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Istanbul

© dpa

Türkei: Die AKP plädiert auf unschuldig

Weniger Alkohol, dafür mehr Khomeini und mehr Kopftücher – und schuld ist angeblich die AKP. Im Verbotsprozess gegen die türkische Regierungspartei werden mitunter recht merkwürdige Argumente angeführt. Regierungsvertreter weisen den Vorwurf der Islamisierung zurück.

Im Verbotsprozess gegen die türkische Regierungspartei vor dem Verfassungsgericht in Ankara hat die Anklage alle Register gezogen, um die nach ihrer Ansicht offensichtliche Verfassungswidrigkeit der Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu beweisen. Dass Chefankläger Abdurrahman Yalcinkaya dabei bisweilen recht merkwürdige Argumente anführte, gab der AKP bei ihrem Schlussplädoyer am Donnerstag die Möglichkeit zum rhetorischen Gegenangriff. Nützen wird es ihr wahrscheinlich wenig. Die meisten Beobachter erwarten, dass die AKP in den kommenden Wochen verboten wird.

Yalcinkaya hatte am Dienstag vor Gericht seine Vorwürfe gegen die AKP zusammengefasst. Er betrachtet die Partei als islamistische Organisation, die in der Türkei die Scharia – das islamische Recht – einführen will. Ein Indiz dafür sei die Forderung nach Kopftuchfreiheit für Studentinnen. Zudem erwähnte der Ankläger, dass der Alkoholkonsum in der Türkei gesunken sei – weil die AKP die Ausgabe von Schanklizenzen erschwere. Dabei übersah der Chefankläger aber, dass die Türken mehr Bier trinken als je zuvor, und dass der Nationalschnaps Raki besonders bei Frauen immer beliebter wird. Auch die Aussage einer Kopftuch tragenden Frau, die sich im Fernsehen dazu bekannt hatte, sie liebe den iranischen Revolutionsführer Khomeini, aber nicht den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, wurde von Yalcinkaya angeführt.

Als Vizepremier Cemil Cicek am Donnerstagmorgen vor dem Gericht das Plädoyer für die AKP hielt und den Islamismusvorwurf zurückwies, ging er Yalcinkayas Äußerungen Punkt für Punkt durch. Wenn schon die Aussagen irgendeiner Frau im Fernsehen herangezogen werden müssten, zeige sich damit, dass Yalcinkaya kaum etwas in der Hand habe, lautete eines von Ciceks Argumenten. Der Vizepremier unterstrich laut Medienberichten vor den Richtern auch, dass sie selbst erst vor kurzem das Verbot der kleinen Kurdenpartei HAK-PAR mit Verweis auf die Meinungsfreiheit und aus Mangel an Beweisen für ein verfassungswidriges Verhalten abgelehnt hatten. Doch Cicek mag noch so geschickt argumentiert haben – es ist sehr unwahrscheinlich, dass er die acht als stramme AKP-Gegner geltenden Richter in dem elfköpfigen Gremium umstimmen konnte. Die Stimmen von sieben Richtern reichen für ein Parteiverbot, weshalb mit einer Auflösung der größten Partei des Landes gerechnet wird. Angeblich feilt Erdogan hinter den Kulissen bereits an Plänen für eine neue Partei und für vorgezogene Neuwahlen, die im Oktober oder November stattfinden könnten. Dass die Erdogan-Gruppe, die nach Umfragen mit 40 bis 50 Prozent Zuspruch nach wie vor unumstritten die Nummer eins bei den Wählern ist, durch ein Verbot der AKP auf Dauer von der Regierung fernzuhalten ist, glaubt in Ankara niemand.

Eine Organisation aus AKP-kritischen Ex-Militärs, Wirtschaftsfunktionären, Anwälten und Journalisten soll versucht haben, Erdogan und seine Anhänger mit Hilfe eines Militärputsches endgültig zu vertreiben. Ein Istanbuler Staatsanwalt ermittelt seit mehr als einem Jahr gegen die Gruppe „Ergenekon“, die Waffen für Anschläge gesammelt haben soll. Mehr als 40 Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft. Erst am Dienstag waren zwei Ex-Generäle und mehr als 20 weitere mutmaßliche „Ergenekon“-Mitglieder festgenommen worden. Die Opposition spricht von einer gezielten Einschüchterungskampagne der Regierung, weil die jüngsten Festnahmen mit Yalcinkayas Plädoyer im AKP-Verfahren zusammenfielen. Doch mehrere Zeitungen berichteten, die Polizei habe mit ihrer Aktion bereits weit gediehene Putschpläne in letzter Minute vereitelt. Demnach wollte „Ergenekon“ am kommenden Sonntag regierungsfeindliche Kundgebungen organisieren, bei denen Zusammenstöße mit der Polizei provoziert werden sollten. Auch Attentate und eine Medienkampagne gehörten demnach zu den Plänen, deren Ziel es gewesen sei, einen Militärputsch auszulösen.

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