zum Hauptinhalt
Proteste gegen Giorgia Meloni in Palermo am Montag. „Hände weg vom Bürgereinkommen“ ist auf dem Plakat zu lesen. Die Grundsicherung „Reddito di cittadinanza“ wurde von der Regierung der Fünf Sterne eingeführt; das Rechtsbündnis will sie abschaffen. 

© Foto: Igor Petyx/Ansa, AFP

Minderheiten in Italien: „Schon der Wahlkampf lässt schaudern“

Das Ausland fürchtet um Italiens globale Rolle, wenn die Rechte siegt. Mehr Angst müssen viele im Land selbst haben: Queere Menschen, Schwarze, Migranten.

Wenige Tage vor der Wahl hat Giorgia Meloni nun doch Nerven gezeigt - und unfreiwillig ihr Demokratieverständnis offenbart. Weil sie während einiger ihrer Wahlkampfauftritte von jungen bis sehr jungen Leuten mit Protestplakaten und Pfiffen empfangen wurde, protestierte die Parteichefin der rechtsextremen „Fratelli d’Italia“ (FdI) am vergangenen Wochenende ihrerseits bei Innenministerin Luciana Lamorgese - und forderte sie auf einzugreifen:

„In keiner westlichen Demokratie lässt die Regierung es in einem Wahlkampf planmäßig zu, dass es gegen Veranstaltungen der Opposition Provokationen gibt, die leicht in Unruhen enden können“, schimpfte Meloni. „Diese Leute reden von Europa, aber ihr Modell ist das Ceausescu-Regime.“

Tatsächlich war Melonis Fraktion der „Fratelli d’Italia“ in der zu Ende gehenden Legislatur die einzige Oppositionspartei gegen die Allparteien-Koalition unter Regierungschef Mario Draghi. Ihre Reaktion auf die bis dahin friedlichen Proteste allerdings bestätigt erneut, dass ihr Demokratie-Modell das von Viktor Orbán in Ungarn ist. Dessen Regime verteidigt sie gern und oft.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die Sorge: Italien ein zweites Ungarn

Dass auch Italien unter ihr zu einer „illiberalen Demokratie“ mutieren wird, ist die sehr konkrete Angst derer, die nicht ins Weltbild von Italiens Rechten passen. „Meloni und ihre Partei haben im Parlament gegen jedes einzelne bürgerrechtsfreundliche Gesetz gestimmt“, sagt zum Beispiel Gabriele Piazzoni, Vorsitzender des LGBTIQ-Verbands Arcigay, dem Tagesspiegel.

Gleiches gelte für ihre Verbündete, die Lega mit ihrem Chef Matteo Salvini. Die konkrete Sorge von Arcigay gilt dem „sehr konservativen Weltbild“, das beide teilten.

Die Rechte beschwöre immer wieder die Familie, aber: „Sie kennen nur eine Form von Familie“, die heterosexuelle. Für das, was unter dem Rechtsbündnis zu erwarten wäre, dem auch Silvio Berlusconis Forza Italia angehört, seien die Erfahrungen aus der letzten Legislatur „wirklich besorgniserregend“.

Das Klima im Land wird sich weiter verhärten. Auch gegen Menschen wie mich.

Omar Neffati von der Bewegung „Italiener ohne Staatsbürgerschaft“

Piazzoni fürchtet, „dass in Italien passieren wird, was schon in Ungarn und Polen geschehen ist“, dass es etwa Gesetze gegen sexuelle Minderheiten geben wird - und dass Rechte, die sich deren Bewegung und die Frauen erkämpft hätten, ihnen sogar wieder genommen würden. Feministinnen beklagen bereits, dass Schwangerschaftsabbrüche in den Regionen, die rechts regiert werden, praktisch nicht mehr möglich seien.

Ein Zurück können Italiens Migrantenkinder nicht fürchten - auch unter Regierungen ganz anderer Farbe habe sich in vielen Jahren gar nichts getan, sagt Omar Neffati. Der 27-Jährige ist Sprecher der 2016 gegründeten Bewegung „Italiani senza cittadianza“. Sie sind ganz und gar italienisch, im Land aufgewachsen, zur Schule gegangen - aber praktisch ohne Chance darauf, als solche anerkannt zu werden, „Italiener ohne Staatsbürgerschaft“ eben.

