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Anhänger des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro sorgen für Chaos und Tumult auf den Straßen.

© Foto: AFP/ Terico Teixeira

„Störung des demokratischen Systems“: Bolsonaros Anhänger wollen den Umsturz in Brasilien

Noch-Präsident Jair Bolsonaro glaubt weiter an eine Wahlfälschung. Seine Anhänger wollen den Staatsstreich. Droht Brasilien ein Militärputsch?

Sie nennen sich „die guten Bürger“ und berufen sich auf Gott. Sie kleiden sich in Gelb und Grün, die Nationalfarben Brasiliens und behaupten, sie verteidigten das Vaterland.

Sie sagen, dass ihr Präsident der amtierende Jair Bolsonaro sei und sie Lula da Silva niemals als Staatsoberhaupt akzeptieren werden.

Der linke Lula gewann am 30. Oktober die Stichwahl gegen Bolsonaro mit 51 zu 49 Prozent. Am 1. Januar wird er sein Amt antreten. Doch dann, glaubt man den Warnungen der Anhänger des ultrarechten Bolsonaro, werde Brasilien sich in eine kommunistische Diktatur verwandeln.

Dann erblindet er halt.

Bolsonaro Anhänger zum Vater eines neunjährigen Jungen, dessen Augenoperation sie boykottierten.

Um dies zu verhindern, demonstrieren sie seit dem Wahltag zu Tausenden vor Kasernen und fordern ein Eingreifen des Militärs. Die Wahl sei unfair gewesen und es habe Manipulationen gegeben, lautet eine ihrer Lügen. Sie blockieren zudem wichtige Bundesstraßen, stecken Barrikaden in Brand und bedrohen jeden, der ihnen widerspricht.

Es ist regelrechter Terror, den die Anhänger von Noch-Präsident Bolsonaro ausüben – auch Brasiliens Medien benutzen diesen Begriff immer öfter. Sie sprechen mittlerweile von „Putschisten“ oder „Kriminellen“.

Vergangenen Montag hielten sie eine Ambulanz mit einem Neunjährigen auf, der einen dringenden Termin für eine Augenoperation hatte und Gefahr lief, zu erblinden. Seinem Vater sagten die Bolsonaro-Fans ins Gesicht: „Dann erblindet er halt.“

51
Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten bei der Präsidentschaftswahl für Lula.

Andernorts zwangen sie Schüler dazu, kilometerweit unter sengender Sonne zu laufen, um zur wichtigen Zulassungsprüfung für Brasiliens Bundesuniversitäten zu gelangen. Höhnisch forderten sie die Schüler auf, mit Daumen und Zeigefinger das „L“ für Lula zu machen.

Auch Journalisten bedrohen Bolsonaros Anhänger regelmäßig, zwangen unter anderem einen Reporter der Deutschen Welle, seine Filmaufnahmen zu löschen. Woanders steckten sie die Lkw einer Spedition an, die sich ihrem Zwang nicht beugen wollte.

Bolsonaros Anhänger fordern einen Militärputsch.
Bolsonaros Anhänger fordern einen Militärputsch.

© AFP/ Tercio Teixeira

Besonders stark betroffen von den Tumulten sind einerseits die nördlichen Amazonas-Staaten Rondônia und Mato Grosso, in denen die Soja- und Viehindustrie stark ist, die unter Bolsonaro eine Art Freischein zur Abholzung des Dschungels hatte. Und andererseits der südliche Bundesstaat Santa Catarina, der von den ultrakonservativen Nachkommen deutscher Einwanderer geprägt ist. In allen drei Staaten schnitt Bolsonaro bei der Wahl überdurchschnittlich gut ab.

Bolsonaro legt Beschwerde gegen das Wahlergebnis ein

Bolsonaro selbst tauchte nach seiner Wahlniederlage ab. Es hieß, er sei verbittert, außerdem leide er unter einer Wundrose am Bein, einer bakteriellen Hautinfektion. Offenbar stellte Bolsonaro auch die Arbeit als Präsident ein, obwohl er das Amt noch bis Ende des Jahres ausübt.

