundamentale Kritik nicht gerade amüsiert.

Der Sound erinnert fast ein bisschen an Herbert Wehner, den ebenso legendären wie gefürchteten Fraktionschef der SPD. 1982, kurz nach der Abwahl Helmut Schmidts als Bundeskanzler, prophezeite Wehner seiner Partei mindestens "fünfzehn Jahre Opposition". Tatsächlich dauerte es sogar noch ein Jahr länger, bis Gerhard Schröder Helmut Kohl in die politische Rente schickte und die SPD endlich wieder an die Regierung brachte.

Nun hat sich also Sigmar Gabriel als sozialdemokratische Kassandra betätigt. Der designierte Parteichef setzte sich in einem Brief an Parteimitglieder kritisch mit dem Zustand der SPD nach ihrer historischen Niederlage bei der Bundestagswahl am 27. September auseinander. Wehner-like ist insbesondere die düstere Prognose, mit der sein Schreiben endet. Womöglich werde erst "die nach uns kommende Generation von Sozialdemokraten" die Früchte der in diesen Wochen beginnenden Oppositionsarbeit ernten, schreibt der 50-Jährige. Keine Rede also davon, dass die SPD womöglich schon 2013, mithilfe von Rot-Rot-Grün, die Macht im Bund zurückerobern könnte.

Die düstere Zukunft sei eine Folge der für die SPD verheerenden Vergangenheit, so die Analyse Gabriels. Ohne Scheu, aber ohne Namen zu nennen, kritisiert Gabriel den Führungsstil seiner Vorgänger und fordert mehr innerparteiliche Mitsprache. Die Parteispitze, schreibt er, habe die Mitglieder in der Vergangenheit zu wenig einbezogen.

Der SPD befinde sich nach elf Regierungsjahren in einem "katastrophalen Zustand", stellt der künftige Vorsitzende klipp und klar fest. Sie sei zu einer Partei geworden, "in der die Mitglieder meist zu Förder-Mitgliedern degradiert wurden: ohne jeden wirklichen Einfluss, ohne wirkliche Meinungsbildung von unten nach oben". Politik sei Führen und Sammeln. "In den letzten Jahren haben wir nur geführt, nie gesammelt."

Eine richtige Strukturreform sei nun geboten, "bei der wir vor allem wieder Meinungsbildung von unten nach oben schaffen (ohne politische Führung abzuschaffen)". Dabei hält er Urabstimmungen der Mitglieder bei wichtigen Entscheidungen für denkbar. Beim Bundesparteitag in Dresden Mitte November sollten Vorschläge zu einer innerparteilichen Reform diskutiert werden. Ortsvereine und Kreisverbände sollten aktiv und dauerhaft an Entscheidungen beteiligt werden.

Gabriel erinnert daran, dass die Serie verheerender SPD-Niederlagen schon bei den Landtagswahlen zu Beginn dieses Jahrzehnts eingesetzt hatte, lange bevor sich der damalige Kanzler Gerhard Schröder zu seiner umkämpften Agenda 2010 entschieden hatte. Die Botschaft soll wohl lauten: An der Reformpolitik allein kann der dramatische Niedergang der Sozialdemokraten wohl nicht gelegen haben. Gleichwohl räumt er mit Blick auf die Linkspartei ein, dass die Agenda in der SPD "wie ein Treibsatz gewirkt und letztlich das Entstehen einer zweiten Abspaltung (nach den Grünen in den siebziger Jahren) bewirkt" habe.

In der Parteizentrale war man über das Schreiben Gabriels vorab nicht informiert worden. Man sei über diese fundamentale Kritik an der bisherigen Parteiarbeit nicht unbedingt amüsiert, heißt es aus dem Willy-Brandt-Haus.

Quelle: ZEIT ONLINE

Michael Schlieben

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