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31.8.2015: Die Pressekonferenz mit Angela Merkel, auf der sie ihr "Wir schaffen das" postulierte.

© Wolfgang Kumm/dpa

Vier Jahre nach Merkels berühmtem Satz: Wie haben wir es geschafft?

Am 31. August 2015 sagte die Bundeskanzlerin angesichts wachsender Flüchtlingszahlen: „Wir schaffen das.“ Eine kurze Bilanz.

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Angela Merkels Satz für die Geschichtsbücher fiel vor dem Ereignis, mit dem ihn fast alle verknüpfen. „Deutschland ist ein starkes Land“, antwortete die Kanzlerin am 31. August 2015 in der Bundespressekonferenz auf Fragen nach dem Umgang mit den stetig steigenden Flüchtlingszahlen. „Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“

Merkel ahnte nicht, dass sie den Satz nur vier Tage später auf dramatische Weise einlösen würde. Ihre Entscheidung, vor einer Flüchtlingskarawane auf dem Weg von Ungarn die Grenzen offen zu lassen, hat die politische Landschaft in Deutschland verändert. Vier Jahre später hallt ihr „Wir schaffen das“ immer noch nach.

Wie sieht die politische Zwischenbilanz aus?

Die Parteien, die damals wie heute die Bundesregierung stellen, haben es nicht ungerupft geschafft. Der Aufschwung der AfD hat sie nicht nur Wähler gekostet – die SPD vor allem in Regionen wie dem Ruhrgebiet, CDU und CSU stark im Süden, beide im Osten. Er zwingt sie auch zu Abwehrkämpfen nach Rechts wie nach Links zu den erstarkten Grünen und in schwierige Koalitionen.

Ob die „Alternative“ sich etabliert oder Episode bleibt, ist offen. Sachsen, Brandenburger und Thüringer wählten zuletzt 2014 – und damit vor der Flüchtlingskrise – ihre Landtage.

In CDU und SPD kalkulieren deshalb manche, dass die drei Wahlen in diesem Herbst zwar noch einmal zur Merkel-Abstrafung werden, das Motiv aber bei den Wählern danach an Bedeutung verliert.

Andere glauben das nicht. Sie argumentieren, die AfD sei inzwischen thematisch so breit als anti-moderne Bewegung aufgestellt, dass sie nicht auf reale Krisen angewiesen ist. „Wenn immer weniger Flüchtlinge kommen, dann nehmen die eben den Wolf“, fasst einer der Skeptiker knapp zusammen.

Wie hat Merkels Satz ihre Partei verändert?

Verändert hat der Streit, der sich an Merkels Satz entzündete, auch die Union. Während Merkels ganzer Zeit als Vorsitzende und Kanzlerin haderte eine Minderheit mit ihrem Kurs. Aber erst im Herbst 2015 fand sie das Thema, das inhaltlich und emotional stark genug war, um aus dem Murren offenen Widerstand werden zu lassen.

Der Streit über den Umgang mit den Flüchtlingen spaltete ja spätestens seit der Kölner Silvesternacht 2015/16 die Republik bis in Familien hinein und veränderte den öffentlichen Diskurs wie seit der Nachrüstungs- und Atomdebatte der 80er Jahre kein Thema mehr. Er spaltete auch Europa und lieferte Populisten alle Couleur das Material für Angstmacherei und Wahlerfolge.

Der Geschwisterkrieg zwischen CDU und CSU ist inzwischen Geschichte, die Hauptkontrahenten Merkel und Horst Seehofer sind es demnächst auch. Doch in den Twittergefechten zwischen „WerteUnion“ und „Union der Mitte“ wird die Spaltung munter fortgeführt. Merkel selbst steht seit dem Rücktritt vom Parteivorsitz nicht mehr im Zentrum dieser Debatten. Zum Erbe der Tage, in denen ihr Satz für die Geschichtsbücher fiel, gehören sie trotzdem.

Wie steht es mit den Flüchtlingszahlen?

Die Bilanz auf Faktenebene fällt naturgemäß durchwachsen aus. Einerseits haben sich düstere Vorhersagen nicht erfüllt. Die Zahl der Flüchtlinge, die heute noch nach Deutschland kommen, bleibt klar unter der vom damaligen CSU-Chef Seehofer ausgerufenen „Obergrenze“ von 200.000; zur Jahresmitte vermeldete sein Bundesinnenministerium rund 85.000 Asyl-Neu- und Folgeanträge. Auf der anderen Seite bleibt die Zahl der Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen (zur Jahresmitte rund 20.000) weiter hinter der Zahl derer zurück, die das Land verlassen müssten, weil sie weder Anspruch auf Asyl noch auf Duldung haben.

Wie sieht es am Arbeitsmarkt aus?

