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Ein Jahr ist um und mit ihm viele Ereignisse. Nicht alle fanden große Beachtung. Wir blicken zurück.

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Jahresrückblick: Was 2018 zu kurz kam

China dominiert Lateinamerika, Korn ist das neue Trendgetränk: Nachrichten, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Tagesspiegel-Autoren blicken zurück.

Hunger im Jemen

Der Prinz, der Prinz und immer wieder der Prinz. Wie selten zuvor hat sich die Welt mit Saudi-Arabien und dessen Thronfolger Mohammed bin Salman beschäftigt. Der 33-Jährige ließ offenbar den unliebsamen, weil regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi von einem Killerkommando töten. Weit weniger Beachtung fand ein anderes Verbrechen, für das Saudi-Arabien sehr viel Mitverantwortung trägt: der Krieg im Jemen. Unter Führung von bin Salman kämpft dort eine Militärallianz gegen aufständische Huthi-Milizen – und stürzt die Jemeniten damit in Elend. Besonders verheerend wütet der Hunger. Zig Millionen Menschen wissen nicht, woher sie ihre nächste Mahlzeit bekommen sollen. Die Bilder wimmernder, bis auf die Knochen abgemagerter und apathisch in den Armen ihrer Mütter hängender Kinder zerreißen einem das Herz. Der Prinz kann dem ein Ende bereiten. Am besten sofort. Der Jemen hat keine Zeit mehr. Christian Böhme

Millionen Menschen im Jemen wissen nicht, woher sie die nächste Mahlzeit bekommen sollen.

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Bauen in Berlin

Checkpoint Charlie, Eckwerk, BER. Wenn es Krisen gibt in Berlin, sind es das Bauen und das Wohnen. Eine linke Regierung, die Grundstücke verscherbelt, statt sich um ihre sinnvolle Bebauung zu kümmern, Investoren, die wie Blutsauger auftreten, Pseudo-Luxus-Architektur im Einheitslook, pleitegehende Genossenschaften … Und dann entsteht ein kreativer Stadtentwicklungskomplex – und die breite Öffentlichkeit kriegt’s nicht mit. Die Preisrichter schon. Sie ließen sich von dem sperrigen Namen nicht schrecken, zeichneten das „Integrative Bauprojekt am Ehemaligen Blumengroßmarkt“ (IBeB) mit dem BDA-Preis Berlin 2018 aus. Als „ermutigendes Vorbild und Alternative zur gängigen Wohnungsbaupraxis“. Jetzt wurde der langgestreckte Bau zudem für den europäischen Mies van der Rohe Award nominiert. Selbst der Liegenschaftsfonds spielte eine rühmliche Rolle, vergab das Gelände vis-à-vis vom Jüdischen Museum nicht nach quantitativen Kriterien – wer bietet mehr?, wer hat den spektakulärsten Entwurf? –, sondern nach qualitativen. Das Ergebnis ist eine echte Kreuzberger Mischung als Teil des Kreativquartiers Südliche Friedrichstadt. Ateliers, Gewerbe, Wohnungen mit flexiblen Grundrissen, teils Eigentum, teils Genossenschaft, bezahlbar, so wie die kompakten Apartments für einen sozialen Träger, mithilfe von Fertigteilen und geschickter Erschließung günstig gebaut. Susanne Kippenberger

Während die Deutschen mit Peter Wohlleben ihre neue Liebe zu Bäumen entdecken, übersehen sie die Wiesen und Weiden als Biotop für etwa 3500 Tierarten.

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Wiesenbaden

Jetzt bekommt er sogar seine eigene Zeitschrift: Im November gab Gruner+Jahr bekannt, in Kürze ein Personality-Format mit Peter Wohlleben zu starten. Der 54-Jährige hat mit dem Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ und dessen Nachfolgern eine neue Sehnsucht nach dem Wald losgetreten, die 2018 auch eine Idee aus Japan populär machte: Shinrin-yoku oder „Waldbaden“. Damit sind bewusste und wohl heilsame Spaziergänge unter Birken, Eichen oder Kiefern gemeint. Vor lauter Wald sehen die Leute aber so einiges nicht mehr – nämlich Wiesen und Weiden. Laut dem BUND leben auf Grünflächen mehr als 2000 höhere Pflanzenarten, 52 Prozent des heimischen Bestands: „leuchtende Nelken, filigrane Glockenblumen, stolze Margeriten und unzählige Köpfchen der Schafgarbe“. Mit ihnen kommen die Tiere, kommen Käfer, Schmetterlinge, Hummeln und natürlich die besonders bedrohten Bienen. Auf sie folgen die Vögel. Etwa 3500 Tierarten gibt es hierzulande insgesamt auf Feuchtwiesen. Die Feinde dieses Biotops sind intensive Bewirtschaftung, Monokulturen – und die geringe Aufmerksamkeit. Wohlleben sei Deutschlands „Waldflüsterer“, heißt es. Wo bleibt der Wiesenpapst? Björn Rosen

