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Wahlkampf: Online zum Sieg

Wie Obama den Wahlkampf revolutionierte – und warum das in Deutschland anders funktioniert.

Jeder Politiker im Bundestagswahlkampf möchte gerne der deutsche Obama sein: locker, modern und technisch versiert. Alle Parteien gieren nach dem Ruf, sie hätten die Lehren der mitreißenden Präsidentschaftskampagne in den USA am besten auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik übertragen – und vor allem das Geheimnis des Internetwahlkampfs geknackt. Ein solches Image wäre fast unbezahlbar. Denn wo Obama draufsteht, ist der Siegernimbus nach Erwartung vieler fast automatisch gleich mit drin. Unzählige deutsche Wahlkampfexperten haben deshalb in den USA das große Vorbild studiert.

In der Tat war die Nutzung der neuen Medien eine der entscheidenden Ursachen für Obamas Sieg, womöglich sogar der wahlentscheidende Faktor. Kein Präsidentschaftsbewerber vor ihm nutzte E-Mail, SMS und die Videobörse Youtube umfassender und erfolgreicher als er. Sein Team hat den Wahlkampf revolutioniert. Obama warb, zum Beispiel, den Gründer der Kontakt-Website Facebook, Chris Hughes, an. Im Laufe des Jahres 2008 trugen sich dort Woche für Woche Zehntausende als „Freunde“ Obamas ein. Im Sommer waren es über eine Million. Heute hat der Präsident auf Facebook 3,67 Millionen „Friends“. Sein Team verschickt weiterhin regelmäßig E-Mails an Bürger, die sich damals als Unterstützer eingetragen haben.

Systematisch hatten Obamas Helfer 2007 und 2008 Internetadressen potenzieller Wähler gesammelt. Sie versorgten sie regelmäßig mit kleinen menschlichen Geschichten über Barack und seine Frau Michelle. Erst nach mehrfacher E-Mail- Ansprache folgte die Bitte um Unterstützung. Am Ende des Wahlkampfs hatten mehr als 3,5 Millionen Menschen per Internet Geld für die Kampagne gespendet, im Schnitt über einhundert Dollar. Nie zuvor hatte ein Kandidat so viele finanzielle Unterstützer. In der Summe erhielt Obama rund 750 Millionen Dollar Spenden, den Großteil davon online, auch das ein neuer Rekord.

Doch das Erfolgsrezept erklärt sich nicht aus raffinierten technischen Details, die man unabhängig vom Typus einer Politikerin oder eines Politikers einfach kopieren kann, schon gar nicht in einem anderen Land mit einer anderen Kultur und anderen Gesetzen zum Beispiel im Datenschutz. Mehrere Faktoren ergänzten sich bei Obama harmonisch. Vor allem passten das politische Produkt und seine Vermarktung zusammen. Der Kandidat hatte auch ohne seinen Internetwahlkampf bereits die Attribute jung, frisch, dynamisch für sich gepachtet: wegen seines Alters, seiner Sprache, seines Umgangsstils, seiner sportlichen Figur.

Nicht erst die neuen Online-Techniken haben ihm den Ruf verschafft, die Gallionsfigur einer neuen Zeit zu sein. Sondern sie haben ein bereits vorhandenes Image aufgegriffen und verstärkt und so einen optimalen Multiplikationseffekt erzielt. Was lehrt das für die Internetvermarktung eines älteren Politikers mit traditionsbewusstem Auftreten, konservativer Kleidung oder bürokratischer Sprache? Vermutlich ziemlich wenig.

Obama und sein engeres Team mussten relativ wenig tun, um die Online-Lawine auszulösen und am Rollen zu halten. Solange regelmäßig neues Material im Internet auftauchte, war der Selbstverstärkungseffekt gewiss. Blogger und Internetnutzer verbreiteten es aus eigenem Antrieb an Freunde und Bekannte. So war Obama im Gespräch, ohne dass er selbst viel Zeit investieren musste, um sich an die potenziellen Adressaten zu wenden. Das beinhaltet freilich ein Risiko. Auch Gesprächsstoff, der ihm schadete, wie eine unglückliche Bemerkung über seine geringe Beliebtheit unter einfachen weißen Arbeitern oder die sogenannten Hasspredigten seines Pfarrers Jeremiah Wright, zogen weite Kreise.

Vermarktet wurden auf diese Weise freilich nicht Gesetzesprojekte und Wahlkampfversprechen, sondern die Person des Kandidaten. Es hätte wohl wenig Aussicht, in Deutschland die Botschaften der Wahlprospekte in eine elektronische Form zu übertragen und im Internet zu verschicken. Was die Wähler schon auf Papier nur oberflächlich lesen oder ganz ignorieren, werden sie im Internet auch nicht nutzen. Obamas Erfolg verdankt sich der speziellen politischen Kultur der USA. Und die unterscheidet sich von der deutschen.

Das lehrt auch ein Blick in die Videobörse Youtube. Politisch gesehen war Obama dort der unbestrittene König. Der etwas anzügliche Videosong „Crush on Obama“ (Verknallt in Obama), bei dem sich eine kurvige Schönheit in Sehnsucht nach dem „besten aller Kandidaten“ an dessen Plakate schmiegt, schlug dort bereits 2007 um Längen Hillary Clintons Versuche, die Youtube-Nutzer über ihre Wahlkampfhymne abstimmen zu lassen. Möchten deutsche Wähler ihre Politiker in solchen verfänglichen Situationen sehen?

Obamas Rede zur Rassenfrage kurz vor der Vorwahl in Pennsylvania wurde millionenfach angeklickt. Könnte das der Rede eines deutschen Politikers widerfahren – ohne Obamas Rhetorik und Aura und ohne den vorausgegangenen Konflikt um die Hasspredigten seines schwarzen Pfarrers? Der Musiker will.i.am vertonte Teile des Texts als „Yes we can“-Song; auch dieses Video schauten sich Millionen im Netz an.

Die Website barackobama.com wurde zu einem populären Kommunikationsforum. Wer seine Postleitzahl eingab, erfuhr, welche Wahlkampftermine in der Umgebung geplant sind, welche Nachbarn Obama-Fans sind – gefolgt von der Aufforderung, sich bekannt zu machen und gemeinsam eine Hausparty für den Kandidaten zu veranstalten. Das passt zum distanzlosen Umgangsstil in den USA. Würden auch Deutsche das mitmachen oder es als Grenzüberschreitung in ihre Privatsphäre empfinden?

Nicht zuletzt der Datenschutz setzt der Nachahmung Grenzen. Die Vorschriften in den USA sind weniger streng als in Deutschland. Man darf Datenbanken mit E-Mail-Adressen oder Handynummer für SMS anlegen, sofern die Menschen sie freiwillig herausgegeben haben. Man braucht nicht ihre ausdrückliche Genehmigung, um sie für den Wahlkampf zu nutzen. - „Bing“, da kommt die nächste E-Mail von info@barackobama.com, einer Webseite, die offiziell unabhängig vom Weißen Haus operiert. Unter der Überschrift „Organizing for America“ bittet Direktor Mitch Stewart um täglich einen Dollar Spende, bis zu dem Tag, an dem der Kongress die Gesundheitsreform beschlossen hat. Man brauche das Geld, um dem Anzeigenkrieg der Reformgegner in Radio und Fernsehen eine positive Werbung entgegenzusetzen.

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