Geflüchteten Arbeit zu geben ist schwer. Es hapert an Sprachkenntnissen, Zeugnissen, Abschlüssen. Gleichwohl funktioniert die Jobfindung schneller als anfangs gedacht. Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung rechnet damit, dass in diesem Herbst etwa ein Drittel der Geflüchteten einer Beschäftigung nachgeht. Damit wäre die Integration in den Arbeitsmarkt ein Jahr schneller verlaufen als bei früheren Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland.

Derzeit hätten ungefähr 36 Prozent der Flüchtlinge zwischen 15 und 64 Jahren einen Job – das seien etwa 380 000 bis 400 000 Beschäftigte. Klar ist damit aber auch: Die deutliche Mehrheit lebt von staatlichen Geldern. Bei den Arbeitsverhältnissen handelt es sich oft um Leiharbeit zu geringen Löhnen. Darüber hinaus arbeiten Geflüchtete oft in der Gastronomie, in der Security-Branche, im Reinigungsgewerbe und auf dem Bau, wo Sprachkenntnisse nicht im Vordergrund stehen. Jeder Zweite ist dort aber nicht nur als Helfer, sondern als Fachkraft tätig. Nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) bilden inzwischen 16 Prozent der Firmen Geflüchtete aus. Vor zwei Jahren waren es sieben Prozent.

Welche Kosten sind seit 2016 aufgelaufen?

Die Kosten der Flüchtlingsaufnahme sind kaum genau zu beziffern. So trennscharf können die Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsmigration nicht erfasst werden. Aber die Auflistungen der Bundesregierung seither geben eine ungefähre Vorstellung - zu der auch gehört, dass zunächst mit mehr Ausgaben gerechnet wurde, als tatsächlich jedes Jahr anfielen.

Daher hat sich in der Rücklage des Bundes, die für die Flüchtlingskosten angelegt und aus den Etatüberschüssen gefüllt wurde, stetig mehr Geld gesammelt, zuletzt etwa 30 Milliarden Euro. Nimmt man allein den Bundeshaushalt (und damit den Löwenanteil), sind von 2016 bis 2019 etwa 58 Milliarden Euro an Kosten im Inland aufgelaufen – für Aufnahme und Unterbringung, Integration, Sozialleistungen und die teilweise Übernahme von Kosten der Länder und Kommunen. Für die Bekämpfung der Fluchtursachen gab der Bund in den vier Jahren seit 2016 zusätzlich knapp 30 Milliarden Euro aus.

In der Finanzplanung bis 2023 sind für beide Aufgaben - Flüchtlinge im Inland und Fluchtursachen im Ausland - gut 71 Milliarden Euro veranschlagt, also etwa ein Fünftel weniger als im Zeitraum 2016 bis 2019. Viel Geld, das aber dank guter Konjunktur den Haushalt nicht gesprengt hat.

Wie sieht die Bilanz der Kommunen aus?

„Wir haben unseren Teil bewältigt“, resümiert Kay Ruge vom Landkreistag die Situation nach vier Jahren. Städte, Gemeinden und Kreise hatten nach 2015, ohne vorbereitet zu sein, die größte Aufgabe zu bewältigen – die Unterbringung und die Integrationsmaßnahmen. Es bedurfte einiger „Gipfel“ mit Merkels Bundesregierung, in denen die Ministerpräsidenten der Länder und die Kommunalverbände sich mit ihren Forderungen nach Kostenbeteiligung durchsetzen konnten. Mittlerweile ist der Kostenstreit weitgehend beigelegt, bis 2021 sind die jeweiligen Anteile festgezurrt.

Aus Sicht des Landkreistags ist die Rückführung ein großes Problem: "Die Bemühungen, Ausreisepflichtige zur Ausreise zu bringen, müssen noch verstärkt werden“, sagt Ruge. Insgesamt positiv bewertet Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund das Ergebnis: „Deutschland hat die Flüchtlingssituation besser bewältigt, als zu erwarten war. Den Kommunen ist es schnell gelungen, Unterbringung, Versorgung und Integration professionell zu organisieren.“ Doch sei die Integration bei weitem nicht abgeschlossen. Das sei weiterhin auch Aufgabe des Bundes, der die Finanzierung dauerhaft sicherstellen müsse. "Wer hier spart, schafft die sozialen Probleme von morgen“, sagt Landsberg.

Auch Helmut Dedy vom Deutschen Städtetag sieht die Hauptleistung bei den Kommunen. „Vereine und Verwaltung, Ehrenamtliche und städtisches Personal haben gemeinsam dafür gesorgt, dass so viele Menschen aufgenommen und untergebracht werden konnten.“ Das „Langzeitprojekt der Integration“ bleibe aber eine große Aufgabe. Die Städte bräuchten langfristig die finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder. "Dann schaffen wir auch Integration.“ Sie brauche aber vor allem auch den „Austausch zwischen Zugewanderten und hiesiger Bevölkerung. Nur so lassen sich Vorurteile ausräumen und Grundwerte und Gepflogenheiten vermitteln.“

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