Elektrowende

Im Jahr drei nach Bekanntwerden der Abgasaffäre bei Volkswagen beherrschte 2018 immer noch der Diesel die Diskussion über die Zukunft der Automobilindustrie. Die Tatsache, dass die Automobilbranche die wahrscheinlich folgenreichste Transformation ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte erlebt, trat dabei fast in den Hintergrund. Beinahe alle Beschäftigten der Industrie, allein in Deutschland mehr als 850000, werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erleben, wie Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung ihren Alltag verändern – oder sie den Job kosten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, dass der „Gesamtumschlag“ an Erwerbstätigen, der sich durch die Elektrifizierung von Pkw ergibt, im Jahr 2035 bis zu 150000 betragen wird. Rechnet man Plus und Minus zusammen, werden laut IAB 2035 knapp 114000 Jobs aufgrund der Umstellung auf den Elektroantrieb verloren gegangen sein. Henrik Mortsiefer

Fast 40 Jahre, mehr als 3000 Konzerte – doch den Abschiedsauftritt von Slayer nahmen wenige wahr.

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Abschied von Slayer

Kosslick, Dercon, Iván Fischer ... Was wurden den Männern für feuilletonistische Denkmäler gesetzt, als ihre Ära jetzt endete. Auch Simon Rattle bekam seine Eloge, als er 2018 nach 16 Jahren als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker abtrat und den Zuhörern beim Abschiedskonzert in der Waldbühne noch mal „Laune, Leichtigkeit, Lebensfreude“ schenkte, um dann das Orchester zu „Wehmut, Innigkeit, zu sehr persönlichen Momenten“ anzutreiben. Wehmut, Laune, Leichtigkeit? Dabei sollte Kunst doch wehtun, als wäre sie ein Stein im Schuh, wie Lars von Trier mal proklamierte! Umso unverständlicher, dass das Ende der Ära Slayer in den Kulturteilen nur am Rand stattfand. Wer war mehr Kunst als Slayer? Kaum eine Band schmerzte mehr. Nicht nur dank brutaler Lautstärke, sondern auch, weil eine der prägendsten Metalgruppen aller Zeiten in ihren Texten die Hässlichkeit der Welt ausbreitete, von Naziverbrechen, Krieg, Tod und Teufel erzählte: fast 40 Jahre lang, auf zwölf Alben und 3000 Konzerten. Vor wenigen Wochen traten Slayer im Rahmen ihrer Abschiedstournee noch mal in Deutschland auf. Außerhalb der Fangemeinde nahm kaum einer davon Notiz. Moritz Honert

Privatisierte Renten

Seit Jahrzehnten trommeln die Marktgläubigen aller Parteien für die Privatisierung der Altersvorsorge, vorrangig mittels Sparen in Aktien. Zuletzt machte Friedrich Merz, der unterlegene Kandidat für den CDU-Vorsitz, Schlagzeilen mit der Forderung, Aktiensparer mit Steuernachlässen zu subventionieren. Käme es dazu, wäre sein bisheriger Arbeitgeber, der Finanzkonzern Blackrock, einer der größten Profiteure. Der ist nämlich Marktführer für die von Kleinanlegern bevorzugten Index-Fonds. Nicht berichtet wurde dagegen, dass die Privatisierung der Altersvorsorge in zahlreichen Ländern weitgehend gescheitert ist. Das belegt eine Studie der UN-Arbeitsorganisation ILO. Ergebnisse aus 15 Ländern zeigen, dass die Rentenhöhen teilweise dramatisch verfielen und die Altersarmut anstieg. Die wichtigste Konsequenz der Privatisierung sei „die Verlagerung systemischer Risiken der demografischen und ökonomischen Entwicklung von der kollektiven auf die individuelle Ebene“, warnt Erik Türk, Rentenexperte der Arbeiterkammer Wien. Harald Schumann

