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UN-Soldaten im Einsatz

© SAMIR TOUNSI / AFP

Vereinte Nationen im Kampf gegen die Pandemie: Die Coronakrise ist ein Fall für den UN-Sicherheitsrat geworden

Streit zwischen China und den USA blockiert bisher eine Resolution. Dennoch sind die UN bereits aktiv - über drei Missverständnisse. Ein Gastbeitrag.

Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Wibke Hansen leitet den Bereich Analyse im Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF)

Versagen die Vereinten Nationen (UN) in der COVID-19 Krise? Das wird mitunter in der aktuellen Debatte unterstellt. Doch dem liegen drei grundsätzliche Missverständnisse zugrunde: Erstens, dass es primär oder ausschließlich um eine Gesundheitskrise gehe; zweitens, dass die UN überwiegend untätig seien und drittens, das der UN-Sicherheitsrat in einer solchen Situation nicht gefragt sei.  

Für die meisten Länder geht es nicht um eine Corona-Krise – sondern um die Bewältigung multipler, paralleler Krisen. Diese können neben Problemen bei der Gesundheitsversorgung ökonomischer, sozialer oder politischer Natur sein, sie können die Sicherheit betreffen und die humanitäre Lage.

Dabei lässt sich noch nicht absehen, wie diese verschiedenen Krisen aufeinanderfolgen oder zusammenwirken werden. Länder und Gebiete mit bewaffneten Konflikten sind sicher aufgrund der zerstörten Infrastruktur, hohen Zahlen von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen und dem schwierigen Zugang für humanitäre Helfer besonderen Risiken ausgesetzt.

Viele Entwicklungsländer mögen mit schlechten Gesundheitssystemen und schwachen Institutionen kämpfen, einige haben aber auch bereits Erfahrung im Umgang mit Epidemien. Es gibt viele Herausforderungen, aber keine Blaupause.

Das UN-Krisenmanagement läuft - auch wenn der Sicherheitsrat schweigt

Die aktuelle Situation verlangt globales Handeln und gleichzeitig den Einsatz ganz unterschiedlicher Instrumente. Dafür ist keine Organisation so gut aufgestellt wie die UN. Mit ihrer Präsenz in einer Vielzahl von Staaten sind sie krisenerprobt, auch im Umgang mit der Ausbreitung von Epidemien. Ihre Fonds, Agenturen und Sonderorganisationen verfügen über Expertise und Kapazitäten, auf die es jetzt besonders ankommt.

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Der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen sprach jüngst von der „ohrenbetäubenden Stille“ des Sicherheitsrates in der Covid-19 Krise. Seit dem 12. März tagt der Sicherheitsrat physisch nicht mehr, berät sich aber per Videokonferenz. Ein umständliches schriftliches Verfahren ermöglicht Beschlüsse.

Eine Resolution zu den Auswirkungen von Covid-19 kam bislang allerdings nicht zustande. Versuche, eine solche auf den Weg zu bringen, scheiterten vor allem an Auseinandersetzungen zwischen den Vetomächten China und USA.

So blieb es bislang bei der knappen Stellungnahme des Rates nach einer erstens Sitzung zu Covid-19 Anfang April – und bei dem Eindruck, dass das höchste Gremium der Weltorganisation in dieser Krise kaum sichtbar ist.

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Gleichzeitig widmet sich beinahe das gesamte UN-System der Bewältigung der Krise, allen voran natürlich die zuletzt von Präsident Trump gescholtene Weltgesundheitsorganisation. Sie wirkt nicht nur koordinierend und beratend, sondern unterstützt eine große Zahl an Ländern mit dringend benötigter medizinischer Ausrüstung.

Neue Task-Force sichert Versorgungsketten

Mittels einer neu eingerichteten Task Force zur Sicherung von Versorgungsketten sollen Güter wie Schutzmasken und diagnostische Tests bis zu 95 Staaten erreichen. UN-Generalsekretär Guterres rief seinerseits am 23. März zu einem globalen Waffenstillstand auf, damit die Bevölkerung in Konfliktgebieten versorgt und auch dort das Virus eingedämmt werden kann.

Wegen Corona bleibt der Sitzungssaal des UN-Sicherheitsrates derzeit leer.
Wegen Corona bleibt der Sitzungssaal des UN-Sicherheitsrates derzeit leer.

© Yorick Jansens/dpa

Diverse weitere Initiativen und neue Strukturen sind darauf ausgerichtet humanitäre Hilfsaktionen zu bündeln, Versorgungsketten zu sichern und Gelder zu mobilisieren.