Selten regiert das Kabinett dann aber doch noch: In Teilen des armen und trockenen Nordostens, in dem Lula viele Stimmen erhielt, wurde die Wasserversorgung wegen fehlender Finanzierung der Wasserwagen prompt eingestellt.

Von den Blockierern wird Bolsonaros langes Schweigen als Zustimmung interpretiert und als Zeichen dafür, dass er etwas plane – dass das Wahlresultat noch einmal umgeworfen werden könne.

Der linke Lula da Silva gewann am 30. Oktober die Stichwahl gegen Bolsonaro.
Der linke Lula da Silva gewann am 30. Oktober die Stichwahl gegen Bolsonaro.

© Foto: dpa/Lincon Zarbietti

Tatsächlich präsentierte Bolsonaros Liberale Partei (PL) in dieser Woche einen Bericht, in dem behauptet wird, dass 280.000 Wahlurnen (rund 59 Prozent aller Urnen) manipuliert worden sein könnten. Ihre Ergebnisse müssten daher annulliert werden.

Bolsonaro hätte die Wahl damit gewonnen. Interessanterweise betrifft die Klage der PL jedoch nur den zweiten Wahlgang zwischen Lula und Bolsonaro.

Im ersten Wahlgang waren an denselben Urnen zahlreiche Abgeordnete und Senatoren der PL gewählt worden, die nun die stärkste Fraktion im Parlament ist. Brasiliens Wahlgericht sowie Experten für elektronische Wahlmaschinen wiesen die Vorwürfe der PL als unbegründet zurück. Es habe keine Unregelmäßigkeiten gegeben, die Klage ziele einzig darauf ab, Unruhe zu schaffen und die bolsonaristische Legende von der gestohlenen Wahl zu befeuern.

Oberster Wahlrichter Moraes und Lula sind Hassfiguren

Der Richter am Obersten Gerichtshof, Alexandre de Moraes, der auch Oberster Wahlrichter ist, sagte, dass die Argumente der PL „falsch“ seien. Er verhängte gegen die Partei eine Strafe von umgerechnet vier Millionen Euro wegen „Störung des demokratischen Systems“. Gegen ihren Vorsitzenden leitete er Ermittlungen ein.

Für viele demokratisch denkende Brasilianer ist der konservative Moraes wegen seiner kompromisslosen und furchtlosen Haltung mittlerweile ein Held. Für Bolsonaro und seine fanatischen Fans ist er ähnlich wie Lula zur Hassfigur geworden.

Traten gegeneinander an: Lula da Silva (links) und Jair Bolsonaro (rechts).
Traten gegeneinander an: Lula da Silva (links) und Jair Bolsonaro (rechts).

© AFP/Nelson Almeida

Brasiliens Militär wie auch die sonst selten zimperliche Verkehrspolizei lassen die bolsonaristischen Unruhestifter vor den Kasernen und auf den Straßen bisher gewähren.

Es ist kein Geheimnis, dass Bolsonaro unter den Generälen große Sympathien genießt und die Verkehrspolizei am Wahltag versuchte, Wähler Lulas daran zu hindern, zu ihren Wahllokalen zu kommen.

Die Proteste sind zudem weit weniger spontan als sie erscheinen mögen. Häufig werden sie von lokalen Unternehmern orchestriert und großzügig finanziert.

Wahlgewinner Lula da Silva plant unterdessen einfach weiter seine Regierung. Fest steht, dass Bolsonaro ihm ein riesiges Haushaltsloch hinterlassen hat, außerdem ein beschädigtes Bildungs- und Gesundheitssystem sowie geschwächte Umweltbehörden und Forschungseinrichtungen.

Die anhaltenden Tumulte zeigen aber auch, Lula muss ab Januar eine tief gespaltene brasilianischen Gesellschaft regieren.

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