China in Südamerika

Oft hörte man: Die Chinesen übernehmen Afrika. Fast 52 Milliarden Dollar wollen sie bis 2022 investieren. In Zugstrecken, Flughäfen, Raffinerien, Staudämme, sogar ganze Städte. Aber auch in Lateinamerika sind die Chinesen massiv engagiert. Zu lange wurde die Region von Europa und den USA gering geschätzt. Nun nimmt man die Angebote aus China gerne an. Peking stellt Investitionen von 250 Milliarden Dollar bis 2025 in Aussicht und macht keine Auflagen, was Umweltschutz oder Menschenrechte angeht. Auch hier geht es vorrangig um den Auf- und Ausbau der Infrastruktur. So soll ein riesiger Güterhafen im Nordosten Brasiliens entstehen. Bereits jetzt ist China wichtigster Handelspartner Brasiliens, Chiles und Perus – nicht mehr die USA. Außerdem verfolgen die Chinesen geostrategische Interessen. In Argentinien nahmen sie 2017 einen Weltraumbahnhof in Betrieb, Nutzungszeit: 50 Jahre. An Bolivien verkauft Peking Militärhelikopter. Ein weiteres Vorhaben, das China nützen wird: der Zwei-Ozean-Zug, der Atlantik und Pazifik verbindet und dem Panamakanal Konkurrenz machen soll. Auch in Lateinamerika hat das chinesische Jahrhundert bereits begonnen. Philipp Lichterbeck

Superflausch

2018 war das Jahr, in dem Stars bei den Golden Globes in Schwarz erschienen, Michelle Obama glitzernde Overknees trug, Heiko Maas eine tighte Lederjacke und Theresa May Schuhe mit Leopardenprint. Die 90er kehrten mit bauchfreien Tops zurück, Mützen endeten oberhalb der Ohren, gelbe Westen waren kein Radler-Accessoire mehr und wer „Ugly Sneakers“ anhatte, musste sich nicht schämen. Worüber sich niemand wunderte? Dass erwachsene Frauen plötzlich aussehen wie Teddybären: Während sie über Fake News sprechen, tragen sie Fake Fur. Kunstpelz oder französisch Faux Fur lässt sich inzwischen weicher herstellen als echter und ziert neben Mänteln in Karamell- und Pudertönen sogar Badesandalen und Rucksäcke. Labels wie Gucci und Armani verpflichteten sich, auf Pelze, an denen Blut haftet, zu verzichten, und setzten auf Ersatz aus Polyacryl. Peta gefällt das. Doch es geht dabei nicht allein um Tierschutz. In die Kleiderstangen dieses Winters voller Brokat und Samt, Fleece, Frottee, Nicki, Kaschmir und Plüsch möchte man sich sofort hineinwerfen. Die Welt, ein einziger Wattebausch! Kuscheln gegen Chemnitz. Und wer kann es einem verübeln – nach solch einem harten Jahr. Julia Prosinger

Opioidkrise

Donald Trumps Tweets kann man nicht entkommen. Selbst den Beginn der Weihnachtspause hat er vielen verdorben – mit gut einem Dutzend aufgeregter Nachrichten zur Mauer, dem „Shutdown“, seinem aus dem Amt getriebenen Verteidigungsminister. Dabei gäbe es größere Probleme, auf die sich ein US-Präsident konzentrieren müsste. Zum Beispiel auf die rasant steigende Zahl von suchtkranken Menschen. Die USA erleben die derzeit schlimmste Drogenepidemie ihrer Geschichte. Trumps Antwort: Wir brauchen die Mauer und die Todesstrafe für die Händler. Warum aber sind Schmerzmittel wie Morphium noch immer so leicht zu bekommen, obwohl bekannt ist, dass die meisten Heroinsüchtigen diese als Einstiegsdroge benutzen? Warum wird die verantwortliche Industrie nicht stärker in die Pflicht genommen? Warum ist es vor allem für viele junge Menschen so attraktiv, der Realität zu entkommen? Die Drogenepidemie ist eine nationale Katastrophe – es wird Zeit, dass sie auch so behandelt wird. Juliane Schäuble

