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Politik: War Journalist zu wenig geschützt?

Türkische Regierung nach Mord in der Kritik

Istanbul - Nach der Ermordung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul wurde am Samstagabend der mutmaßliche Täter gefasst. Es handele sich um den 17-jährigen Ogun S. aus der nordtürkischen Stadt Trabzon, der im Haus seines Onkels in Istanbul festgenommen wurde, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu. Der Vater des jungen Mannes soll seinen Sohn auf den veröffentlichten Aufnahmen einer Überwachungskamera erkannt und die Polizei angerufen haben. Er und ein enger Freund seien festgenommen worden und sollten zur Vernehmung nach Istanbul gebracht werden, berichtete CNN-Turk.

Unterdessen wächst die Kritik an Behörden und Regierung in der Türkei. Der seit langem von Nationalisten bedrohte Dink hätte Polizeischutz erhalten müssen, kritisierte die Istanbuler Zeitung „Radikal“. Auch aus dem Ausland kamen Vorwürfe. Der 52-Jährige war am Freitag vor der Redaktion seiner armenischen Wochenzeitung „Agos“ mit drei Schüssen in Kopf und Nacken getötet worden. Dink war in der türkischen Öffentlichkeit umstritten, weil er offen von einem Völkermord der Türken an den Armeniern im Ersten Weltkrieg sprach und eine Aufarbeitung der Ereignisse anmahnte. Nationalisten hatten Dink immer wieder scharf angegriffen. Dinks Anwalt, sein Mandant habe eine Morddrohung des zur rechtsradikalen Szene zählenden Ex-Generals Veli Kücük erhalten. Kücük wies dies zurück. Auch der rechtsgerichtete Anwalt Kemal Kerincsiz, der Dink wegen angeblicher „Beleidigung des Türkentums“ vor Gericht gebracht hatte, distanzierte sich von der Gewalttat.

In den Stunden nach Dinks Ermordung hatten sich im Istanbuler Stadtzentrum mehrere tausend Menschen versammelt, um ihre Anteilnahme zu bekunden und den Mord zu verdammen. „Wir sind alle Armenier“, lautete ein Sprechchor. Auch in der Hauptstadt Ankara gab es eine Solidaritätskundgebung. Am Samstag kamen erneut viele Menschen zum Tatort im Istanbuler Stadtteil Sisli, um Blumen niederzulegen und Kerzen aufzustellen.

Die türkischen Medien werteten die Gewalttat als Versuch, die Demokratie im Land zu untergraben. Kommentatoren forderten, vom Staatspräsidenten bis zum Armeechef müssten alle führenden Persönlichkeiten des Landes an Dinks Beisetzung am Dienstag teilnehmen, um den Mördern die angemessene Antwort zu geben. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bekräftigte, seine Regierung werde alles tun, um die Mörder zu fassen. Die Kugeln, die auf Dink abgeschossen worden seien, hätten sich gegen alle Türken gerichtet. Allerdings sehen sich Regierung und Behörden dem Vorwurf gegenüber, Dink nicht genügend geschützt und eine nationalistisch aufgeheizte Stimmung im Land zumindest geduldet zu haben. Politiker und Militärs in der Türkei hätten abweichende Meinungen verdammt und damit zu einer gesellschaftlichen Atmosphäre beigetragen, in der Gewalt möglich geworden sei, erklärte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Der Chef des Essener Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, sagte im „Focus“, es sei eine Schande, dass Dink nach den Morddrohungen nicht von der türkischen Polizei geschützt worden sei.

Der Istanbuler Gouverneur Muammar Güler wies die Vorwürfe zurück und sagte, Dink habe keinen Polizeischutz beantragt. Güler räumte aber ein, dass auch beim armenischen Patriarchat in Istanbul Drohungen eingegangen seien. Die von Güler an die Medien verteilten Bilder des mutmaßlichen Mörders zeigen einen jungen Mann von etwa 25 Jahren mit weißer Strickmütze und einem schütteren Vollbart. Auf einem Bild war zu sehen, wie der Unbekannte nach der Tat flieht. Die Behörden richteten Telefonnummern und E-Mail-Adressen für Hinweise aus der Bevölkerung ein. Drei zunächst als Tatverdächtige festgenommene Männer waren in der Nacht wieder freigelassen worden.

Der Grünen-Politiker im Europaparlament, Cem Özdemir, warnte vor einem gefährlichen „Ultranationalismus“ in der Türkei. Das Leben derjenigen, die sich „für Demokratie und Menschenrechte einsetzen“, sei dort „weniger sicher als das von Ultranationalisten und Rechtsradikalen“, sagte Özdemir „Spiegel Online“. Er beklagte eine „unerträgliche Hetze“ gegen „Intellektuelle, die den Nationalismus kritisieren“.

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