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Flüchtlinge kommen aus einer griechischen Polizeistation.

© dpa

Türkei - Griechenland: Flüchtlingspolitik im Strudel des Visa-Streits

Nach dem Hilferuf Griechenlands an die EU in der Flüchtlingsfrage richten sich die Blicke auf den östlichen Nachbarn Türkei. Doch dieser zögert mit der Unterschrift unter ein Rückübernahme-Abkommen.

Auch die von Athen angeforderten Eingreifteams der EU-Grenzschutzagentur Frontex werden den Strom von Flüchtlingen aus Asien und Afrika nicht stoppen können, die über türkisches Territorium nach Westeuropa gelangen. Ein Rückübernahme-Abkommen, mit dem sich Ankara verpflichtet, Flüchtlinge wie die aus Griechenland wieder aufzunehmen, ist so gut wie fertig. Die EU hat das Abkommen zur Voraussetzung für Erleichterungen für die Türken in der Visafrage erklärt, doch die Türkei zögert. Sie befürchtet, dass die EU auch nach Unterzeichnung des Abkommens die Visumspflicht nicht lockern wird.

Über kaum ein anderes Thema in den Beziehungen zur EU regen sich türkische Regierungspolitiker derzeit so auf wie über die Visafrage. Mit Balkanländern wie Serbien und Montenegro, die nicht einmal über eine EU-Mitgliedschaft verhandeln, haben die Europäer die Abschaffung der Visumspflicht verabredet – für die Türkei aber, die seit fünf Jahren ihre Beitrittsgespräche führt, ist ein solcher Schritt nicht in Sicht.

Und das sieht Ankara nicht mehr ein. „Das Rückübernahme-Abkommen ist unterschriftsreif“, sagte der türkische EU-Minister Egemen Bagis kürzlich bei einer europapolitischen Konferenz in Istanbul. „Aber wir unterzeichnen nicht. Wir wollen, dass sich die EU-Kommission bei den Mitgliedsländern ein Mandat zum Beginn der Verhandlungen über die Visumsfreiheit holt.“ Der Beginn solcher Gespräche wäre ein „Zeichen der Ernsthaftigkeit der EU“, fügte Bagis hinzu. „Der Visums-Quatsch muss enden.“

Mangelndes Vertrauen spielt eine große Rolle. Die Türkei will nicht neue Verpflichtungen in der Flüchtlingspolitik übernehmen, nur um dann zu erleben, dass die EU beim Thema Visumsfreiheit weiter mauert. EU-Vertreter in Ankara betonen schon jetzt, eine Abschaffung der Visumspflicht von jetzt auf gleich werde es nicht geben. Finanzielle Differenzen sind ebenfalls im Spiel. Laut Experten schätzt Ankara die Kosten für die Wiederaufnahme von Flüchtlingen aus Westeuropa auf rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Die EU will nur mit rund 70 Millionen Euro pro Jahr helfen.

Das Flüchtlingsthema ist eines der wenigen Druckmittel für die Türkei im Umgang mit der EU, denn ohne türkische Hilfe kommen die Europäer hier nicht weiter. Politiker wie Bagis wissen aber auch, dass sie den Bogen nicht überspannen dürfen. Da die Unterzeichnung des Rückübernahme-Abkommens eine Vorbedingung für den visafreien Reiseverkehr mit der EU ist, liegt eine Totalverweigerung nicht im Interesse Ankaras.

Erst vergangene Woche vereinbarte die Türkei deshalb mit Griechenland eine engere Zusammenarbeit bei der Eindämmung illegaler Grenzübertritte von Ost nach West. Laut einer im Mai unterzeichneten Vereinbarung soll die Türkei pro Jahr tausend Flüchtlinge aus Griechenland wieder aufnehmen.

Eine Lösung ist dies aber nicht. Nach Angaben des türkischen Solidaritätsvereins für Asylbewerber und Flüchtlinge werden jedes Jahr rund 100.000 Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Westen in der Türkei festgenommen – schätzungsweise ebensovielen gelingt die illegale und oft lebensgefährliche Weiterreise in die EU.

Auch die Türkei selbst ist mit ihrer schnell wachsenden Wirtschaft jedes Jahr Ziel von zehntausenden Migranten. Diese Zahl dürfte in den kommenden Jahren weiter ansteigen, denn die Türkei ist nicht nur wirtschaftlich attraktiv, sondern auch relativ leicht zu erreichen. Ankara hat den Visumszwang für Menschen aus mehr als 60 Ländern abgeschafft, darunter sind Nationen wie Georgien, Marokko, Sudan, Syrien und der Iran. Unabhängig von ihrem Visumsstreit mit der EU braucht die Türkei schon in eigenem Interesse eine neue Flüchtlingspolitik.

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