Adoptionen für alle

Im Oktober feierte die Ehe für alle den ersten Jahrestag in Deutschland. Laut einer dpa-Umfrage hatten sich in diesem Zeitraum rund 10.000 gleichgeschlechtliche Paare dafür entschieden. Außenminister Heiko Maas jubelte auf Twitter: „Ein Jahr Ehe für alle. Ein Jahr Normalität.“ Alles gut? Nicht ganz. Die Ehe für alle hat einen Haken: Lesbische Elternpaare sind dadurch nicht gleichgestellt worden. Bei Hetero-Ehepaaren wird der Mann automatisch zum Kindesvater – selbst wenn er nicht der biologische Vater ist. Jedes Kind aus einer solchen Ehe hat also von Geburt an zwei Elternteile. Bei Babys, die in einer lesbischen Ehe zur Welt kommen, gilt dagegen zunächst nur diejenige, die das Kind zur Welt bringt, als Mutter. Ihre Partnerin muss sich auf den mühevollen Weg der Stiefkindadoption begeben: Gesundheitstests für die Annehmende und das Kind, Treffen mit dem Jugendamt, Behördengänge. Das kann Monate dauern und ist eine große Belastung für die Familie. Nadine Lange

Obwohl Otto Palandt das BGB nationalsozialistisch kommentiert hatte, heißt der Wälzer weiter nach ihm.

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Der Palandt

Im März des Jahres starb Oskar Gröning, der „Buchhalter von Auschwitz“, im Alter von 96 Jahren. Mit seiner Verurteilung als Helfer des organisierten Massenmordes korrigierte die Justiz ihren viel zu lange viel zu mild gebliebenen Blick auf die strafrechtliche Schuld der kleineren Räder im Getriebe der Holocaust-Maschinerie. Doch wann stirbt Otto Palandt? Der frühere Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes war ein Karrierenazi. Gern ließ er sich beauftragen, das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) im nationalsozialistischen Ungeist zu kommentieren. Das Werk gilt heute als Standardkommentar und ist soeben in der 78. Auflage erschienen. Noch immer heißt der Wälzer mit seinen 3357 Seiten bei allen, die mit ihm umgehen müssen, nur „der Palandt“. Weil der Name unverändert den Titel schmückt. Seit Jahren gibt es Diskussionen. Der Verlag hat Angst um eine Marke. 2018 hat sich sogar das Bundesjustizministerium für eine Umbenennung stark gemacht. Die Aufarbeitung der Nazizeit dauert an. Es gilt, wie in den Prozessen: Besser spät als nie. Jost Müller-Neuhof

Fan-Proteste

Europäischer Spitzenfußball nur noch gegen Geld, so heißt es seit dieser Saison für die Champions League. Lange waren die hochklassigen Fernsehübertragungen mit Clubs wie Bayern München, FC Liverpool oder Real Madrid beim ZDF zu Hause, bezahlt mit dem Rundfunkbeitrag der Zuschauer. Doch der Sender wollte die steigenden Lizenzkosten nicht tragen.

Im Stadion machen die Fans ihrem Unmut über die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs seit Längerem Luft: keine Schlachtgesänge, keine Trikots, das zeigt Wirkung. Aber wo bleibt der Stimmungsboykott der TV-Zuschauer? Wo ein Abo nicht mal reicht, um alle CL-Spiele und -Tore zu sehen. Stattdessen werden die Spiele unter dem Pay-TV-Sender Sky und seinem Konkurrenten Dazn aufgeteilt. Gut 40 Euro im Monat muss der Fan berappen. Dass man sich durchaus wehren kann, zeigt die Reform der Rundfunkgebühr, die seit 2013 für jede Wohnung erhoben wird. Dagegen hat es massiven Protest gegeben. Bis vors Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof gingen die Beschwerden 2018. Kurt Sagatz

