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Politik: Von der neuen Kraft überrascht

Mit so vielen Demonstranten hatte niemand gerechnet – eine Bewegung von Dauer sehen die Initiatoren nicht

Von Lars von Törne

und Rainer Woratschka

Die Einschätzung der Politiker ist geteilt. Für SPD-Vize Heidemarie Wieczorek-Zeul war die Berliner Friedensdemonstration „ein bewegendes Signal gegen Krieg und für Frieden“ und „eine Abfuhr für all jene, die Krieg als Mittel der Politik einsetzen wollen“. Für den CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger hingegen war sie eine „antiamerikanische Demonstration, die von den USA als Schlag ins Gesicht verstanden wird“. Und CSU-General Thomas Goppel setzte noch eins drauf. Die Demonstranten, so befand er, seien „im Namen des Friedens missbraucht worden für eine anti-amerikanische Manifestation“.

Die Organisatoren hingegen sind sich einig: Die Kundgebung war ein grandioser Erfolg, das gewaltig-selbstbewusste Wiedererstehen einer schon aufgelöst gewähnten Bewegung. „So viele Menschen hätten wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht erhofft“, sagt Jens-Peter Steffen vom Aktionsbündnis 15. Februar. Das Bündnis, dem 50 Gruppen der Friedensbewegung, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien angehören, habe zwar seit Wochen einen leichten Zulauf von Mitstreitern gespürt. Dass sich dann jedoch gleich eine halbe Million auf die Beine machten, führt Steffen weniger auf die eigene Arbeit als auf die weltpolitische Entwicklung unmittelbar vor der Demo zurück: „Nach der Regierungserklärung Schröders am Donnerstag, dem Blix-Bericht am Freitag und den Reaktionen aus Washington hatten viele Menschen das Gefühl, der Krieg lässt sich vielleicht doch noch verhindern – und dass es dabei auf jeden einzelnen ankommt.“

Tatsächlich wurden die Veranstalter von der Riesen-Resonanz kalt erwischt. „Wir hatten vorher bewusst keine Zahlen rausgegeben“, sagt Laura von Wimmersperg, Moderatorin der Berliner Friedenskoordination. Diese verfügt eigentlich über viel Erfahrung, organisiert sie doch seit 22 Jahren alle größeren Friedensdemos in Westberlin. Doch in ihrer Prognose lag die Aktivistin voll daneben. „Ganz insgeheim“ habe sie mit 200 000 Teilnehmern gerechnet, sagt sie. Die Folge: Es fehlte an Ordnern, Lautsprecher und Beschallung waren nicht auf solche Menschenmengen ausgelegt. Der Blix-Bericht und das blitzschnelle Massenmedium Internet hätten eine Wirkung gezeigt, die die Koordinatoren von früher her nicht kannten, sagt Laura von Wimmersperg. Dabei ist sie ganz froh, die Resonanz nicht geahnt zu haben: „Wir wären sonst nur im Karree gesprungen.“

Neu für die Initiatoren war auch die Möglichkeit des internationalen Vergleichs. Dass die Berliner Demonstration hier eher bieder und unorganisiert wirkte, bestreitet Laura von Wimmersperg. Vom Verteilen besonders telegener Plakate wie in London etwa hält sie wenig. „Berlin hat da eine eigene Kultur. Die Leute demonstrieren mit dem, was sie sagen wollen.“ Dies schaffe, auch wenn manche Botschaft fledderig und improvisiert daherkommt, Identifikation.

Mit der kurzen Vorlaufzeit begründet die Aktivistin auch den Rückgriff auf die musikalischen Kämpen von früher: Hannes Wader, Konstantin Wecker & Co. „Wir haben versucht, Hip-Hopper oder Gruppen wie die Toten Hosen zu bekommen, aber die waren schon ausgebucht.“ Was nicht nur negativ sei: Die altbekannten Friedensbarden stünden auch für Kontinuität. „Die drücken Kraft und Beständigkeit aus, das ist gerade für die jungen Teilnehmer wichtig.“

Einen dauerhaften Aufschwung der Friedensbewegung erwarten die Organisatoren nicht. „Der Protest hält so lange an, wie der Krieg gegen den Irak droht“, sagt Steffen. Auf längere Sicht werde man wohl wieder zu kleineren, dezentralen Protesten zurückkehren. „Wenn die Menschen keine Bedrohung sehen, kommen sie nicht“, glaubt auch Laura von Wimmersperg. Aber sie verspricht: „Wir werden die Politik wach begleiten.“

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