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Syrische Regierungstruppen sollen Gräueltaten an Kindern begangen haben.

© dpa

UN-Bericht prangert an: Syrien foltert Kinder

Zehnjährige müssen sich auf Panzer setzen, andere werden grausam verstümmelt: Die Vereinten Nationen erheben schwere Vorwürfe gegen syrische Regierungstruppen und haben das Land auf die "Liste der Schande" gesetzt.

Die Vereinten Nationen (UN) schlagen Alarm: Die Streitkräfte und Milizen des Assad-Regimes führen in Syrien einen besonders grausamen Krieg gegen Kinder. In der am Montag veröffentlichen jährlichen „Liste der Schande“ über das Schicksal von Kindern in Konfliktgebieten berichtet die UN unter anderem über Folter mit glühenden Zigaretten oder Stromschlägen an den Genitalien.

In dem Dorf Ayn l’Arus wurden Augenzeugen zufolge im März mehrere Dutzend Kinder zwischen acht und 13 Jahren mit Gewalt ihren Familien entrissen. Sie seien anschließend von Soldaten und Milizen bei einer Razzia des Dorfes als menschliche Schutzschilde vor die Fenster der Busse gestellt worden, in denen Truppen saßen. Mädchen und Jungen, die nicht einmal neun Jahre alt sind, werden erschossen, verstümmelt, verschleppt, gefoltert und vergewaltigt. Allein der Verdacht genügt, dass Verwandte der Kinder oder sie selbst Kontakte zu der Opposition unterhalten. Aufseiten der Aufständischen gebe es „einige glaubwürdige Vorwürfe“, dass die Freie Syrische Armee (FSA) und andere Gruppen Kinder rekrutierten, hieß es in dem UN-Bericht.

Die UN-Beauftragte für Kinder in bewaffneten Konflikten, Radhika Coomaraswamy sagte, sie habe noch nie einen derartigen Krieg wie in Syrien erlebt, in dem Kinder gezielt als Opfer ausgewählt werden. Der UN-Bericht basiert auf Interviews vom März 2012 mit Opfern und Zeugen in der Region.

Bilder des Bürgerkriegs in Syrien:

In dem Bericht werden 32 Staaten genannt, in denen seit mindestens fünf Jahren staatliche Gewalt gegen Kinder ausgeübt wird. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigte sich tief besorgt über die „inakzeptable hohe und wachsende Zahl“ langjähriger staatlicher Gewalt gegen Kinder. Coomaraswamy sagte, die Konflikte im vergangenen Jahr in Syrien und Libyen hätten dort Leid über viele Kinder gebracht. In anderen Teilen der Welt sei die Gewalt gegen Jungen und Mädchen beendet worden. Aber die sogenannte Liste der Schande sei immer noch viel zu lang.

Derweil äußerte sich das US-Außenministerium am Montag besorgt über Berichte, wonach das syrische Regime in der Provinz Latakia „möglicherweise ein weiteres Massaker organisiert“. UN-Beobachtern war zuvor der Zutritt verwehrt worden. Aktivisten berichteten am Montag von mehr als 50 Toten bei Kämpfen in den Provinzen Homs, Idlib und Latakia.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) verlangte von der syrischen Regierung uneingeschränkten humanitären Zugang zu den Opfern der Gewalt. „Wir stehen an der Seite des syrischen Volkes“, sagte Westerwelle am Dienstag in Berlin beim Treffen mit dem Präsidenten des Syrischen Arabischen Roten Halbmonds Abdul Rahman Attar in Berlin.

Das Außenministerium finanziert drei Lastwagen, den Aufbau und die Ausstattung von drei Lagerhallen in Homs, Idlib und Hama mitsamt Gabelstaplern und Material in Höhe von 650 000 Euro. Das Deutsche Rote Kreuz liefert das Material aus Berlin, Dubai schult das Personal. Attar begrüßte die Unterstützung seiner Organisation, die als einzige in Syrien offiziell Hilfe leisten darf und hauptsächlich auf der Arbeit von Freiwilligen basiert.

