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US-Präsident Donald Trump vor einem Wahlkampfauftritt

© AFP/Saul Loeb

US-Kongress entscheidet über Impeachment: Was uns Amerikanern viel wichtiger ist als eine Amtsenthebung

Nicht das Amtsenthebungsverfahren von Trump wird die Präsidentschaftswahl 2020 entscheiden. Sondern unser katastrophales Gesundheitssystem. Ein Gastbeitrag.

Elisabeth Zerofsky ist eine amerikanische Journalistin. Sie schreibt für den „New Yorker“ und das „New York Times Magazine“. Von 2019 bis 2020 ist sie als Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung und hospitiert unter anderem beim Tagesspiegel.

Diesen Mittwoch wollen die Demokraten im amerikanischen Unterhaus das Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump einleiten, den Präsidenten meines Heimatlandes. Im Januar soll sich der Senat, die zweite Parlamentskammer, damit befassen. Schon in den vergangenen Wochen hat die Welt gebannt das Spektakel der Anhörungen gegen Donald Trump verfolgt – und das obwohl die Chancen, dass die Republikaner im Senat für eine Amtsenthebung stimmen werden, nahezu bei null liegen. Aller Voraussicht nach wird das Impeachment scheitern.

Ohnehin wird die Zukunft der USA nach dem Wahljahr 2020 nicht in Washington, sondern im Rest des Landes entschieden werden. Nicht das Amtsenthebungsverfahren wird die Wahl entscheiden. Sondern jenes Thema, dass auch die Debatten der demokratischen Präsidentschaftskandidaten beherrscht hat: unser katastrophales Gesundheitssystem.

Einer von zehn Amerikanern sagt, er kenne jemanden, der gestorben ist, weil er sich keine medizinische Versorgung leisten konnte. Gesundheitskosten sind der am weitesten verbreitete Grund für Bankrott. Viele Amerikaner haben gar keine Krankenversicherung. Und selbst als Versicherter hat man teils hohe Ausgaben, da die Versicherungsfirmen kaum Regulierungen unterliegen. Viele Amerikaner vermeiden es deshalb einfach, zum Arzt zu gehen. Es ist wirklich nicht übertrieben, die Situation als miserabel zu bezeichnen.

Unsere Debatten erscheinen vielen wahnsinnig

Die Vorstellungen, wie diese Lage geändert werden kann, klaffen allerdings weit auseinander – schon innerhalb des demokratischen Lagers. Unter den Kandidaten der Demokraten lassen sich einerseits progressive wie Elizabeth Warren oder Bernie Sanders finden, die private Krankenversicherungen abschaffen und schnell ein gesetzliches System nach dem Vorbild europäischer Sozialstaaten oder eine Einheitskrankenkasse einführen wollen. Auf der anderen Seite möchten Moderate wie Pete Buttigieg oder Joe Biden langsam das private Versicherungssystem, das wir haben, ausbauen, indem sie auf Barack Obamas Reformen aus dem Jahr 2010 aufbauen und ein „Regierungsangebot“ einführen.

Die Amerikaner wissen, dass unsere Debatte von außen betrachtet wahnsinnig erscheint. Einen kürzlich veröffentlichen Artikel in der „New York Times“ über Warrens Plan und dessen Kosten für die Regierung (20,5 Billionen US-Dollar) kommentierte ein kanadischer Leser wie folgt: „Wir Kanadier sind erstaunt darüber, dass ihr alle nicht nach einer Einheitskasse schreit. Wir haben seit 50 Jahren ein allgemeines Gesundheitssystem, unser System ist nicht bankrott, und ich kenne keinen einzigen, der zu einem privaten Gesundheitssystem zurückkehren wollen würde.“

Tatsächlich rufen viele von uns nach einer Einheitskrankenkasse. Im Januar dieses Jahres gaben 85 Prozent der Amerikaner an, sich zu wünschen, dass die Regierung mehr für die Gesundheitsversorgung tut. (Etwa 70 Prozent aller Wähler der Demokraten bevorzugen eine Einheitskrankenkasse.) Wir träumen davon, uns nach Deutschland oder Frankreich teleportieren zu können, wenn wir krank sind. Das Problem mit dieser Idee wird dann deutlich, wenn man aus dem Traum erwacht und sich über das Übergangsverfahren Gedanken macht. Im Jahr 2013 führte Obama healthcare.gov ein, die erste Regierungsmaßnahme seit vielen Jahren, die den Zugang zum Gesundheitssystem erweiterte. Er schaffte damit eine Webseite, auf der Versicherungen neue, erschwinglichere Versorgungspläne anbieten mussten.

