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Studie: Der Feind unter uns: Intoleranz in der Türkei

Eine Umfrage eines türkischen Instituts belegt religiöse Intoleranz in der Türkei. Die Ergebnisse erschüttern das rosige Selbstbild der Türkei als Land des harmonischen Miteinanders der Kulturen. Die Regierung zeigt sich geschockt.

Plötzlich waren die Zeichen da. Vor wenigen Wochen malten Unbekannte in mehreren Bezirken der türkischen Metropole Istanbul rote, gelbe und grüne Farbkleckse an bestimmte Wohnhäuser - Häuser, in denen armenische und griechische Christen leben. Die Bewohner bekamen es mit der Angst zu tun, denn viele erinnern sich noch an anti-christliche Pogrome in Istanbul in den fünziger Jahren. Nicht-Muslime in der Türkei fühlen sich offenbar nicht zu Unrecht durch radikale Nationalisten bedroht: Wie weit verbreitet die Intoleranz im Land ist, hat jetzt hat eine seriöse Umfrage belegt.

Nach der von der EU unterstützten Umfrage eines türkischen Instituts im Auftrag der jüdischen Gemeinde in der Türkei lehnen 42 Prozent der Türken einen Juden als Nachbarn ab, 35 Prozent wollen nebenan keinen Christen sehen. Bei Ausländern als Nachbarn liegt die Ablehnungsrate bei knapp 20 Prozent, bei Atheisten bei 57 Prozent. Viele Türken wollen zudem nicht, dass Angehörige nicht-muslimischer Minderheiten einen Platz im Staatsapparat finden; selbst nicht-muslimische Ärzte erregen Argwohn. Nur sieben bis zehn Prozent der Teilnehmer sagten, sie hätten nicht-muslimische Freunde.

Wie sehr diese Ansichten durch die Vorstellung vom "Feind im Innern" geprägt sind, zeigen andere Ergebnisse der Studie. Türken jüdischen oder christlichen Glaubens wurden nur von 15 Prozent der Befragten als loyale Staatsbürger eingestuft. Nicht-Muslime gelten zudem als weit weniger vertrauenswürdig als Muslime. Der Anteil der nicht-muslimischen Minderheiten - unter ein Prozent der Gesamtbevölkerung - wurde von vielen Befragten auf bis zu 30 Prozent geschätzt: auch das ein klares Anzeichen für existierende Feindbilder.

Selbst die Regierung zeigte sich geschockt von den Resultaten. "Erschreckend" seien die Antworten, sagte Vize-Premier Bülent Arinc. Die Türkei zeichne sich doch durch das Zusammenleben verschiedener Kulturen aus.

Arinc selbst verwies aber gleichzeitig darauf, dass nicht nur die Nicht-Muslime unter Intoleranz zu leiden hätten, sondern auch die türkischen Kurden. Erst am vergangenen Wochenende wurden Spieler und Anhänger des Fußballclubs Diyarbakirspor aus dem Kurdengebiet bei einem Auswärtsspiel im nordwesttürkischen Bursa von den dortigen Fans als Separatisten beschimpft, die vertrieben werden müssten. Die Vereinsleitung von Diyarbakirspor drohte daraufhin mit einem Rückzug aus der ersten türkischen Liga, denn es war bei weitem nicht der erste Zwischenfall dieser Art.

Hier geht die Saat der jahrzehntelangen Propaganda vom unteilbaren Staat auf. Lange wurde kulturelle oder religiöse Vielfalt als potenzielle Bedrohung für die Einheit der Republik verstanden. Erst seit wenigen Monaten denkt die Regierung in Ankara laut über demokratische Reformen nach, die insbesondere den Kurden das Leben erleichtern und zur friedlichen Beilegung des Kurdenkonflikts beitragen sollen. Die Opposition verdammt geplante Reformschritte wie die Zulassung kurdischer Ortsnamen als Landesverrat.

Die türkische Bildungspolitk spielt ebenfalls eine große Rolle. Armenier und Griechen werden als Feinde dargestellt, doch der normale muslimische Türke erfährt kaum etwas über diese Minderheiten: Drei von vier Befragten gaben in der neuen Umfrage offen zu, dass sie nichts über Juden, Armenier oder Griechen wüssten - kein Wunder, dass nicht-muslimische Gruppen vielen als verdächtig erscheinen.

Mit solchen Ansichten könnten sich die Türken kaum über die angebliche Türken-Feindlichkeit in Europa beschweren, kommtentierte der Kolumnist Semih Idiz. "Man ist intolerant und erwartet gleichzeitig von anderen Toleranz." Wer Zuneigung und Toleranz einfordere, müsse diese Eigenschaften auch selbst an den Tag legen. Er sehe allerdiengs keine Anzeichen für eine solch positive Entwicklung, schrieb Idiz. "Die Entwicklung zeigt vielmehr, dass die Dinge immer schlimmer werden."

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