Englands Kommunen

Alle reden vom Brexit, die britische Regierung kümmert sich um nichts anderes. Schon gar nicht um die dramatische Lage der Kommunen. 2010 riefen die Konservativen ein gnadenloses Sparprogramm aus, dessen Folgen nun einen neuen Tiefpunkt erreicht haben. Die Lokalverwaltungen, denen ein großer Teil der staatlichen Finanzierung gestrichen wurde, müssen entscheiden: Wollen sie den Alten die Unterstützung wegnehmen oder den Kindern? Der Busfahrplan wird ausgedünnt, die Straßenlaternen werden früher ausgeknipst. Jugendzentren und Begegnungsstätten geschlossen, die Zahl der Sozialarbeiter reduziert. Kriminalität und Mieten steigen, es gibt mehr Obdachlose. Die Direktorin einer Grundschule in Norfolk hat gerade eine eigene Tafel gegründet, weil einige der Kinder vor Hunger den Proviant ihrer Mitschüler gestohlen haben. 2018 wurden nach Angaben des „Guardian“ fast 130 öffentliche Büchereien in Großbritannien geschlossen, trotz massiver Proteste, darunter prominenter Schriftsteller wie J. K. Rowling. Die Kluft zwischen upper und lower class reißt immer tiefer. Wenn der Brexit kommt, wird im öffentlichen Bereich wenig übrig sein, was man noch wegsparen könnte. Susanne Kippenberger

Äpfel und Birnen

Übers Wetter kann man bekanntlich unterschiedliche Ansichten haben. Für mediterrane Gemüter war der heiße, trockene Sommer spitze. Für die deutschen Bauern, die Raps, Mais und Kartoffeln ernten, war er hingegen eine Katastrophe. Für alle? Nein, Obstbauern und Winzer haben in diesem Jahr das Geschäft ihres Lebens gemacht. Äpfel und Birnen gediehen, die Trauben wogen schwer, reiche Ernte, gute Qualität und alles einige Wochen früher als sonst. Den Tierhaltern, die wegen der verdorrten Weiden schon im Sommer ihr für den Winter gedachtes Heu an Schweine und Kühe verfüttern mussten, hilft das nicht. Oder vielleicht doch? Äpfel und Birnen fressen die Schweine bekanntlich gern, und eine Flasche deutschen Weins hilft auch ihren Eigentümern aus dem Stimmungstief. Bäuerliche Solidarität – nie war sie so einfach und lecker. Heike Jahberg

Macrons Sieg

Tu Gutes und rede darüber – das mag sich EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gedacht haben, als er im Sommer ankündigte, dass die Zeitumstellung in der EU ab 2019 abgeschafft werden soll. In der ganzen Diskussion über Biorhythmus und Mini-Jetlag ging ein EU-Thema fast unter, das sehr viel handfester ist als der vage europäische Uhrzeit-Plan. Es dreht sich ums Geld. Man könnte auch sagen: das Geld der anderen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert seit Langem einen eigenen Haushalt für die 19 Länder der Euro-Zone. Es ist sein großes Projekt zur Stärkung der EU. Nun wird Macron – auch wegen der Bedenken aus Deutschland – keinen dreistelligen Milliardenbetrag loseisen können, wie er ursprünglich gewünscht hatte. Zudem sehen Nicht-Euro-Länder wie Polen die Etatpläne kritisch, weil sie nichts davon haben. Doch beim jüngsten EU-Gipfel im Dezember erhielten Europas Finanzminister trotz aller Bedenken den Auftrag, weiter am Euro-Zonen-Budget zu arbeiten. Ein kleiner Sieg für Macron. Albrecht Meier

Echter Star

Sechs Grammys für Bruno Mars, Hochzeit bei Mario Götze, Trennung bei Helene Fischer. Doch ein Star überflügelt sie alle: der Star. Der Vogel des Jahres 2018. Als der Mensch noch im Fell durch den Staub kroch, war der Star schon Fashionista der Lüfte: bezauberndes Federkleid, purpurner Glanz, beigefarbene Spitzen. Und diese Stimme erst! Eigenkompositionen aus Schnalz-, Zisch- und Rätschlauten. Dazu feinste Imitationen von Hundegebell und Rasenmähern. Ohne jegliche Starallüren. Nimm das, Helene! Mozart (!) hielt sich einen Star als Haustier. Der konnte nicht nur Werke des Musikgenies zwitschern. Nein, der Gesang des Stars floss in die Kompositionen ein. Köpfchen hoch, Schnabel raus, Flügel stramm. Er ist ein Star – holt ihn da raus! Hannes Soltau

