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Russland ist eines der größten Uran-Exporteure der Welt. Von den EU-Sanktionen ist diese Kern-Industrie bislang ausgenommen.

© Tagesspiegel Innovation Lab, Lennart Tröbs

Trotz Drohungen von Putin: Immer neue Sanktionen gegen Russland – aber warum bleibt die Atomindustrie verschont?

Europäische Länder importieren jährlich Uran im Wert von Hunderten Millionen Euro aus Russland. Sanktionen dagegen gibt es keine. Welche Länder blockieren sie?

Von
  • Sigrid Melchior
  • Pascal Hansens
  • Investigate Europe

„Der russische Nuklearterror erfordert eine stärkere Reaktion der internationalen Gemeinschaft, einschließlich Sanktionen gegen die russische Atomindustrie und deren Kernbrennstoff.“ Mit diesen Worte twitterte der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelensky im August nach dem Beschuss des Kernkraftwerks Saporischschja seinen Zorn in die Welt.

Seine Forderung blieb unerfüllt. Seit Beginn des russischen Krieges in der Ukraine hat die Europäische Union schon sieben Sanktionspakete verabschiedet, um die russische Wirtschaft zu schwächen und ihre Fähigkeit zur Finanzierung des Krieges zu verringern. Die Sanktionen betrafen Persönlichkeiten, Kohle und andere feste fossile Brennstoffe, Stahl, Eisen und weitere Produkte. Aber die russische Atomindustrie blieb davon unberührt.

So auch beim jüngsten Sanktionspaket, das am Donnerstag offiziell in Kraft getreten ist. Es enthält zusätzliche Handelsbeschränkungen und eine Preisobergrenze für Erdöl. Aber immer noch nichts über die Einfuhr russischen Urans und russischer Kerntechnik, obwohl viele in der EU dies fordern.

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Dazu zählt auch das Europäische Parlament. Bereits im Frühjahr hatten die Abgeordneten mit großer Mehrheit für „ein sofortiges vollständiges Embargo für russische Importe von Öl, Kohle, Kernbrennstoff und Gas“ votiert und gefordert „die Zusammenarbeit mit russischen Unternehmen bei bestehenden und neuen Nuklearprojekten zu beenden, auch in Finnland, Ungarn und Bulgarien, wo russische Experten durch westliche ersetzt werden können.“

Das Gleiche forderten jüngst auch die Regierungen der EU-Länder Polen, Irland, Estland, Lettland und Litauen. Dem schloss sich in den Diskussionen im Rat der nationalen Vertreter auch die deutsche Bundesregierung an, wie Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold gegenüber dem Journalistenteam Investigate Europe bestätigte: „Wir hätten gerne die Abhängigkeit von Russland bei allen Energieressourcen beendet, dazu gehört natürlich auch Uran. Das haben wir mehrfach vorgeschlagen, aber wir müssen leider akzeptieren, dass Sanktionsbeschlüsse einstimmig gefasst werden“, sagte er.

Greenpeace: „Nabelschnur zum Kreml kappen“

Der Grund für diesen Widerstand lässt sich mit einem Wort erklären: Abhängigkeit. „Die Europäische Kommission hat dies nie vorgeschlagen, weil die Auswirkungen für einige östliche Mitgliedsstaaten, die stark von russischer Infrastruktur und Technologie abhängig sind, stärker wären als für Russland selbst“, erklärte einer der beteiligten Diplomaten gegenüber Investigate Europe.

Nach Angaben von Ariadna Rodrigo von Greenpeace Europe kam der größte Widerstand aus Ungarn und Bulgarien, weil sie russische Reaktoren betreiben und sogar noch ausbauen. „Wenn es den EU-Regierungen ernst damit ist, den Krieg zu beenden, müssen sie die Nabelschnur der europäischen Atomindustrie zum Kreml kappen und sich stattdessen auf die Beschleunigung von Energieeinsparungen und erneuerbaren Energien konzentrieren“, sagte Rodrigo. „Den Atomhandel zu ignorieren, hinterlässt ein Loch in den EU-Sanktionen, das so groß ist, dass man einen Panzer hindurchfahren könnte.“

Dabei bringt allein der Uranhandel der russischen Wirtschaft rund 455 Millionen Euro im Jahr ein, berichtete die EU-Behörde Euratom. Demnach zahlten die Akw-Betreiber in der EU im Jahr 2021 rund 210 Millionen Euro für die Einfuhr von Natururan aus Russland und weitere 245 Millionen Euro für Uranimporte aus Kasachstan, wo der Abbau vom russischen Staatsunternehmen Rosatom kontrolliert wird und auf besonders umweltschädliche Weise betrieben wird.

