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Karina Merkuryeva, Journalistin aus Russland.

© Karina Merkuryeva

Warten aufs Visum : Seit sieben Monaten geduldet

Russische Journalisten, die nach Deutschland geflohen sind, haben Probleme, ein Visum zu erhalten. Karina Merkuryeva ist eine von ihnen.

Von Karina Merkuyeva

Das Jahr 2022 erwies sich als Wendepunkt für die unabhängigen russischen Medien. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar wurden mehrere Medien geschlossen und blockiert, weil sie den Krieg in der Ukraine als Krieg und nicht als „spezielle Militäroperation“ bezeichneten.

Innerhalb eines Jahres (von Februar 2022 bis Februar 2023) hat Roskomnadsor (die russische Zensurbehörde für Massenmedien, Telekommunikation und Datenschutz) mehr als 10.000 Internetressourcen gesperrt. Die Websites von mindestens 265 unabhängigen russischen Medien wurden blockiert.

Darüber hinaus hat Russland die Facebook-Mutter Meta zu seiner Liste „extremistischer“ Organisationen hinzugefügt. Facebook und Instagram wurden in Russland viel von unabhängigen Medien genutzt, weil sie durch diese Netzwerke ihre Inhalte verbreitet haben. Twitter wurde in Russland wegen „Verbreitung illegaler Informationen“ auch gesperrt.

Nach Angaben des Menschenrechtsprojekts OVD-Info wurden mindestens 134 Journalisten bei Antikriegs-Protesten in Russland festgehalten. Gegen 34 russische Journalisten wurden Strafverfahren eingeleitet. 

Zum Beispiel wurde im Februar 2023 die russische Journalistin aus Barnaul Maria Ponomarenko zu sechs Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt .Ein russisches Gericht befand sie der „wissentlichen Verbreitung falscher Informationen“ über die russischen Streitkräfte für schuldig. Maria hatte über das zerstörte Theater in der ukrainischen Stadt Mariupol berichtet.

Darüber hinaus setzten die russischen Behörden weiterhin den repressiven Mechanismus des Status eines „ausländischen Agenten“ ein. Das russische Gesetz über „ausländische Agenten“ stammt aus dem Jahr 2012 und galt ursprünglich für Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten.

Status: unerwünscht

Heute umfasst das Gesetz jede Privatperson oder Gruppe, die das Geld in beliebiger Höhe aus dem Ausland erhält und die „gedruckte, akustische, audiovisuelle oder andere Berichte und Materialien“ veröffentlicht.

Im Laufe des Jahres (von Februar 2022 bis Februar 2023) wurden vier Medien und 82 Journalisten als „ausländische Agenten“ eingestuft  anerkannt. Vier Medienorganisationen – Bellingcat, The Insider, Important Stories und Meduza – und zwei Organisationen, die Journalisten unterstützen – Open Press und das Journalism Development Network – haben den Status „unerwünschter Organisationen“ erhalten.

Das Gesetz über „unerwünschte Organisationen“ ermöglicht der russischen Generalstaatsanwaltschaft gemeinsam mit dem Justizministerium und dem Außenministerium, Finanziers russischer NGOs aus dem Land zu treiben. Die Anerkennung einer Organisation als „unerwünscht“ bedeutet ein vollständiges Verbot ihrer Aktivitäten in Russland. Russische Bürger dürfen weder innerhalb noch außerhalb Russlands mit diesen Organisationen zusammenarbeiten.

Ich habe mich von niemandem in Russland verabschiedet.

Karina Merkuryeva, Journalistin

Viele Journalisten und ganze Medien waren gezwungen, nach dem 24. Februar das Land zu verlassen, um ihre berufliche Tätigkeit fortsetzen zu können. Ich war eine von ihnen. Zum Zeitpunkt des russischen Überfalls auf die Ukraine hatte ich als Journalistin für das Menschenrechtsprojekt OVD-Info gearbeitet und hatte einen Telegram-Kanal über die Rechte der Frauen in Russland für Radio Free Europe/Liberty geleitet. Außerdem hatte ich als freiberufliche Redakteurin gearbeitet und hatte die Monologe für ein Projekt, das Überlebenden von häuslicher Gewalt in Russland hilft, vorbereitet.