Gefährlicher Job

Gewaltakte gegen Journalisten haben 2018 zugenommen. Das schreibt „Reporter ohne Grenzen“ in seinem Jahresbericht. Demnach seien 80 Journalisten getötet, 49 davon gezielt ermordet worden. Das sind 15 Tötungsdelikte mehr als 2017. Weniger prominent besprochen als Kashoggi in Saudi-Arabien oder die Freilassung Deniz Yücels aus der türkischen Haft wurde ein Mord mitten in Europa. Am 25. Februar erschossen Unbekannte in der Slowakei den Journalisten Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová. Kuciak hatte zu Verbindungen der italienischen Mafia in die slowakische Regierung recherchiert und stand kurz vor der Veröffentlichung seiner Reportage, als die Täter ihn in seiner Wohnung mit Schüssen töteten. Die Polizei verhaftete Ende September vier Verdächtige, die im Auftrag gehandelt haben sollen. Wessen? Bis heute unklar. Proteste nach dem Mord lösten in der Slowakei eine Regierungskrise aus, der sozialdemokratische Ministerpräsident Robert Fico trat zurück. Marius Buhl

Mehr Korn

Gin war mal. Rum ist der neue Gin. Oder ist Bourbon schon der neue Rum? Oder Mescal bereits der neue Bourbon, wie mancher Barmann einem dieser Tage verschwörerisch zuraunt? Alles überholt. Wer wirklich vorne mit dabei sein will in Sachen Spirituosen, der sollte sich Korn anschauen. Ja, Korn! Findige Destillerien sind gerade dran, die Spirituose mit jahrhundertelanger Geschichte im Zuge der Besinnung auf Tradition und Handwerkskunst beim Brennen neu zu entdecken. Dank hochwertiger Zutaten und Aufmerksamkeit hat das nichts mehr gemein mit dem berüchtigten Vier-Euro-Fusel aus dem unteren Supermarktregal. Moritz Honert

Unfassbar. Millionen Menschen im Jemen wissen nicht, woher sie die nächste Mahlzeit bekommen sollen. Seit 2015 sind mehr als 85 000 Kinder an Hunger oder Krankheit gestorben.

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Lange Hochzeit

In der ansonsten ruhigen Lobby des Luxushotels Umaid Bhawan Palace trommeln im November plötzlich Männer in Pluderhosen und Turban los. Ein Gast ist eingetroffen, die Begrüßung erfolgt wie mit militärischen Ehren. Der ehemalige Maharadschapalast im indischen Jodhpur gilt bei europäischen Touristen als das schickste Hotel des Subkontinents, eine 56 Meter hohe Kuppel überspannt die Lobby, unter der es nun aussieht wie auf einem Bollywood-Filmset. Tänzerinnen, Fantasieuniformen, Zimmer voller Schminkkommoden: Gleich wird hier die wichtigste Hochzeit des Jahres stattfinden. Mehrere hundert Millionen sollen die Trauung von Meghan Markle und Prince Harry im Fernsehen gesehen haben? Von den 1,3 Milliarden Indern dürften sich wesentlich mehr für die Hochzeit von Bollywood-Star Priyanka Chopra und Hollywood-Beau Nick Jonas interessiert haben – die symbolische Vermählung der Unterhaltungskönigreiche. Bald sickerte durch, dass es eine typische indische Hochzeit würde, also länger dauert als ein lächerlicher Tag, mit dem sich die Royals begnügten. NP, wie es nur noch heißt, feierten volle fünf Tage. Ulf Lippitz

Im Juli schlossen Äthiopien und Eritrea nach Jahrzehnten des Konflikts Frieden.

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Frieden in Afrika

Für einen Augenblick, wenn auch nur einen kurzen, konnte man im vergangenen Juni den Eindruck gewinnen, Donald Trump würde in der Weltpolitik etwas wirklich Großes bewegen. Der US-Präsident traf sich in Singapur mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un, beide versprachen, sich einander anzunähern, und reichten sich sogar die Hand. Große Verwunderung überall! Einen Monat später geschah in Ostafrika etwas, das die allermeisten Beobachter bis dahin für mindestens ebenso unmöglich gehalten hätten, das in den Nachrichten jedoch kaum vorkam: Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed und Eritreas Präsident Issaias Afwerki schlossen Frieden. Beide Länder befanden sich nach einem Krieg um Grenzstreitigkeiten in einer andauernden Blockadesituation. Etwa 100000 Menschen starben in dem Konflikt. Im September wurde nun die Grenze geöffnet, erst vor wenigen Tagen begann Äthiopien nach eigenen Angaben, seine Truppen aus der Region abzuziehen. Christian Vooren