Das entsprach gut 40 Prozent des gesamten Bedarfs der EU, wie aus dem Euratom-Jahresbericht 2021 hervorgeht. Am größten ist die Abhängigkeit von russischem Kernbrennstoff im östlichen Europa, wo 18 Kernkraftwerke von Russland konzipiert wurden und auf russische Technologien und Dienstleistungen sowie auf von Rosatom gelieferte Brennelemente angewiesen sind.

Davon befinden je zwei Reaktoren in Bulgarien und Finnland, je vier in Ungarn und der Slowakei und sechs in Tschechien. Im August überraschte die ungarische Regierung zudem ihre EU-Nachbarn mit der Entscheidung, den Bau von zwei weiteren russischen Kernreaktoren beim Rosatom-Konglomerat in Auftrag zu geben. Ähnlich wie der Gaskonzern Gazprom dient Rosatom dem Kreml als energieaußenpolitisches Machtinstrument (Background berichtete).

Die Rolle Frankreichs

Mit Verve haben viele Regierungen, allen voran die französische, darauf gedrängt, dass Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Erdgas aufgibt. Doch über die eigene Abhängigkeit vom Uran aus russischer Förderung verlor die Regierung Macron kein Wort. Laut „Le Monde“ importiert Frankreich im Durchschnitt etwa 20 Prozent des benötigten Rohurans aus Kasachstan.

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Für die enge Verbindung zwischen der französischen und der russischen Atomindustrie steht nicht zuletzt Henri Proglio, der ehemalige Vorstandsvorsitzende des staatlichen französischen Stromversorgers EDF, der bis heute im internationalen Beirat von Rosatom sitzt. „Wenn Präsident Macron Herrn Proglio zum Rücktritt aufgefordert hätte, hätte er das natürlich getan!“, kommentierte die französische grüne Europaabgeordnete Michèle Rivasi. Aber das sei eben gar nicht gewollt. Frankreich sei nicht nur von Uranimporten abhängig, sondern auch von der Abfallbehandlung und vielen anderen nuklearen Dienstleistungen, sagte sie.

Dagegen befürwortet der EU-Abgeordnete Christophe Grudler von der liberalen Fraktion „Renew“, in der auch Macrons Partei La République en Marche vertreten ist, den Ausschluss der nuklearen Aktivitäten von den EU-Sanktionen.

Diversifizierung gegen die Abhängigkeit

Zumindest eines der Länder, die bisher von russischen Uranlieferungen und russischer Atomtechnik abhängig sind, scheint für die Forderung nach Sanktionen auch gegen die russische Atombranche aufgeschlossen zu sein: Finnland. Bei einem der Treffen der EU-Botschafter im Mai, als über das sechste Sanktionspaket diskutiert wurde, kam auch die Frage der Sanktionen gegen den Kernenergiesektor zur Sprache.

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In diesen Gesprächen unterstützten Polen, Deutschland, Österreich, Estland und Litauen die Idee, während Finnland dem Vorschlag offen gegenüberstand, wie aus einem diplomatischen Bericht einer nationalen Delegation über das Treffen hervorgeht.

Eine weiterer hochrangiger Diplomat, der an den Beratungen teilnahm, wies darauf hin, dass ein Embargo gegen die russische Atomindustrie wohl nur auf lange Sicht kommen könnte: Zuvor müssten Technologien angepasst, Ingenieure ausgebildet und Versorgungsquellen diversifiziert werden. Würden Sanktionen gegen russisches Uran verhängt, dann müssten sehr lange Umsetzungsfristen gelten, um für alle Mitgliedstaaten akzeptabel zu sein. „So lange, dass es lächerlich wäre“, kommentierte der Diplomat.

Dass es auch anders geht, bewies der schwedische Energiekonzern Vattenfall. Schon am 24. Februar, dem Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine, beschloss dessen Vorstand, vorerst alle Uranimporte aus Russland einzustellen und sie durch Importe aus Kanada und Australien zu ersetzen. 

Zum Team hinter der Recherche: Investigate Europe ist ein journalistisches Team aus zehn Ländern, das gemeinsam Themen von europäischer Relevanz recherchiert und die Ergebnisse europaweit veröffentlicht. Regelmäßige Medienpartner sind neben dem Tagesspiegel unter anderem Publico, Mediapart, Il Fatto Quotidiano, Die Republik und Gazeta Wyborcza. Das Projekt wird unterstützt von der Schöpflin-Stiftung, der Rudolf-Augstein-Stiftung, der Hübner & Kennedy-Stiftung, der norwegischen Fritt-Ord-Stiftung, der Open Society Initiative for Europe, der portugiesischen Gulbenkian Foundation, der niederländischen Adessium-Stiftung und privaten Spendern.

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