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Ein Blick in das ehemalige Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Tag der Pressefreiheit: Wie sich die Gefängniszellen ähneln

Ta Zir wurde in Libyen gefoltert. Die Erinnerung daran überfällt den Journalisten bei einer Führung im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen.

Von Ta Zir

„Sie können die Führung jederzeit verlassen, wenn Sie sich unwohl fühlen“: So beendete der Touristenführer seine einführenden Worte, bevor er uns in ein ehemaliges ostdeutsches Gefängnis in Berlin brachte. Ich war bester Laune an diesem Tag, ich unterhielt mich mit den anderen Teilnehmern eines Kulturprogramms für Libyer zu Presse- und Kunstfreiheit in der DDR. Das Gebäude war grau und düster, aber das machte mir zunächst nichts aus.

Bald aber verstummten alle, als wir die Stufen hinunterstiegen und den Leiter sagen hörten: „Viele Schriftsteller und Journalisten waren jahrelang in diesen kleinen Zellen eingesperrt. Herausgebracht wurden sie nur zu Verhören, wo man sie folterte und dann wieder hierher zurückbrachte.“

Ich hatte eine schwere Panikattacke und rannte aus dem Gebäude.

Ta Zir

Der Anblick der dunklen, beengten Räume war für mich nicht zu ertragen. Nicht nur wegen ihrer grauenvollen Geschichte, sondern weil ich diese Zellen nur allzu gut kannte: aus meiner Zeit im Gefängnis in Tripolis vor zwei Jahren. Mich überkam ein merkwürdiges Gefühl, das ich im Nachhinein als schwere Panikattacke deute. Ich rannte bis ich aus dem Gebäude war, setzte mich, um mich wieder zu sammeln, und fragte mich, wie ich denn die Zelle, in der ich in Nordafrika gelitten hatte, hier in Europa wiederfinden konnte?

Libyscher Journalist im Exil in Deutschland: Ta Zir.

© Tazir

So begann mein Weg als libyscher Journalist im Exil in Deutschland. Als ich eine Zeitlang in Dresden lebte, vertieften sich meine Kenntnisse der politischen Geschichte des Landes. Irgendetwas am ostdeutschen Lebensstil und der ostdeutschen Politik zog mich an, wohl weil es hier enge Parallelen zu meiner Erfahrung als Millennial-Journalist gab, der den Aufstand im Jahr 2011 in Libyen miterlebt hatte. Die Revolution stürzte das totalitäre Regime, nur um es dann durch eine Allianz aus islamistischen Kapitalisten und Oligarchen aus dem alten Regime zu ersetzen.

Zu der Zeit war ich einer der aufstrebenden Journalisten und Aktivisten, die Menschenrechtsverletzungen und Korruption in der Politik aufdeckten. Es war ein Kampf um Zivilität, der uns bis 2014 schon zu viel abverlangt hatte. Es gab Attentate auf Itisar Alhsairi und Salwa Buggies, zwei feministische Anwältinnen, die für ihren Kampf für Bürgerrechte bekannt waren. Der Journalist Meftah Bozaid und viele andere wurden ermordet, eine Gruppe von Journalisten und Aktivisten in Tripolis und Bengasi verhaftet. Einer von ihnen, Motasem Alsanousy, ist gerade einmal 19 Jahre alt und sitzt seit über zwei Jahren im Gefängnis.

Wir glaubten, dass wir an der Schwelle zu etwas Großem standen.

Ta Zir, Journalist aus Libyen.

Und genau wie Motasem und seine Mitstreiter war ich Anfang 20, als meine Kollegen aus dem ganzen Land und ich öffentlich über Themen wie Rechte für Frauen, für Einwanderer und Homosexuelle sprachen. Unser gemeinsames Ziel war, auf eine echte Demokratie in Libyen hinzuarbeiten. Wir glaubten fest daran, dass wir an der Schwelle zu etwas Großem standen, zu einem echten gesellschaftlichen Wandel. Und es war etwas Großes.