Mord am hellichten Tag - und niemand greift ein

Um die italienische Staatsbürgerschaft zu bekommen, müssten sie nachweisen, dass sie drei Jahre lang ununterbrochen ein Arbeitseinkommen hatten - praktisch aussichtslos in einem Land, wo sich auch autochthone Italiener:innen Jahre und Jahrzehnte mit un- oder schlechtbezahlten „Praktika“, Schwarzarbeit und Hungerlöhnen selbst als Hochqualifizierte durchbeißen müssen.

Die rechtliche Lage also ist schlecht genug. Neffati, der in Viterbo im nördlichen Latium aufgewachsen ist, erwartet aber nach einem Sieg des Rechtsbündnisses eine weitere „Verhärtung“ des Klimas im Land - gegen Eingewanderte, Menschen, die als „anders“ und nichtitalienisch angesehen werden und gegen solche wie ihn, die italienisch sind und es doch nicht sind.

Schon die Begriffe, die im Wahlkampf fallen, „lassen doch erschauern“, sagt Neffati. „Worte haben Gewicht. Da ist zum Beispiel vom Bevölkerungsaustauch die Rede“ - ein Kampfbegriff der Rechten weltweit, um Migration als tödliche Gefahr für die eigene Kultur zu etikettieren. Faschistische Bestände seien in Italien freilich seit langem präsent und hätten sich inzwischen tief „abgelagert“.

Dabei denke er „vor allem an das Schweigen derer, die sprechen müssten, stattdessen aber schweigen und sich zu Komplizen machen“. Neffati erinnert an einige spektakuläre Gewaltakte, darunter der Tod des nigerianischen Straßenhändlers Alika Ogorchukwu Ende Juli. Ein Passant schlug den gehbehinderten Ogorchukwu in Macerata in der mittelitalienischen Region Marken mit dessen eigenem Gehstock nieder und erwürgte ihn dann auf offener Straße. Niemand griff ein.  

Hoffnung auf Widerstand aus der Gesellschaft

Keine Stellungnahme zum voraussichtlichen Wahlausgang ist dagegen von Italiens jüdischer Gemeinschaft zu erhalten. Noemi Di Segni, die Präsidentin des Verbands der italienischen jüdischen Gemeinden UCEI, und ihre Vorstandskolleg:innen hüllen sich in Schweigen, wohl um politische Gräben in den Gemeinden nicht zu vertiefen.

Die Zeitung der UCEI, die „Pagine ebraiche“ („Jüdische Seiten“) listet allerdings alle antisemitischen Entgleisungen vor allem der Rechten fast im Tagesrhythmus auf - vom Römischen Gruß, dem italienischen Hitlergruß, den sogar regionale Würdenträger zeigen, bis zum antisemitischen Witz, den Genuas Sozialdezernentin kürzlich zum besten gab, ausgerechnet am Europäischen Tag der jüdischen Kultur und in einer Synagoge der Stadt.

Der Sieg des Rechtsbündnisses am nächsten Sonntag scheint allen Umfragen zufolge unvermeidlich, ebenso wie eine Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, deren Fratelli die stärkste Partei im Bunde werden dürften. Die von ihr am meisten zu fürchten haben, denken bereits über den Wahltag hinaus: Natürlich gehe es jetzt erst einmal darum, die Leute aufzufordern, wählen zu gehen und „ihre Stimme den Personen und Parteien zu geben, die nicht gegen unsere Forderungen sind“, sagt Gabriele Piazzoni.

Und danach? „Dann müssen wir auf breiter Front Widerstand gegen Rückschritte aufbauen. Wir sind seit langem mit der Frauenbewegung verbunden, Geschlechterfragen sind Bürgerrechtsfragen, es geht um Selbstbestimmung.“ Deswegen setze sich Arcigay auch für das Recht auf Abtreibung ein, aber auch für das Recht darauf, selbstbestimmt zu sterben. Auch wenn es um unterschiedliche Rechte gehe, „viele Bürgerrechtsanliegen sind miteinander verbunden“.

Man werde auch nach dem Wahltag positives Lobbying für die eigenen Anliegen machen, sagt Piazzoni, als Bürgergesellschaft Druck aufbauen. Und auch vor Gericht ziehen, wenn nötig: „Es wäre nicht das erste Mal, dass das Parlament verfassungswidrige Gesetze verabschiedet, die dann vor den Gerichten bis hin zum Verfassungsgerichtshof scheitern.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false