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2015 verübte ein Rechtsextremist ein Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

© Reuters/WOLFGANG RATTAY

Studie sieht „deutliches Alarmzeichen“: Kommunalpolitiker werden immer häufiger bedroht

Mehr als die Hälfte der Mandatsträger in deutschen Großstädten wurde schon einmal bedroht. Das ergibt eine Befragung der Heinrich-Böll-Stiftung und der NRW School of Governance.

Dass Kommunalpolitikerinnen und -politiker regelmäßig zum Ziel von Anfeindungen werden, wurde einer breiteren Öffentlichkeit spätestens bewusst, als Gegner der Corona-Politik im Jahr 2020 mit Fackelmärschen vor den Häusern von Mandatsträgern begannen.

60 Prozent der Kommunalpolitikerinnen und -politiker in deutschen Großstädten haben leidvolle Erfahrungen mit Beleidigungen, Bedrohungen oder tätlichen Übergriffen gemacht. „Es betrifft nicht nur Oberbürgermeisterinnen, sondern die gesamte Breite der Mandatsträgerinnen“, sagte der Politikwissenschaftler Andreas Blätte von der Universität Duisburg-Essen am Donnerstag bei der Vorstellung einer Studie zu Anfeindungen in der Kommunalpolitik, welche die NRW School of Governance gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung erstellt hat.

Die aktuelle Studie kann auf ausführliche Aussagen von 2166 Mandatsträgerinnen und -trägern in 80 deutschen Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern zurückgreifen. In Berlin fand die Umfrage auf der Ebene der Bezirke statt.

Vor allem Grünen-Politiker beteiligten sich an der Befragung der Grünen-nahen Böll-Stiftung. Aber auch von 20 Prozent der angeschriebenen AfD-Politiker gab es eine Rückmeldung.

Laut der Studie am Partei- oder Infostand werden besonders häufig Politikerinnen und Politiker bedrängt. 47,6 Prozent gaben an, in einer direkten Begegnung beleidigt oder bedroht worden zu sein. Die tätlichen Übergriffe, von denen rund zehn Prozent der Befragten berichteten, reichten von Fäkalienschmierereien bis zu Sachbeschädigungen an den Autos von Mandatsträgerinnen. 4,7 Prozent der Studienteilnehmer berichteten, dass sie schon einmal über einen Rückzug aus der Politik nachgedacht haben. Das sei ein „deutliches Alarmzeichen“, heißt es in der Studie.

Anfeindungen können in der Kommunalpolitik alle treffen – und zwar unabhängig vom Geschlecht, Migrationshintergrund oder der Parteizugehörigkeit. Laut der Studie lassen sich unter den bedrohten Politikern aber gerade diejenigen einschüchtern, die in der Politik ohnehin schon unterrepräsentiert sind: Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte sowie Personen aus der Unterschicht, der Arbeiterschicht oder der unteren Mittelschicht

Die meisten Kommunalpolitikerinnen denken nicht ans Aufhören.

Andreas Blätte, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen

„Die meisten Kommunalpolitikerinnen denken nicht ans Anhören“, stellte der Politikwissenschaftler Blätte aber klar. Laut der Studie steht die weit überwiegende Mehrheit der Befragten „ungeachtet rauer Zeiten“ weiterhin für das politische Engagement zur Verfügung. Blätte schränkte allerdings ein, dass Berichte über Bedrohungen und Anfeindungen viele Menschen davon abhalten würden, sich überhaupt in der Politik zu engagieren.

Laut der Erhebung müssen Politiker in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen mit Anfeindungen rechnen. Zwar erscheint demnach die Situation in Sachsen besonders dramatisch. Dort gaben 81 Prozent der Befragten an, Erfahrungen etwa mit Beleidigungen am Telefon, Hate-Mails oder Anfeindungen in den sozialen Netzwerken gemacht zu haben.

47,6
Prozent der Befragten gaben an, in einer direkten Begegnung beleidigt oder bedroht worden zu sein.

Auch in Thüringen (81 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (73 Prozent) berichteten besonders viele Mandatsträger von Bedrohungen. Allerdings gaben auch in Rheinland-Pfalz 71 Prozent der Befragten an, mit verbalen oder tätlichen Angriffen konfrontiert zu sein.

Auch mit Blick auf die Großstädte ergab sich ein ähnlich differenziertes Bild zwischen Ost und West. So wurden die meisten Bedrohungserfahrungen aus Dresden (88 Prozent) und Erfurt (86 Prozent) berichtet. Ähnlich hohe Werte gab es aber auch in München (84 Prozent) und Solingen (83 Prozent).

Bereits im September hatte eine Umfrage des Deutschen Städtetages ergeben, dass in der Kommunalpolitik knapp die Hälfte der Amtsträgerinnen und Amtsträger innerhalb der vergangenen Monaten Anfeindungen erlebt haben. Dabei gehe es einerseits um Beleidigungen, üble Nachrede oder Bedrohungen. In vier Prozent der Fälle gehe es aber auch um tätliche Übergriffe, hieß es.

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