Aber allein schon, dass wir über diese Probleme sprachen, war Anlass genug für die Regierungsmilizen, uns alle zu verfolgen. Einige meiner Kollegen flohen aus dem Land, andere, so wie ich, blieben. Dabei war meine Entscheidung getragen von einer idealisierten Vorstellung, dass der libysche Journalismus nicht nur für den Widerstand gegen die faschistische italienische Besatzung im 20. Jahrhundert ausschlaggebend gewesen sei, sondern auch ein wesentliches Instrument bei der Erlangung der Unabhängigkeit Libyens.

Das gute Gefühl, ein „Märtyrer der Sache“ zu sein, war 2016, als ich im Gefängnis war, in mir sehr präsent, hauptsächlich, weil mein Vater ein bekannter Journalist war und ich Bücher wie „The Epic Ordeal“ von Abdolfattah Albishty gelesen hatte, in dem er seine 15-jährige Gefangenschaft unter Gaddafis Regime beschrieb. An solche Bücher und an libysche Intellektuelle dachte ich in meiner dunklen Zelle, die auf so schockierende Weise denen ähnelte, die ich Jahre später in Berlin sah …

Die DDR hat die Diktatur in Libyen unterstützt

Aber das Gefühl des „beflügelten Helden“ konnte mich nicht retten, als ich mit Strom gefoltert, mit verbundenen Augen geschlagen und immer und immer wieder zu willkürlich gewählten, verwirrenden Sachen befragt wurde. In Deutschland lernte ich später, dass die DDR dieselben Befragungstechniken angewendet hatte und dass der ostdeutsche Staat die Diktatur in Libyen in den Bereichen Sicherheit und Geheimdienst finanziell unterstützt hatte. Das erklärte, warum sich die Zellen und die Befragungsmethoden ähnelten. Und die Erkenntnis, dass diese Foltermethoden nicht nur all diese Jahrzehnte überdauert hatten, sondern dass sie auch aus dem Land stammten, in dem ich im Exil lebte, war schockierend!  

Dieser Schock – den ich später verarbeiten musste – war es aber auch, der mich antrieb, meinen Weg als Schriftsteller fortzusetzen und ein Buch über den Bürgerkrieg in Libyen zu veröffentlichen. Und es war dieser Schock, der meine Sicht auf die Herausforderungen geweitet hat, denen sich der Journalismus heute nicht nur in Deutschland gegenübersieht, sondern in der gesamten vernetzten Welt, in der wir leben … und es ist wahrhaftig nicht einfach, ein Journalist aus dem Ausland zu sein.

Wo findet man queere afrikanische Stimmen?

Zuerst hatte ich mit so grundlegenden Hindernissen wie der Sprache und der Arbeit in einem neuen Umfeld zu kämpfen. Dann gab es andere Hindernisse, zum Beispiel, wie man Plattformen für queere afrikanische Stimmen wie meine findet, wo man nicht nur über deren Kämpfe berichtet oder über deren Geschichten spricht, sondern wo People of Colour, die im Exil leben, auch die Möglichkeit haben, ein Berufsleben aufzubauen und Teil der deutschen Medien zu sein.

Über die Jahre, in denen ich in Berlin lebe, in denen ich schrieb und der örtlichen Journalistenszene näher kam, kam ich zu einer Schlussfolgerung: nämlich, dass ein Vergleich zwischen der Pressefreiheit in Europa und in Nordafrika müßig ist. Denn der Status von Journalist:innen ist unter den politischen Gegebenheiten der heutigen Welt aufgrund von „Fake News“ und dem Phänomen der Panikmache, die es aus unterschiedlichen Gründen sowohl in Libyen wie auch in Deutschland gibt, überall fragil und sehr unbeständig.

Wir Journalisten brauchen immer noch ein Mehr an Freiheit, ist es doch Teil unserer Arbeit, mehr Freiheit und einen sicheren, vollen Zugang zu allen Informationen zu fordern. Und genauso, wie die Welt sich stets ändert und weiterentwickelt, sollte dies auch für die Situation des freien Journalismus und wie er definiert wird, gelten.

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