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Früh übt sich: In Polen sind 30 Millionen Menschen aufgerufen, ein neues Paralament zu wählen.

© Andrzej Grygiel/dpa

Wahlen in Polen: Der absehbare Rechtsruck

Trotz einer guten wirtschaftlichen Entwicklung wird Polens liberale Regierung am heutigen Sonntag wohl abgewählt. Ein Sieg der Rechtskonservativen gilt als wahrscheinlich.

Sanfte Hügel so weit das Auge reicht. Vom Aussichtsturm hoch über dem Dorf Katy kann man sie am besten sehen: die Welt hinter Dukla. Dünn besiedeltes Grenzland zur Slowakei hin, kleine Dörfer mit großen Kirchen, winzige Ackerflächen ziehen sich die Hügel hoch, viele werden nicht mehr bearbeitet. „Warschau hat uns schon immer vernachlässigt“, sagt Jurek. Dann lobt der Gemeindearbeiter die unberührte Natur. Wildschwein- und Fuchsplagen bestimmen das Gespräch, Jagderfolge und die niedrigen Subventionen, die das Geschäft unrentabel machen.

Monat für Monat zieht der Grzywacka-Berg mit seinem Metallturm und dem Papstkreuz von 1999 Hunderte von Pilger an. Sie laufen den steinigen Kreuzweg hoch und bitten an jeder Station um Vergebung ihrer Sünden. Voran geht der Pfarrer, der am Schluss eine Bergmesse zelebriert. Dabei fallen Worte von Gewicht auch für den Alltag, zum Beispiel für wen man am Sonntag stimmen soll. „Bei uns hören die Leute noch auf die Kirche“, sagt Jurek. Wer vom Episkopat unterstützt werde und sich dazu im Wahlkampf in weltanschaulichen Fragen offen mit der katholischen Kirche solidarisiere, habe den Wahlsieg in der Tasche, erklärt er. „So ist das hier“, stellt er fest.

Die Zahlen der Zentralen Wahlkommission geben davon Zeugnis. Andrzej Duda, der Präsidentschaftskandidat der rechtsnationalen Oppositionspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) hatte im Bezirk Nowy Zmigrod in der Stichwahl 81 Prozent erhalten – zehn Prozent mehr als in der gesamten Wojwodschaft Podkarpackie (deutsch: Vorkarpatien). Damit bestätigte das südostpolnische Grenzland indes einen alten Trend. Bereits bei den Parlamentswahlen 2007 und 2011 kam die PiS hier auf doppelt so viele Stimmen wie die landesweit seit acht Jahren regierende rechtsliberale Bürgerplattform (PO). Bei den Wahlen am Sonntag dürfte es für die PO noch schlimmer kommen.

Wahlkampfthema Flüchtlinge

Der Grund liegt in Ermüdungserscheinungen nach acht Jahren an der Macht. Trotz wirtschaftlichen Erfolgen sind die Polen unzufrieden über die Regierungszeit der PO und der kleinen gemäßigten Bauernpartei PSL. Schuld daran ist ein Reformstau, der erst in den allerletzten Wochen vor dem Wahlgang überwunden wurde. Dies hat der PO bei den meisten Kommentatoren nur noch hämisches Gelächter eingebracht. Viele sahen sich in der Annahme bestätigt, dass die vom EU-Ratspräsidenten Donald Tusk vor über zehn Jahren gegründete liberale Sammelbewegung nur noch für die Meinungsumfragen regiert, dass PR für sie schon lange wichtiger geworden ist als das Wohl des Landes.

Dagegen stellte die von Jaroslaw Kaczynski trotz der Spitzenkandidatin Beata Szydlo geleitete PiS wie bereits 2005 ein von christlicher Ethik inspiriertes soziales Gewissen, das sich freilich nur auf Polen, nicht auf Flüchtlinge erstreckt, in den Mittelpunkt des Wahlkampfes. Doch Letzteres stört in Polen, das angesichts der EU-Flüchtlingskrise ein erstaunlich xenophobes Gesicht zeigt, kaum jemanden.

Dazu hat der noch regierende PO auch die überraschende Niederlage Bronislaw Komorowskis bei den Präsidentschaftswahlen geschadet sowie die Abhöraffäre vom Sommer 2014, die fast jede Woche neue Skandalmeldungen provoziert. In beiden Fernsehdebatten versuchte die vor Jahresfrist von Tusk zu seiner Nachfolgerin auserkorene Ewa Kopacz mit der Angst vor der PiS und ihrer Unberechenbarkeit zu spielen. „Wenn die Staatskasse geplündert wird, können auch keine Renten mehr ausgezahlt werden“, warnte sie. Tatsache ist aber, dass die Angst vor Kaczynski acht Jahre nach der Abwahl kaum mehr wirkt. Vergessen sind die Jagd seiner PiS auf vermeintliche kommunistische Agenten, der ewige Streit mit den beiden rechtspopulistischen Koalitionspartnern und die außenpolitische Dauerkonfrontation mit Berlin, Brüssel und Moskau.

