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Ein schwer an Covid-19 erkrankter Patient im Jahr 2021.

© Reuters/Kai Pfaffenbach

Mediziner planen Verfassungsbeschwerde: Klinikärzte wollen umstrittenes Triage-Gesetz kippen

Welcher Patient erhält Platz auf der Intensivstation, wenn Personal und Technik in einer Pandemie nicht reichen? Das sollte das Triage-Gesetz regeln – nun könnte es kassiert werden.

Der Marburger Bund will das umstrittene Triage-Gesetz kippen – und deshalb Verfassungsbeschwerde einlegen. Das teilte die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft, Susanne Johna, am Donnerstag mit. Insbesondere Mediziner auf Intensivstationen und in Notaufnahmen seien wegen der aktuellen Regelung verunsichert.

Das Gesetz könne dazu führen, dass Patienten mit höherer Überlebensfähigkeit sterben, weil knappe intensivmedizinische Ressourcen für Patienten mit „deutlich schlechteren Überlebenschancen“ genutzt würden, sagte Johna. „Das widerspricht unserem ärztlichen Ethos, dem Wunsch, möglichst viele Menschenleben zu retten, und dem Grundrecht der Berufsfreiheit.“

Die Triage-Regelung steht seit November 2022 im Infektionsschutzgesetz und gilt, wenn der Grund für Engpässe der Intensivmedizin die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit ist, also etwa in einer Pandemie. Dann aber greift das Gesetz für alle Patienten, unabhängig davon, ob sie wegen der Infektion oder anderer Leiden eingeliefert wurden.

Intensivpfleger in einem Krankenhaus in Baden-Württemberg (Archivbild von 2021).
Intensivpfleger in einem Krankenhaus in Baden-Württemberg (Archivbild von 2021).

© dpa/Sebastian Gollnow

Triage bedeutet landläufig: Reichen Geräte, Medikamente und Personal nicht für alle, werden Patienten in Dringlichkeitsstufen eingeteilt, von „trier“ – französisch für „sortieren“. Üblicherweise bedeutet dies, dass Patienten, deren Chancen auf Genesung besser sind, eher behandelt werden als jene mit schlechterer Überlebenswahrscheinlichkeit.

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Ärzte wollen Ex-Post-Triage ermöglichen

Das Triage-Gesetz enthält jedoch ein Verbot der sogenannten „Ex-Post-Triage“. Wer einmal ein Bett auf der Intensivstation erhalten hat, dem darf es nicht zugunsten eines neuen Patienten mit größeren Überlebenschancen entzogen werden.

Der Marburger Bund, dem mehr als 50 Prozent aller Klinikärzte angehören, plädiert dagegen dafür, sich an der Überlebenschance zu orientieren, also die Ex-Post-Triage zu erlauben. Die liegt vor, wenn eine bei Patient A mit knappsten Ressourcen laufende Behandlung zugunsten eines neuen Patienten B abgebrochen wird, weil der bessere Überlebenschancen aufweist.

Denn mit der Ex-Post-Triage schließe man sinnvolle „Therapieziele“ nicht aus, argumentieren die Ärzte, also im Ernstfall etwa die Verlegung eines Sterbenskranken von der Intensiv- auf die Palliativstation.

Ein Verbot der Ex-Post-Triage könnte mit der grundrechtlich garantierten Therapiefreiheit kollidieren, deren Ziel das Überleben möglichst vieler Patienten ist. Zu diesem Ergebnis kommt ein vom Marburger Bund in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, das in dem Gesetz einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit sieht.

Wer entscheidet über eine Behandlung?

Prinzipiell, so die Idee des Triage-Gesetzes, geht um das Überleben der aktuellen Erkrankung. Die allgemeine Verfasstheit – etwa Alter oder Behinderungen – dürfen nicht berücksichtigt werden. Um möglicher Diskriminierung entgegenzuwirken, gilt ein Vier-Augen-Prinzip. Betrifft die Entscheidung einen Patienten mit Behinderung, muss eine zusätzliche Fachkraft dabei sein. Die Umstände müssen dokumentiert und den zuständigen Behörden gemeldet werden.

Dass der Bund das Gesetz 2022 verabschiedet hat, geht auf eine Klage von Frauen und Männern mit Behinderungen zurück. Sie fürchteten, im Fall einer schweren Corona-Infektion auf den Intensivstationen als Patienten mit „schlechteren Chancen“ eingestuft zu werden. Einige Kläger forderten, die Ärzte sollten nach dem „First come, first serve“-Prinzip entscheiden: Wer zuerst in der Klinik war, soll zuerst umfassend behandelt werden.

Man rechne zunehmend mit Pandemien und Infektionen, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) damals gesagt, und müsse dabei verhindern, dass Patienten wegen bestimmter Merkmale benachteiligt würden.

Selbstverständlich sei man dem Genfer Ärztegelöbnis verpflichtet, sagte Marburger-Bund-Chefin Johna. Demnach dürfen Alter, Behinderungen, Herkunft, Geschlecht sowie religiöser, politischer, sozialer und sexueller Status in der Behandlung keine Rolle spielen.

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