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Die Angst der Landwirte. Bauern und Konsumenten protestierten im Januar in Berlin gegen TTIP.

©  Fabrizio Bensch/Reuters

Fortsetzung der TTIP-Verhandlungen: Viele Zölle sollen auf Null

Die Verhandlungen über das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP gehen weiter. Die EU bietet den USA in einem Geheimpapier an, 97 Prozent aller Zwangstarife zu senken. Fragen und Antworten zum Thema.

Am 15. Oktober 2015 ging der TTIP-Verhandlungsmarathon in eine entscheidende Runde. An jenem Tag legten die Verhandler der USA und der EU wichtige Karten auf den Tisch: Sie tauschten ihre gegenseitigen Zollangebote aus. Die USA hatten bis dahin nur ein dürftiges Angebot gemacht. Nun aber preschten sie vor und boten an, 87,5 Prozent aller Zölle sofort auf Null zu senken.

Das war mehr, als die EU erwartet hatte. Die europäischen Verhandler mussten nachlegen, um den Verhandlungsprozess nicht zu blockieren. Eine Woche später legten sie den Amerikanern ein revidiertes Angebot auf den Tisch: Danach sollen 97 Prozent aller Zölle bald fallen.

Wie lange wird noch verhandelt?

Seit 2013 wird über den Freihandel zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) verhandelt, ab Montag läuft die zwölfte Verhandlungsrunde in Brüssel. Beide Seiten haben angekündigt, bis Ende des Jahres das Freihandelsabkommen abschließen zu wollen. Und jetzt liegen erstmals konkrete Zahlen vor, wie sich TTIP auf die Verbraucher auswirken könnte. Das geheime Zollangebot der EU liegt dem Recherchezentrum Correctiv (correctiv.org) vor. Es enthält rund 8000 einzelne Posten. Für jede Fischart, jede Chemikalie, jeden Anorak aus Wolle oder Polyester gibt es einen eigenen Tarif.

Handelsabkommen sind wie Pokerspiele. Natürlich verbindet die EU mit ihrem Angebot eine Forderung: Dass die Amerikaner ihren Markt für öffentliche Aufträge öffnen. Damit sich etwa Hochtief darum bewerben könnte, eine amerikanische Autobahn zu bauen, oder BMW amerikanische Sheriffs mit Autos beliefern kann. Das ist bislang nicht möglich.

Was wird sich für den Verbraucher ändern?

Mit dem Zollangebot wird zum ersten Mal sichtbar, wie TTIP den Markt für Verbraucher verändern wird. Verschwinden Zölle, dann sinken die Preise. Autos etwa dürften billiger werden, die Zölle auf Autozubehörteile sollen fast komplett verschwinden. Pro Teil geht es zwar nur um Aufschläge in Höhe von zwei bis drei Prozent. Aber zusammen genommen könnten die deutschen Autohersteller pro Jahr rund eine Milliarde Euro einsparen, hat der Verband der Deutschen Autoindustrie (VDA) berechnet. Die Hersteller müssten die günstigeren Preise dann nur noch an die Kunden weitergeben.

Etliche Zollsenkungen betreffen Lebensmittel. Bislang entfallen auf Paprika aus den USA bis zu 14 Prozent Zoll. Fisch von den Küsten der USA wird mit bis zu 20 Prozent Zoll belegt. Auf Himbeeren entfallen knapp neun Prozent. Damit wird es sich für amerikanische Lebensmittelhersteller lohnen, in die EU zu exportieren – was die hiesigen Bauern unter Druck setzen wird.

Warum wird Fleisch ausgenommen?

Getreide und Fleisch sind deshalb größtenteils von Zollsenkungen ausgenommen. „In der Fleischindustrie wären wir eindeutig die Verlierer“, sagt Pekka Pesonen, Generalsekretär der Europäischen Interessenvertretung der Landwirte. Futtermittel stünden den Bauern in den USA zu weit günstigeren Preisen zur Verfügung als in der EU. Außerdem, erklärt Pesonen, gebe es bei Produkten wie Fleisch „weitaus mehr Gründe, dass der Handel nicht einfach komplett zu liberalisieren ist“. Der Tierschutz etwa hat in der EU einen höheren Stellenwert, die Verwendung von Wachstumshormonen ist verboten. Eine komplette Öffnung des Agrarmarktes wäre vor allem für kleine Landwirte kaum zu schultern. Für sie ist es jetzt schon schwierig, gegen die Agrarindustrie zu bestehen. Darum wird vor allem bei Getreide und Fleisch am Ende weiter verhandelt werden.

Aber die EU musste auch hier ein paar Angebote machen, weil sich die US-Seite von der Öffnung der europäischen Agrarmärkte einiges verspricht. Schweinefleisch oder Saatkorn zum Beispiel sollen nach dem Willen der EU liberalisiert werden. Noch lässt die Kommission offen, ab wann die Zölle fallen sollen.