West-Ost-Gefälle

Der Gemeindehauptort Nowy Zmigrod macht auf den ersten Blick nicht den Eindruck eines vernachlässigten Provinznestes. Da ist das neue Gebäude der Gesamtschule, der sorgsam renovierte Hauptplatz mit den Laternen und den Sitzbänken, die rege Betriebsamkeit um die Mittagszeit. Lang ist Radoslaw Kujawskis Liste der Investitionen seit dem EU-Beitritt im Jahre 2004. Kujawski ist dennoch unzufrieden: „Egal, wie sehr wir uns anstrengen, der Unterschied zu Westpolen bleibt“, klagt der Vizegemeindepräsidnet. Der Westen des Landes mit seiner Infrastruktur sei stärker industrialisiert, biete deshalb viel mehr Arbeitsplätze und doppelt so hohe Löhne.

Ein weiträumiges verfallendes Holzkombinat am Rande von Nowy Zmigrod illustriert das Problem der Gemeinde. Über Tausend Angestellte fanden dort bis zur Wende von 1989 ein Auskommen, doch die Transformation zur Marktwirtschaft überlebte die Firma nicht. Heute wird in den nahen Wäldern praktisch nur noch Brennholz geschlagen. Schule und Verwaltung sind die wichtigsten Arbeitgeber. Doch die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, die Abwanderung ist beträchtlich. „Unsere Bürger haben im Mai für die Hoffnung gestimmt“, hält sich parteilose Vizegemeindepräsident Kujawski bedeckt. „Sie wollen einen Wandel“.

Ewa Kopacz, Polens Noch-Ministerpräsidentin, muss um ihr Amt bangen.
Ewa Kopacz, Polens Noch-Ministerpräsidentin, muss um ihr Amt bangen.

© Kacper Pempel/Reuters

Laut Studien des Sozialpsychologen Janusz Czaplinski sind heute nur noch sechs Prozent der Polen davon überzeugt, dass die Regierung einen Einfluss auf ihr Leben habe. Gleichzeitig ist der Wohlstand seit dem EU-Beitritt im Mai 2004 kontinuierlich angestiegen. Die Wähler seien deshalb geneigt, sich am Sonntag in ein neues politisches Abenteuer zu stürzen, meint Czaplinski.

Zwischen Nowy Zmigrod und Dukla läuft das mit Kaczynski verbündete rechts-katholische „Radio Maryja“. Gerade steht die Kindergebetsstunde an. Der achtjährige Janek und sein Schwesterchen Gosia beten ein „Gegrüsst-seist-Du-Maria“ fürs Haus, die Eltern und die Oma. Die Welt ist noch in Ordnung.

"Wir wollen Herr im eigenen Haus bleiben"

Da aber die EU-Flüchtlingskrise in Polen mit dem Wahlkampf zusammenfiel, bot sich das rechtspopulistische Spiel mit der Angst für einige besonders an. In einer Parlamentsdebatte über Flüchtlinge behauptete Oppositionschef Jaroslaw Kaczynski unter lautem Beifall allen Ernstes, Polen würde seitens muslimischer Flüchtlinge eine Unwandlung katholischer Kirchen in Toiletten und die Einführung der Scharia drohen. „Wir Polen wollen aber Herr im eigenen Haus bleiben“, schloss Kaczynski seine Hassrede. Schon werden auch in Polen Stimmen laut, die den Bau eines Grenzzauns nach dem Vorbild Ungarns fordern.

Den herbeigesehnten Wandel bereits miterlebt hat Ewa Sudol rund hundert Kilometer östlich von Nowy Zmigrod an der Grenze zur Ukraine. Jung geblieben und energisch verkörpert die Vizebürgermeisterin von Ustrzyki Dolny jene neue Politikergeneration, die Jaroslaw Kaczynskis PiS in der Provinz in der Tat einiges an Glaubwürdigkeit verleihen. Vor allem ist es der PiS dort gelungen, neue Gesichter für die Politik zu gewinnen. Viele Jungpolitiker haben so ausgerechnet in der in der oft als Altherrenclub bezeichneten Rechtspartei eine Chance bekommen, im Kleinen etwas zu bewegen.

Viele von ihnen sind wie Sudol auch weltanschaulich konservativ eingestellt, doch denken sie pragmatischer als die Gründerväter der Partei. Sudol zum Beispiel wirbt im Gespräch für ein Partnerschaftsgesetz für Homosexuelle. Von einem Wahlsieg der PiS verspricht sich eine wie Sudol mehr Geld für die Bezirke und weniger fürs Zentrum.

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