Dürre in Südafrika

Der trockene Sommer in Deutschland war für die einen das Beste, was ihnen passieren konnte - schier endlose laue Grillabende und Sonntage am Badesee. Für andere zogen sich die Monate quälend lang. Landwirte verloren durch die Dürre ihre Ernte und große Teile Europas kämpften gegen Waldbrände. Immerhin war zum Löschen genug Wasser da. Unter all dem Schweiß geriet die Lage am Westkap Südafrikas außer Acht. Weil es im Winter auf der Südhalbkugel, also unserem Sommer, seit mindestens drei Jahren viel zu wenig regnet und die Sommer ohnehin heiß und trocken sind, liegen die Stauseen rund um die Millionenmetropole Kapstadt gefährlich trocken. Wasserhähne wurden abgestellt und die Toilette mit Eimern aus der Dusche gespült. Der "Day Zero" rückte bedrohlich nah, ab dem das Militär das Wasser rationieren würde. Kanister waren schnell ausverkauft, in den Townships, wo Hunderttausende Südafrikaner leben, drohte die Lage zu eskalieren. In reichen Gegenden wie Camps Bay ließen die Villenbesitzer derweil ihre Pools von Tanklastern aus weniger betroffenen Regionen des Landes beliefern. Südafrika, das wurde hier besonders deutlich, bleibt eines der ungerechtesten Länder der Welt, was die Verteilung von Vermögen angeht. Kapstadt kam knapp am Day Zero vorbei, aber perspektivisch ist eine besser geplante Trinkwasserversorgung kaum abzusehen. Christian Vooren

Deutscher Meister

Der Totengräber hieß Kim Young-gwon. Er traf für Südkorea in der Nachspielzeit des dritten Gruppenspiels der Fußball-Weltmeisterschaft gegen Deutschland und warf damit den Weltmeister aus dem Turnier. Spätestens da brach medial ein Sturm los. Es ging um Jogi Löws Aufstellungen, Grüppchenbildung im Team und immer wieder um Mesut Özil. Andere Sportarten haben es in Deutschland oft schwer, die Aufmerksamkeit des Publikums zu erlangen, im Fußball-WM-Jahr besonders. Und so dürfte der Name Florian Wellbrock nur Kennern bekannt sein. Zu Unrecht. Im August schwamm der damals 20-Jährige Bremer in Glasgow zu EM-Gold über 1500 Meter Freistil in neuer deutscher Rekordzeit. „Junge, Junge, Junge“ rief ZDF-Reporter Thomas Wark, als Wellbrock zum letzten Mal wendete. Seit 23 Jahren hatte Deutschland in dieser Disziplin keinen Europameistertitel mehr geholt, Wellbrock aber schaut schon nach vorn, Olympia 2020 in Tokio ist sein Ziel. Bei der letzten Olympiade hätte Wellbrocks Zeit bereits zur Bronzemedaille gereicht. In Glasgow betrat im August ein neuer deutscher Sportstar die Showbühne. Mitbekommen haben es nur wenige. Marius Buhl

NSU-Prozess

Am 10. Juli endete der Münchner NSU-Prozess mit Lebenslänglich für Beate Zschäpe und Haftstrafen für die vier Mitangeklagten. Alle Scheinwerfer hatten sich bis dahin auf das Mammutverfahren um die zehn rechtsextrem motivierten Morde gerichtet. Sein Ende konnte den Eindruck erwecken, damit sei der NSU-Komplex im Grunde abgeschlossen. Kaum Aufmerksamkeit gab es – dadurch? – für die Hintergründe und Begleitumstände der Mordserie von 2000 bis 2007: Die Täterinnen und Täter waren den Behörden teils bekannt, konnten untertauchen, Akten über sie wurden geschreddert, während des Mordes an Halit Yozgat saß ein Verfassungsschützer gar in dessen Kasseler Internetcafé. Die Hinweise auf Tatenlosigkeit oder Komplizenschaft staatlicher Stellen, die falschen Spuren, denen die Polizei jahrelang folgte, hielten Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern auf tausenden Seiten fest und mahnten zu Reformen. Bekannt wird darüber wenig. Oder aber Protest: Die geplante Kommission gegen Rassismus, die Thüringens Innenministerium beraten soll, nannte der Chef der Deutschen Polizei-Gewerkschaft kürzlich “Paralleljustiz” und “verfassungswidrig”. Andrea Dernbach

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