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Türkei: Tödlicher Hinterhalt - und viele Verdächtige

Es gibt gewalttätige Kurdendemonstrationen, in Ankara berät das Verfassungsgericht über ein Verbot der Kurdenpartei DTP, Nationalisten greifen Parteibüros der DTP an. War der Überfall auf türkische Soldaten ein Anschlag auf den kurdischen Friedensprozess?

Es war eine Routine-Patrouille, nur der dichte Nebel war ungewöhnlich. Zwei Fahrzeuge der türkischen Gendarmerie tasteten sich am Montagnachmittag vorsichtig eine kurvige Landstraße bei Resadiye in der ostanatolischen Provinz Tokat entlang. Sie kamen nur langsam voran - und boten ein leichtes Ziel: Knapp einen Kilometer vor der Kaserne der Soldaten wurde der Konvoi plötzlich aus dem dichten Wald heraus unter Beschuss genommen. Sieben Soldaten starben im Kugelhagel, die Angreifer entkamen unerkannt.

Niemand in der Türkei glaubt an einen Zufall. Der schwerste Anschlag auf die Armee seit Monaten wurde ausgerechnet zu einem Zeitpunkt verübt, da Bemühungen um ein friedliches Ende des Kurdenkonfliktes auf Messers Schneide stehen. Seit Tagen gibt es gewalttätige Kurdendemonstrationen in mehreren Landesteilen, in Ankara berät das Verfassungsgericht seit Dienstag über ein Verbot der Kurdenpartei DTP, Nationalisten greifen Parteibüros der DTP an. Die Situation ist ohnehin äußerst gespannt. Und nun das.

Erogan: "Eine offene Provokation"

Die Kurdenrebellen von der PKK und türkische Nationalisten gleichermaßen lehnen den Plan von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zur Lösung der Kurdenfrage strikt ab. In Resadiye kommt die Nationalistenpartei MHP, die Erdogan Vaterlandsverrat vorwirft, auf 50 Prozent der Stimmen.

"Eine offene Provokation" sei der Anschlag gewesen, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan deshalb. Der Premier hält sich derzeit in den USA auf, wo er mit Barack Obama über eine engere Zusammenarbeit gegen die PKK beriet. Für einige Beobachter liegt deshalb der Schluss nahe, dass der tödliche Anschlag eine Kampfansage der PKK an Ankara war. Die Kurdenrebellen bekannten sich bis zum Dienstagnachmittag nicht zu der Gewalttat. Ihr Hauptquartier in den nordirakischen Kandil-Bergen erklärte jedoch drohend, angesichts der Haltung der türkischen Regierung beginne "in Kurdistan eine neue Phase". Zum - bewaffneten - Widerstand gebe es keine Alternative.

Erdogan will PKK-Führer abschieben

Für die PKK-Führung trifft dies tatsächlich zu. Schließlich würden die Kurdenrebellen überflüssig, wenn plötzlich der Frieden ausbräche. Nach 25-jährigem Krieg gegen Ankara bildet der bewaffnete Kampf die Existenzberechtigung für die PKK. Die Anführer der Rebellen können angesichts der vielen Gewalttaten der vergangenen Jahre nicht mit der Rückkehr ins zivile Leben rechnen. Erdogan will sie aus dem Nordirak ins Ausland abschieben lassen, nach Skandinavien oder an den Persischen Golf. Dort könnten sie vielleicht in Ruhe leben - aber wichtig wären sie nicht mehr.

Allerdings bilden die PKK-Hardliner nicht die einzige Fraktion, die den Frieden als Bedrohung sehen könnte. Die türkische Justiz ermittelt seit zwei Jahren gegen mutmaßliche Mitglieder des von Armee-Offizieren angeführten Geheimbundes Ergenekon, der laut Staatsanwaltschaft das Land mit Anschlägen und Attentaten ins Chaos stürzen wollte, um einen Militärputsch gegen Erdogan zu provozieren. Erst vor wenigen Wochen erließ ein Gericht mehrere Haftbefehle gegen Offiziere, die Anschläge auf Christen und Juden geplant haben sollen, um sie anschließend den Erdogan-Anhängern in die Schuhe zu schieben.

Sie hoffe, dass nun nicht erneut Ergenekon am Werke sei, sagte die DTP-Kovorsitzende Emine Ayna über den Anschlag von Resadiye. Das mag sich nach einer wilden Verschwörungstheorie anhören, doch Ähnliches ist in der Türkei bereits geschehen. Vor fast genau vier Jahren verübten Mitglieder eines Armee-Geheimdienstes einen tödlichen Bombenanschlag im Kurdengebiet, um in der Gegend neue Spannungen zu schaffen. Ein ehemaliger General gestand unumwunden ein, er habe in seiner aktiven Zeit im Kurdengebiet die ein oder andere Bombe werfen lassen, um neu angekommenen Richtern und Staatsanwälten klar zu machen, wie gefährlich die Lage in der Region sei.

Wer immer hinter der neuen Eskalation stecke - es bestehe die Gefahr, dass das ganze Land in eine neue Gewaltwelle hineingezogen werde, kommentierte die Zeitung "Taraf" am Dienstag.

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