Bis zum 24. Februar 2022 hatte ich mir keine Gedanken gemacht, Russland zu verlassen. Da ich oft vor Ort gearbeitet habe, war es für mich wichtig, im Land zu bleiben.

In den ersten Monaten nach dem 24. Februar habe ich täglich über die Antikriegsproteste berichtet und Interviews mit Menschen geführt, die Krieg in der Ukraine nicht unterstützten. Da ich immer eine unabhängige Journalistin sein möchte, musste ich eine sehr schwere Entscheidung treffen und bin mit einem Koffer und meinem Hund nach Tiflis ausgereist.

Ich habe mich von niemandem in Russland verabschiedet, weil ich sicher war, dass der Krieg sehr bald zu Ende sein würde und ich zurückkehren könnte. Ein halbes Jahr habe ich in Tiflis gewohnt und über die Verfolgung von Menschen wegen ihrer Antikriegshaltung berichtet.

Hunderte Journalisten aus Russland sind in einer ähnlichen Situation

Im September habe ich alle notwendigen Dokumente gesammelt und konnte endlich meinen Hund in die EU bringen. Dann bin ich nach Deutschland gekommen. Seit sieben Monaten habe ich versucht, ein Nationales Visum als Freiberuflerin zu bekommen. Das hat aber nicht geklappt. Ich bekam immer wieder nur die Duldung Verlängerungen. Seit sieben Monaten konnte ich Deutschland nicht verlassen, meine Familie nicht sehen und keine beruflichen Kontakte zu ausgewanderten Journalisten in anderen Ländern knüpfen.

Ich habe angefangen, andere Möglichkeiten zu suchen, um in Deutschland zu bleiben. Ich habe einen Studienplatz in Bochum für einen Masterstudiengang in Medien- und Geschlechterforschung gekriegt und dort eine Wohnung gefunden, aber die Ausländerbehörde hat abgesagt, meinen Fall in ein anderes Land zu vergeben. Für ein Nationales Visum habe ich mich erst im Landkreis Leipzig beworben.

In dieser Situation bin ich nicht alleine. Hunderte von Journalisten, die nach dem 24. Februar ausgewandert sind, befinden sich in ähnlichen Umständen. Die meisten fliehen nach Georgien, Armenien, Kasachstan oder in die Türkei, weil es dort am einfachsten ist, sich zu legalisieren. Die russischen Journalisten, die jüdische Wurzeln haben, gehen nach Israel.

Nachdem die deutschen Behörden ein humanitäres Visum für Journalisten und Menschenrechtsaktivisten aus Russland angekündigt hatten, sind viele auch nach Deutschland gekommen.

Nach Angaben von Alina Toropova, Leiterin des Journalists-in-Residence-Programms in Leipzig, hat die Organisation seit dem 24. Februar etwa 30 Anträge von russischen Journalisten erhalten. Etwa ein Drittel von ihnen konnte bei der Organisation umgesiedelt werden.

„Die Bewerbungen kamen zu etwa gleichen Teilen von Männern und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren. Einige Bewerber waren freiberufliche Journalisten, die nicht mit einer bestimmten Organisation verbunden sind. Andere haben für größere unabhängige Medien gearbeitet. Einige Bewerbungen kamen von regionalen Journalisten.

In den meisten Fällen war der Grund für die Teilnahme an unserem zeitlich befristeten Umsiedlungsprogramm die Unmöglichkeit, in Russland aufgrund des repressiven Regimes zu arbeiten“, so Alina.

Das Hauptproblem der Journalisten, die aus Russland geflohen sind, ist Legalisierung. Es ist sehr schwer für sie, ein deutsches Visum zu erhalten, sagt Alina. In den meisten Fällen mussten die Journalisten ihr Visum in den Drittländern, in denen sie sich nach dem 24. Februar aufhielten, beantragen. Das Verfahren da ist nicht immer einfach und nachvollziehbar.

Manchmal versuchen die Journalisten auch mit einem Schengen-Visum nach Deutschland zu kommen, und hier ein nationales Visum zu erhalten. Die Organisation, wo Alina arbeitet, hat solche Fälle schon bearbeitet und diese Journalisten rechtlich unterstützt, aber auch in diesem Fall waren die Probleme nicht immer so leicht zu lösen.

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