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Türkei: Furcht vor neuer Eskalation im Kurdenkonflikt

Nach dem Anschlag mutmaßlicher kurdischer Rebellen auf den Wahlkampf-Konvoi des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan wächst die Furcht vor einer neuen Gewaltwelle in der Türkei vor den Parlamentswahlen am 12. Juni.

Erdogan selbst machte die PKK-Rebellen für den Angriff verantwortlich, bei dem ein Polizist starb. Der Überfall war nach Meinung von Beobachtern das Zeichen einer blutigen Wahlkampfstrategie der Kurdenrebellen. Bis zum Wahltag sind weitere Gewalttaten möglich.

Es sei denkbar, dass die PKK erneut versuchen wird, die Spannungen im Land anzuheizen, sagte Mehmet Yegin vom Politik-Institut Usak in Ankara am Donnerstag unserer Zeitung. Nach seiner Meinung erwartet, ja erhofft die PKK nach dem Anschlag vom Mittwoch eine scharfe Gegenreaktion des Staates oder anti-kurdische Ausschreitungen türkischer Nationalisten.

Denn eine solche Eskalation würde der Erdogan-Partei AKP schaden, die laut Meinungsumfragen im Kurdengebiet bei mehr als 50 Prozent liegt; landesweit liegt die AKP knapp unter 50 Prozent und steht für viele Beobachter schon jetzt als erneuter Wahlsieger fest. Staatlicher Druck würde jedoch den mit der AKP konkurrierenden kurdischen Parlamentskandidaten mehr Wähler zutreiben.

Auch die Wahl des Anschlagsortes in der Nähe von Kastamonu in der Schwarzmeer-Region sei kein Zufall gewesen, sagte Yegin: Die Gegend gilt als Hochburg türkischer Nationalisten - ein ideales Umfeld, wenn Vergeltungsaktionen ausgelöst werden sollten. Und genau das war die Überlegung hinter dem Anschlag, ist Yegin sicher: "Es war eine gezielte Provokation."

Und eine tödliche. Auf einer bewaldeten Landstraße südlich von Kastamonu eröffneten Unbekannte das Feuer auf den Konvoi, ein Polizeiwagen brannte nach einem Schuss in den Benzintank aus, ein Beamter in dem Wagen starb. Ob die fünf bis sechs Angreifer Erdogan selbst töten wollten, ist nicht bekannt. Der Ministerpräsident hatte seinen Konvoi kurz zuvor in Kastamonu verlassen und war per Hubschrauber zum nächsten Wahlkampfauftritt nach Amasya geflogen.

Dort machte er in seiner Rede deutlich, dass er die PKK hinter dem Anschlag vermutet. "Separatistische Kräfte versuchen, auf diesem Weg zu erreichen, was sie an der Wahlurne nicht erreichen können", sagte er. Die türkische Polizei soll die Behörden in der Schwarzmeer-Region erst Anfang der Woche vor PKK-Anschlägen gewarnt haben. Der angesehen Kolumnist Murat Yetkin schrieb in der Zeitung "Radikal", die Lage sei ernst, wenn die PKK sogar am Schwarzen Meer zuschlagen könne, weit weg vom ostanatolischen Kurdengebiet. Die Sicherheitsvorkehrungen für den Regierungschef und führende Politiker anderer Parteien im Wahlkampf wurden noch einmal verstärkt.

Ob die von Yegin und anderen Beobachtern vermutete Provokations-Strategie der PKK aufgeht, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der türkische Staat nun im Kurdengebiet wieder mehr Härte zeigt. PKK-Experte Yegin rät deshalb, die Behörden sollten kühlen Kopf bewahren und "nicht übertreiben".

Von der PKK selbst lag am Donnerstag keine Stellungnahme vor, und auch die Kurdenpartei BDP schwieg zu dem Anschlag. Beide Organisationen hatten der Regierung in jüngster Zeit vorgeworfen, von Reformzusagen in der Kurdenfrage abgerückt zu sein. Die PKK, die seit 1984 gegen Ankara kämpft, hatte eine im vergangenen Jahr verkündete Feuerpause aufgekündigt. Der Anschlag vom Mittwoch geschah an jenem Tag, an dem im Kurdengebiet sieben PKK-Kämpfer beigesetzt wurden, die von türkischen Sicherheitskräften erschossen worden waren. Die Kurdenpolitikerin Aysel Tugluk sagte bei einer Trauerfeier, Erdogan sei "verantwortlich für diesen Krieg".

Nach dem Anschlag auf Erdogans Konvoi richten sich viele Blicke nun auf die BDP. Die Kurdenpartei sieht sich ohnehin der Forderung gegenüber, sich von der PKK und der Gewalt eindeutig loszusagen, was sie bisher sorgsam vermieden hat. Nun wird dieser Druck noch ansteigen. "Ob nun Erdogan das Ziel ist oder ein anderer: Ein Anschlag auf einen Politiker im Wahlkampf ist ein Anschlag auf eine demokratischen Akt und damit auf die Demokratie selbst", sagte Mehmet Yegin. "Die BDP muss das verurteilen."

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