Auch die längerfristigen Auswirkungen der Pandemie werden in den Blick genommen, unter anderem im Kontext eines „Fahrplans“ für den Umgang mit den sozioökonomischen Folgen. Eine umfassende multilaterale Krisenreaktion mit einem Gesamtvolumen von 10 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts werde gebraucht, so der Generalsekretär.

UN-Friedensmissionen unterstützen Länder beim Kampf gegen Pandemie

Auch die Friedensmissionen der UN – mit über 90 000 Personen im Einsatz – haben sich operativ schnell den neuen Realitäten angepasst. Neue Maßnahmen sind darauf ausgerichtet einer Ausbreitung des Virus vorzubeugen, die Leistungsfähigkeit der Mission aufrechtzuerhalten und kritische Mandatsaufgaben weiter umzusetzen.

Gleichzeitig unterstützen sie ganz konkret die Einsatzländer beim Kampf gegen die Pandemie und ihre Folgen. 

Dies alles passiert trotz der weitgehenden Lähmung des UN-Sicherheitsrates. Das heißt im Umkehrschluss allerdings nicht, dass der Sicherheitsrat nicht tätig werden müsste.

Der Sicherheitsrat kann und sollte handeln

Einige Mitglieder des Sicherheitsrates sehen Covid-19 nicht als Thema für das höchste UN-Gremium. Während des Ebola-Ausbruchs in Westafrika hatte der Rat die Verbindung zwischen der Epidemie und internationaler Sicherheit recht schnell in einer Resolution anerkannt.

Es bräuchte nun ein Signal, dass der für die Bewahrung des Weltfriedens zuständige Sicherheitsrat handlungsfähig ist in einer Frage, die das Verhältnis von Staaten bereits jetzt grundlegend berührt.

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Positiv ist, dass sich der Sicherheitsrat am 9. April endlich zur Covid-19-Krise beraten hat – auch auf Initiative Deutschlands. Es braucht aber einen starken Beschluss, der den Aufruf zum globalen Waffenstillstand des Generalsekretärs nicht nur unterstützt, sondern auch verbindlicher macht.

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Die Auswirkungen der Pandemie in Konfliktgebieten wie Syrien, Südsudan oder Jemen müssten allgemeiner behandelt werden. Es gibt auch eine Reihe von Gebieten, in denen sich die Sicherheitslage zuletzt verschlechtert hat, so in Libyen und Teilen der Sahelzone.

Darauf und auf Friedensprozesse, die möglicherweise auf der Kippe stehen, müsste der Sicherheitsrat die Aufmerksamkeit lenken, die der Diplomatie in Zeiten von COVID-19 mitunter abhandenkommt.

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Der Sicherheitsrat sollte in der gegenwärtigen Situation auch Instrumente in seinem Zuständigkeitsbereich stärken und anpassen. Mandate für Friedensmissionen wurden zuletzt nur übergangsweise verlängert.

Das kann kurzfristig eine sinnvolle Lösung sein, droht aber mittelfristig für die Missionen zu einer Hängepartie zu werden. Der Sicherheitsrat sollte sich zur Fortführung der laufenden Missionen mit aktueller Personalstärke bekennen, z.B. bis zum Jahresende.

Es braucht auch einen Beschluss darüber, wie Militär, Polizei und ziviles Personal im Feld ausgetauscht und entlastet werden können. Gegenwärtig sind Rotationen der Blauhelmtruppen und Polizeieinheiten bis Ende Juni ausgesetzt.

Die UN brauchen dringend Geld zur Bekämpfung der Folgen von Corona

Letztlich wird es vor allem an den Mitgliedstaaten liegen, ob der Kampf gegen COVID-19 zur Stunde globaler Solidarität oder Spaltung wird. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie befand sich die UN in einer Liquiditätskrise.

Aktuell sind laut Generalsekretär allein die UN-Friedensoperationen nur noch bis Ende Juni mit Bargeldmitteln gedeckt. Es geht um immense Ressourcen, um die verschiedenen Krisen des COVID-19 Ausbruchs anzugehen. Hier können und sollten europäische Staaten, besonders Deutschland einen substanziellen Beitrag leisten.

Wichtig ist aber, dies mit einer starken politischen Botschaft zu verbinden. Denn die Pandemie zeigt uns: Ohne globale Zusammenarbeit geht es nicht, und dafür brauchen wir die UN.

Judith Vorrath, Wibke Hansen

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