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Vor dem G-7-Gipfel in Elmau: Merkel und Obama: In Sorge vereint

Wegen der NSA-Abhöraktionen ist die Stimmung zwischen Berlin und Washington gereizt – doch in Elmau wird es um anderes gehen. Wie werden sich Merkel und Obama dort begegnen?

Von Robert Birnbaum

Eine Frage räumt die Kanzlerin schon einmal vorher ab. Seit Wochen streiten Regierung und Bundestag jetzt über die Freigabe der Spionage-Selektorenliste, aus der sich ergibt, für welche zweifelhaften Ausspäh-Ziele der US-Geheimdienst NSA den deutschen Partner BND einspannen wollte oder zeitweise eingespannt hat. Seit Wochen kommt von der Bundesregierung die stets gleiche Auskunft: Das Konsultationsverfahren mit den Amerikanern dauere an.

Am Sonntagmorgen nun, noch vor dem G-7-Gipfel, wird Angela Merkel sich mit US-Präsident Barack Obama in dem kleinen Ort Krün treffen. Von da sind es keine 100 Kilometer bis zu der gemeinsam betriebenen Abhörstation Bad Aibling. Was liegt also näher als die Frage, ob sich das leidige Thema nicht auf höchster Ebene erledigen ließe? Doch Merkel hält in diesem ganz speziellen Fall vom kurzen Dienstweg nichts. Das Konsultationsverfahren laufe, sagt sie der Deutschen Presse–Agentur (dpa), „und es läuft auf dem dafür üblichen Weg, nicht auf der Ebene der Staats– und Regierungschefs.“

Der einzige Marsch, der dem obersten Amerikaner im Voralpenland geblasen wird, kommt also aus den Hörnern und Trompeten der Musikkapelle Krün. Beim Evangelischen Kirchentag in Stuttgart versprach Merkel am Donnerstag immerhin, dass sich das Konsultieren nicht über die Sommerpause hinziehen wird. Aber ansonsten: „Man muss mit anderen Nachrichtendiensten zusammenarbeiten.“ Auch dem amerikanischen.

Tatsächlich trübt die NSA-Affäre das Verhältnis zwischen Obama und Merkel nicht im Ernst. Dafür fällt es dies- wie jenseits des Atlantiks viel zu klar in die Abteilung Innen- und Parteipolitik. „Die Bundeskanzlerin muss ab und zu sagen, dass sie sich fürchterlich darüber ärgert“, glaubt Daniel Gros, Direktor des Center for European Policy Studies in Brüssel, „aber ich habe so den Eindruck, innerlich hat sie das schon vollkommen abgehakt.“ In Geheimdienstfragen sind die Machtverhältnisse nach wie vor eindeutig: Die USA können die Deutschen gut brauchen, die Deutschen sind auf die Amerikaner schlicht angewiesen.

In anderen Fragen sind die Verhältnisse nicht mehr so eindeutig. Das Krisenmanagement in der Ukraine hat Obama in die Hände der Europäer gelegt, also praktisch Merkel überantwortet. Und die starke Frau Europas hat die Führungsrolle angenommen. Beides ist neu.

Die Ukraine und Griechenland bürden den Europäern neue Lasten auf

Doch so schmeichelhaft diese Arbeitsteilung sein mag, so sehr bedeutet sie zugleich eine Bürde. Auf Merkel und den Europäern lastet auf einmal eine Verantwortung, die sie in der langen Nachkriegszeit nur zu gern dem großen Bruder in Amerika überlassen hatten. Auch die Griechenland-Krise mit ihren potenziellen Gefahren für die Weltwirtschaft fällt in diese neue Kategorie einer zwiespältigen Aufwertung Europas. An dem Punkt dürfte es übrigens Obama sein, der Merkel ermahnt. Die USA wollen, dass die Euro-Länder ihr Griechen-Problem endlich lösen, egal ob das noch mal kostet. Aus der geostrategischen und ökonomischen Satellitenperspektive der Weltmacht und des Nato-Partners USA erscheint ein „Grexit“ weit kostspieliger.

Aber das ist absehbar der einzige Punkt, an dem die beiden wichtigsten Politiker des alten Westens nicht so recht übereinstimmen, und auch dort eher in der Vorgehensweise. Ansonsten haben Obama und Merkel weit mehr Probleme gemeinsam als untereinander. Die dümpelnde Weltkonjunktur, der drohende Klimakollaps, das Rennen um Rohstoffe und Einflusszonen – die Sorgen sind die gleichen, auch wenn sich die Reihenfolge ihrer Dringlichkeit und die Antworten diesseits und jenseits des Atlantiks oft unterscheiden. Der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) und andere Terrorgruppen fordert sie genauso gemeinsam heraus wie die wachsende Stärke Chinas. Dass der Aufmarsch der roten Flotte im südchinesischen Meer sich als Thema auf der G-7-Agenda findet, steht beispielhaft für diese globalisierten Interessenlagen, auf die die alten Weltbilder nicht mehr passen. Denn ob sich an den Handelsrouten Ostasiens ein womöglich sogar kriegerischer Konflikt aufbaut, kann auch dem Export-Vizeweltmeister Deutschland nicht egal sein.

TTIP ist in Deutschland so umstritten wie TPP in den USA

Apropos Handel: Vom Freihandel und seinen Schwierigkeiten können Obama und Merkel gemeinsam ein Lied singen. Beide sind überzeugte Anhänger eines freien Warenaustauschs, beide können rechnen. Aber wo Merkel und ihrem SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel beim geplanten transatlantischen TTIP innenpolitisch Wind entgegenschlägt, muss Obama in Washington die Gegner des pazifischen Gegenstücks TPP beruhigen. Die befürchten die Massenabwanderung amerikanischer Arbeitsplätze in Billiglohnländer wie Vietnam, sollten rund um den Pazifik die Zollschranken fallen. Ob Obama in den letzten Monaten seiner Präsidentschaft die Zeit bleibt, eines oder beide Abkommen abzuschließen, ist ungewiss. Sein Chefunterhändler Michael Froman verbreitete Optimismus, mahnte aber zugleich die Europäer: „Ehrlich gesagt, müssen wir schneller und härter verhandeln.“ An Merkel, wie gesagt, würde das nicht scheitern.

Wenn die beiden also am Sonntag morgen durch Krün schlendern, sich ins Goldene Buch der 2000-Seelen-Gemeinde eintragen, Bürgerhände schütteln und geduldig Blasmusik und Alphorn ertragen, dann zeigt das sonnige Bild zwei ziemlich ebenbürtige Staatsführer – ebenbürtig nicht in den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, wohl aber in den Sorgen.

Das persönliche Verhältnis zwischen Merkel und Obama ist entspannt

Persönlich ist ihr Verhältnis, so weit man das weiß, nach dem rumpelnden Anfang und trotz Merkels kurzem Ärger über den Lauschangriff auf ihr Handy entspannt. Die kalkulierende Kopfpolitikerin und der von den Tücken der Realpolitik gezauste Visionär haben eine professionell-freundliche Ebene des Umgangs gefunden, über alle Charakterunterschiede hinweg. Dicke Freunde werden sie nie. Aber Freundschaft ist in der Weltpolitik ohnehin eine problematische Kategorie. Die Geschichte ist ja voll von legendären „Männerfreunden“, die sich hinter der jovialen Kulisse bittere Gefechte lieferten, sobald einer den Interessen des anderen ins Gehege kam.

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