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Türkei gegen Armenien: "Ein Sieg für den Frieden"

Türkisch-armenische "Fußball-Diplomatie" in Bursa: Mit türkischen Spezialitäten und symbolischen Gesten nähern sich die Regierenden beider Staaten an. Die Sicherheitskräfte verhindern in letzter Minute eine spektakuläre Störaktion der Nationalisten.

Normalerweise hält sich die türkische Präsidentengattin Hayrünnisa Gül aus der Politik heraus. Doch als ihr Mann am Mittwochabend im nordwesttürkischen Bursa den armenischen Staatschef Serge Sarkisyan empfing, schickte Frau Gül einen ganz besonderen Gruß: Sie bereitete einige Gerichte zu und ließ sie den armenischen Gästen in Bursa servieren. „Das war ein ganz besonderer Ausdruck der Wärme“, schwärmte der armenische Außenminister Edouard Nalbandian.

Der kulinarische Beitrag von Frau Gül war nur eine von vielen symbolischen Gesten an diesem Abend. Sarkisyan und Abdullah Gül trafen sich anlässlich eines WM-Qualifikationsspiels der Fußball-Nationalmannschaften beider Länder. Im vergangenen Jahr hatte Gül mit einem Besuch beim Hinspiel in Eriwan die „Fußball-Diplomatie“ zwischen den lange verfeindeten Nachbarn eingeleitet. Jetzt erwiderte Sarkisyan den historischen Besuch Güls mit der ersten Türkei-Visite eines armenischen Staatschefs zwecks bilateraler Treffen; bisher hatten armenische Präsidenten die Türkei nur im Rahmen internationaler Konferenzen besucht.

Erstaunliche Geste

Gemeinsam fuhren Gül und Sarkisyan nach dem Abendessen in einem mit den Standarten beider Länder geschmückten Wagen zum Atatürk-Stadion von Bursa, wo als Zeichen des Friedens weiße Tauben in die Luft stiegen. Besonders entzückt waren die Türken davon, dass Sarkisyan dem türkischen Präsidenten nach dem ersten Tor der Türken gegen die Armenier lächelnd gratulierte. „Der erste Glückwunsch kam vom armenischen Präsidenten“, staunte die Zeitung „Hürriyet“. Das türkische Fernsehen wiederholte die Szene während der Live-Übertragung des Spiels mehrmals.

Am Ende gewannen die Türken 2:0, doch der Fußball war in Bursa nicht so wichtig, auch weil beide Mannschaften die Qualifikation zur WM ohnehin bereits verpasst hatten. „Ein Sieg für den Frieden“ sei das Spiel gewesen, titelte eine Zeitung.

„Wir schreiben hier keine Geschichte, wir machen Geschichte“, sagte Gül. Sarkisyan betonte bei seiner Heimreise spät in der Nacht, beide Länder hätten gute Arbeit geleistet. Erst vor wenigen Tagen hatten die Außenminister der Türkei und Armeniens in Zürich zwei Protokolle zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen unterzeichnet. Ein Botschafteraustausch und eine Öffnung der seit 1993 geschlossenen Landgrenze sind vorgesehen.

Streit um Karabach

Angesichts der tiefen historischen Wunden ist diese Entwicklung bemerkenswert. Armenien und viele internationale Forscher sagen, dass die Türken im untergehenden Osmanischen Reich 1915 bis zu 1,5 Millionen Armenier im ersten Völkermord der Moderne töteten. Die Türkei weist den Vorwurf des Völkermordes strikt zurück. Streit gibt es auch um den Konflikt in Berg-Karabach, eine armenische Enklave im türkischen Partnerstaat Aserbaidschan.

Gül betonte, beide Seiten seien sich der Schwierigkeiten und Widerstände bewusst. „Wir schreiten langsam voran“, sagte der türkische Präsident. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will die Armenien-Protokolle erst dann vom Parlament ratifizieren lassen, wenn es Bewegung im Karabach-Konflikt gibt.

Buhrufe im Stadion

Angesichts der festgefahrenen Fronten in Karabach könnte das auf eine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleinstag hinauslaufen. Das befürchten wohl auch die Armenier. In Bursa forderten sie die türkische Seite offenbar auf, die Ratifizierung rasch voranzutreiben. Wenn sich bis zum nächsten Frühjahr nichts rühre, werde Armenien die unterzeichneten Protokolle möglicherweise wieder annullieren, will die Zeitung „Hürriyet“ erfahren haben. In beiden Ländern wird die türkisch-armenische Versöhnungspolitik von Nationalisten heftig kritisiert.

Gegner der Annäherung machten sich auch in Bursa bemerkbar. So begleiteten die türkischen Fans die armenische Nationalhymne im Stadion mit lauten Buhrufen; bei jedem Ballkontakt der Armenier ging ein Pfeifkonzert los. Nach Presseberichten verhinderte die Polizei zudem in letzter Minute eine spektakuläre Störaktion türkischer Nationalisten im Stadion: Diese wollten offenbar mit einem Bulldozer aufs Spielfeld rollen und dort eine Fahne Aserbaidschans entrollen. Vier Verdächtige wurden festgenommen.

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