Unterdessen dokumentierten die UN- Beobachter am Dienstag erstmals den Einsatz von Kampfhubschraubern. Der Sprecher von UN-Vermittler Kofi Annan, Ahmad Fawzi, verurteilte dies als Bruch der Waffenruhe. Nach Angaben des Syrischen Beobachtungszentrums in London setzten Regierungstruppen den achten Tag in Folge ihre Angriffe auf die Stadt Al Haffa in der Provinz Latakia fort. „Regierungstruppen bereiten einen Sturm auf Al Haffa vor“, sagte Rami Abdel Rahman, ein Sprecher des Zentrums.

US-Verteidigungsminister Panetta: "Abscheuliche Gewalt" von Assads Truppen

UN-Generalsekretär Ban forderte einen Zugang der unbewaffneten UN-Beobachter zur Stadt Al-Heffa. Angesichts von Berichten über einen massiven Aufmarsch von Regierungstruppen rund um die Stadt müssten die Beobachter ungehinderten Zugang erhalten. Er schloss sich damit einer Forderung des Syrien-Sondergesandten von UNO und Arabischer Liga, Kofi Annan, an. Rebellenpositionen in der 30.000-Einwohner-Stadt nahe der türkischen Grenze stehen Bewohnern und Aktivisten zufolge unter Beschuss von Hubschraubern der Regierungstruppen, zudem sei die Stadt von Panzern umzingelt.

In der ostsyrischen Stadt Deir el Sur kamen nach Angaben von Aktivisten am Dienstag bei einem Mörserangriff auf eine Gruppe von Demonstranten mindestens zehn Menschen ums Leben. Die Kundgebung habe sich gerade aufgelöst, als sich der Angriff ereignete, teilten die Syrische Beobachterstelle für Menschenrechte und die Örtlichen Koordinationskomitees mit. Erst am Montagabend waren in Deir el Sur nach Angaben der Aktivisten mehr als zehn Menschen bei der Explosion einer Autobombe getötet worden.

Bilder des Bürgerkriegs in Syrien:

Der oppositionelle Syrische Nationalrat warf der Regierung von Präsident Baschar al-Assad am Montagabend vor, ihre „Politik des Terrors gegen das syrische Volk zu steigern“, während die internationale Gemeinschaft von „Schwäche und Zögern“ geprägt sei.

Der Rat forderte den UN-Sicherheitsrat und insbesondere die beiden Vetomächte Russland und China auf, „ihrer Verantwortung nachzukommen und auf die Verbrechen gegen Zivilisten in Syrien zu reagieren“. China und Russland verhinderten bereits zwei UN-Resolutionen zu Syrien.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta sagte am Montag, es gebe „keinen Königsweg“ zur Lösung des Konflikts in Syrien. Den Truppen Assads warf Panetta „abscheuliche Gewalt“ vor. Die Situation in Syrien sei „von jedem Blickwinkel aus enorm komplex und tragisch“, sagte Panetta laut vorab verbreitetem Redetext für eine Ansprache vor dem Amerikanisch-Türkischen Rat. Washington werde sich gemeinsam mit der Türkei und der internationalen Gemeinschaft für einen Rücktritt Assads und einen geordneten politischen Übergang einsetzen.

Ein ranghoher arabischer Beamter, der anonym bleiben wollte, forderte Annan am Montag auf, zu entscheiden, ob dessen Sechs-Punkte-Plan noch umsetzbar sei, wenn das Mandat der UN-Beobachter im kommenden Monat ausläuft. Annans Friedensplan könne nicht auf unbestimmte Zeit angelegt sein. Die Nachbarstaaten Syriens beobachteten das Blutvergießen mit zunehmender Sorge und bemühten sich angesichts einer wachsenden Flüchtlingskrise und der Befürchtung eines Übergreifens der Gewalt über die Grenzen um eine Lösung, sagte der Beamte.

Bei dem seit 15 Monaten anhaltenden Aufstand sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen mehr als 10 000 Menschen getötet worden. (mit AFP/dpa)

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