Beide Seiten verknüpfen ihr Angebot mit Bedingungen. Auf 19 Seiten sind Zölle auf Kleidung aufgelistet, auf Anoraks, Schuhe, Kittel, Garn. Hier liegen die Zölle in der Regel bei zwölf Prozent. Die EU bietet auch hier einen Nullzoll an. Aber hinter den EU-Angeboten steht ein „R“. Heißt: Wir senken die Zölle nur, wenn ihr es ebenfalls macht. Die USA wiederum haben den EU-Verhandlern klargemacht: Wir senken die Zölle bei Textilien, wenn wir bei dem Thema Ursprungsbezeichnungen vorankommen. Die USA verbinden die Zollsenkung mit der Klärung, wann ein Produkt als „Made in EU“ und wann als „Made in USA“ klassifiziert werden kann.

Welche Bereiche bleiben geschützt?

In dem Zollangebot der EU gibt es auffällig oft lange Übergangsfristen für Produkte großer Industriezweige. So sollen bestimmte Aluminiumröhren und -container erst nach sieben Jahren zollfrei in die EU dürfen. Das ist gut für die Stahlindustrie. Auch für hydraulische Motoren gelten Schonfristen, auch wenn die Zölle nur bei zwei bis vier Prozent liegen. Das passt den Maschinenbauern. Es gibt keine Informationen darüber, welche Zölle die USA senken wollen. Dort tun sich zum Beispiel die Autobauer schwer. Allein auf Pick-ups, die in die USA eingeführt werden, entfallen Zölle bis zu 25 Prozent.

Übergangsfristen sollen bestimmten Industriezweigen helfen, sich auf die neue Konkurrenz einstellen zu können. Sie erhalten damit wichtige Privilegien, auf die andere Branchen verzichten müssen, deren Produkte gleich Konkurrenz bekommen.

Besonders privilegiert ist bislang die Landwirtschaft, auf beiden Seiten des Atlantiks – weil sie besonders verwundbar ist. Der Olivenbauer aus Griechenland oder der Kleinbauer aus New Hampshire kann mit der Agrarindustrie, die leicht große Mengen verschiffen kann, nicht konkurrieren. In Europa sind Bauern durch einen Schutzwall von Subventionen, Zöllen und hohen Gesundheitsstandards geschützt. Genmanipuliertes Getreide darf grundsätzlich nicht eingeführt werden. Fleisch von hormonbehandelten Rindern darf nicht aus den USA importiert werden. Mit Chlor gereinigte Hühner dürfen nicht über die EU-Grenzen. Auf fast alle landwirtschaftlichen Produkte bestehen Einfuhrzölle – auf beiden Seiten. Es sieht so aus, dass das auch so bleiben soll. Aber der Schutz bröckelt.

Auf amerikanischer Seite lobbyieren vor allem die großen Agrarunternehmen für TTIP. Sie erhoffen sich satte Gewinne, wenn sie Weizen oder Futtermittel ohne Handelsbarrieren in die EU einführen könnten. Aber bisher stehen sie bei der EU vor einer Wand der Ablehnung: kein Hormonfleisch, keine genmanipulierten Produkte, keine Zollsenkungen. Nun reagiert die EU-Kommission ein wenig auf den Druck der Agrarindustrie. In dem Angebot steht, dass auch für landwirtschaftliche Produkte wie Schweinefleisch oder Saatgut die Zölle fallen sollen.

Übergangsfristen und spezielle Vermerke machen die Zukunft für bestimmte Bereiche in der Landwirtschaft ungewiss. Bei bestimmten Produkten gibt es eine extra Kategorie (T, OT) und in diesen Kategorien wird noch möglicherweise weiterverhandelt.

Bei Obstprodukten wird die Situation schwieriger. Die meisten Fruchtsäfte, so steht es in dem Zollangebot der EU, sollen erst nach einer Übergangsphase von sieben Jahren zollfrei aus den USA importiert werden. Hersteller von Kirschsaft, von dem die polnischen und deutschen Obstbauern stark abhängen, bekommen aber nur drei Jahre, um sich auf die US-Konkurrenz einzustellen. Danach könnten die US-Importeure 17,6 Prozent an Zöllen einsparen.

Mehr Konkurrenz kommt auf Milchproduzenten zu: für Milch, Käse und Eier aus den USA sollen einige Zölle auf Null gesenkt werden, die bislang noch ziemlich hoch waren.

Die EU ist dazu aber nur bereit, wenn die USA das gleiche ihrerseits anbieten. Hier erhoffen sich die europäischen Hersteller von hochwertigen Rohmilchprodukten, endlich auf den US-Markt exportieren zu können.

Etwa 400 Zölle müssen im Endgame der TTIP-Verhandlungen – also ganz am Schluss – geklärt werden. Ob es zu einer Senkung der Zölle bei Roggen, Gerste, bestimmten Maissorten und Fleisch kommt, ist noch ungewiss. Als wahrscheinlich gilt, dass bei Fleisch und Getreide bestimmte Mengenquoten vereinbart werden, die zollfrei eingeführt werden dürfen.

Die Autoren Justus von Daniels und Marta Orosz sind Redakteure des unabhängigen, nicht gewinnorientierten Recherchezentrums correctiv.org.

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