„Obamacare“ hat die Kosten nicht gesenkt

Doch wir haben alle traumatische Erinnerungen daran, wie das ausging: Die Webseite stürzte ab, funktionierte über mehrere Wochen kaum und frustrierte diejenigen, die das neue Regierungsprogramm nutzen wollten. Nun stellen sie sich vor, dass ein riesiges, dezentralisiertes und chaotisches Gesundheitssystem, das 16 Millionen Amerikaner beschäftigt und 3,65 Billionen US-Dollar an Zahlungen pro Jahr abwickelt, abgeschafft wird mit dem Versprechen, durch etwas Besseres ersetzt zu werden. Jemand mit einer chronischen Krankheit wie Krebs wird sich die Frage stellen, ob es zu Unterbrechungen in der Behandlung kommen wird, was eine Frage von Leben und Tod sein könnte.

Diese Person wird besorgt sein, ob Krankenhäuser und Kliniken ihr Rechnungssystem so reibungslos umstellen können, dass sie im Notfall die nötigen Dienste anbieten können. Ältere Amerikaner wie mein Vater und seine Freunde, die jahrzehntelang gearbeitet und sich für ein Gesundheitssystem entschieden haben, von dem sie wissen, dass es ihre mit dem Alter wachsende Bedürfnisse abdeckt, werden Angst haben, dass ihnen das genommen und durch etwas Unbekanntes ersetzt wird. Damit ist noch nichts über die 16 Millionen Menschen gesagt, die ihre Jobs verlieren könnten und nichts über die Versicherungen, die hart dagegen ankämpfen würden.

Obamas Programm hat den Zugang zu Gesundheitsversorgung erweitert, doch Studien belegen, dass es die Kosten nicht gesenkt und einige der verwerflichsten Gesetzeslücken nicht geschlossen hat. Deswegen kommen Trumps Ankündigungen, „Obamacare“ abzuschaffen und zu ersetzen, gut an (sein Versuch, das zu tun, wurde durch die Gerichte gestoppt).

Eine Mischform - wie in Europa

Warren und Sanders versprechen aus ideologischen Gründen, den Krankenversicherungen den Kampf anzusagen. Sie würden aber mehr Unterstützung bekommen, wenn sie sich (anstatt private Versicherungen komplett abschaffen zu wollen) für Standards wie im deutschen, französischen oder kanadischen System einsetzen würden. (Wir vergessen in den USA gern, dass auch diese Systeme privat-gesetzliche Mischformen sind).

Konkret könnte das heißen: Obergrenzen auf monatliche Beiträge und Arzneimittel und die Abschaffung der Selbstbeteiligung, durch die man, selbst wenn man versichert ist, zunächst tausende von Dollar für seine Gesundheitsversorgung zahlen muss. Das wäre eine sehr viel realistischere Lösung, die mehr Amerikaner überzeugen würde und für die wahrscheinlich mehr Amerikaner stimmen würden.

Die Wähler der Demokraten in den USA wünschen sich einen wirklich progressiven Kandidaten, jemanden, der der radikalen Grundhaltung unserer Zeit mit wahrhaftig neuen Ideen begegnen kann. Viele zollen vor allem Elizabeth Warren großen Respekt für ihren Erfindungsgeist, ihre Stärke und ihre vielseitige Lebenserfahrung. Aber viele fürchten sich vor ihrem Vorhaben, eine Einheitskrankenkasse einzuführen. Menschen, die eigentlich für sie stimmen würden, wird dieser Punkt zögern lassen. Letztendlich könnte die Fähigkeit des Kandidaten der Demokraten, genug Unterstützung zu bekommen, um Trump zu schlagen, davon abhängen, ob er oder sie diesen Ängsten überzeugend und beruhigend begegnen kann.

Elisabeth Zerofsky

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