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 Morales sagte bei der Ankunft in Mexiko: „Ich bin noch am Leben, der Kampf geht weiter.

© imago images/ZUMA Press

Nach Flucht aus Bolivien: Welche Taktik Evo Morales im Exil verfolgt

Boliviens Präsident hat mit dem Abzug seiner Parteigenossen aus Schlüsselpositionen Chaos hinterlassen. Wird er zurückgerufen, falls seine Nachfolger scheitern?

Jeanine Añez war bis vor ein paar Tagen kaum bekannt in Bolivien, sie war die zweite Vize-Präsidentin des Senats. Nun hat sie aus Sicht des nach Mexiko geflohenen Ex-Präsidenten Evo Morales „den heimtückischsten und schändlichsten Staatsstreich der Geschichte begangen“. Sie hat sich zur Übergangspräsidentin Boliviens ernannt .

Die Anwältin kündigte zu gleich an, das nun wieder die Bibel in den Präsidentenpalast Einzug halte – und sie ist sicher keine, die für eine ausgestreckte Hand zur indigenen Bevölkerung steht. „Eine rechte Senatorin ernennt sich erst zur Präsidentin des Senats und dann zur Interimspräsidentin Boliviens, ohne das notwendige Quorum umgeben von einer Gruppe von Komplizen, unterstützt von den Streitkräften und der Polizei, die das Volk unterdrücken“, twitterte Morales aus Mexiko. Sein Plan wird immer deutlicher.

Die 52-jährige Anwältin aus dem tropischen Departement Beni war verfassungsgemäß die erste in der Reihe derjenigen, die überhaupt für ein Amt zur Verfügung stehen. Morales hat durch den Rückzug seiner Partei Movimiento al Socialismo (MAS) ein Führungsvakuum hinterlassen, seine Partei war im bisher die stärkste Kraft. Folglich hatten Senat und Parlament auch keine Vorsitzenden mehr.

Jeanine Añez kannten in Bolivien bisher nur wenige.

© Aizar RALDES / AFP

Und wegen des MAS-Abzugs war auch die Beschlussfähigkeit zur Ernennung von Añez im Senat und der Abgeordnetenkammer nicht gegeben – das Verfassungsgericht erkannt ihre Ernennung an. „Ich werde alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um das Land zu befrieden“, sagt Añez. Doch genau dafür stehen sie und die Opposition bislang auch nicht. Gemäß Verfassung muss es binnen 90 Tagen nun Neuwahlen geben.

Hass auf Morales

Morales' Rivale bei den Präsidentschaftswahlen, Carlos Mesa, gratulierte Añez. Luis Fernando Camacho, einer der Anführer der Protestbewegung gegen den Ex-Präsidenten Morales, rief zu einer „Aussetzung der Demonstrationen“ auf. Sie eint alle der Hass auf den geflohenen Morales, doch kann eine Rückkehr der weißen Eliten an die Macht, deren Versagen erst Morales' aufstieg ermöglicht hatte, das Land einen? 

Ein Mann protestiert in La Paz für den Ex-Präsident Morales.

© Gaston Brito/dpa

Mindestens sieben Menschen starben bereits bei Unruhen, der indigenen Aymara stachelt seine Anhänger auf – um am Ende vielleicht als Retter zurückkehren zu können? Sein Rückhalt unter der indigenen Bevölkerung ist weiterhin groß, bei der ihm zum Verhängnis gewordenen Wahl vom 20. Oktober kam er auch abzüglich mutmaßlich manipulierter Stimmen auf über 40 Prozent der Stimmen. Vor allem die Reduzierung der Armut, die Aufwertung der indigenen Bevölkerungsmehrheit und ihrer Sprachen werden ihm hoch angerechnet. Einige fürchten nun die Restauration.

Respekt von deutschen Unternehmen

Auch eher sozialistischen Ideen abgeneigte deutsche Unternehmer redeten bisher mit viel Respekt über ihn, sagten, dank seiner pragmatischen Wirtschaftspolitik habe es für Unternehmen so attraktive Investitionsbedingungen wie nie zuvor in Bolivien gegeben. Die sozialistische Rhetorik war das eine, das Handeln das andere.

Doch er verfiel der Versuchung anderer Populisten, die Verfassung zu ignorieren, um nochmal wiedergewählt werden zu können – und dann kam es auch noch bei der Wahl am 20. Oktober zu Manipulationen zugunsten von Morales, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sprach von Betrug, Polizei und Militär wandten sich gegen ihn. Das Maß war voll und nun könnte der aus ärmsten Verhältnissen aufgestiegene, schlaue Morales sein politisches Erbe vollends verspielen.

Odyssee nach Mexiko

Er agiert nun mit seinem Vizepräsidenten Álvaro García Linera vom Exil in Mexiko aus, zudem reiste die bisherige Gesundheitsministerin Gabriela Montaño, die Todesdrohungen erhalten hatte, mit aus. Die Flucht in einem Flugzeug der mexikanischen Luftwaffe glich einer Odyssee. Los ging es von dem kleinen Flughafen der Stadt Chimoré in der Kokaanbauregion des Chapare, Peru verweigerte eine Landung zum Auftanken.

So musste umgedreht werden, runter bis nach Paraguay, um in Asunción aufzutanken. Später verweigerten Länder wie Brasilien einen Überflug, sodass Morales erst nach zwölf Stunden in Mexiko landete. García Linera, der intellektuelle Kopf der Bewegung zum Sozialismus (MAS) und erst im April noch zu Gast bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, nahm ein Stück Erde aus Bolivien mit und kündigte an: „Wir werden zurückkommen und wir werden Millionen sein.“

Wenn es in diesen Tagen des nationalen Unglücks in Bolivien einen Plan gibt, dann könnte er aus dem Lehrbuch des Populismus entstammen. Verbrannte Erde hinterlassen, das Chaos einkalkulieren, eine „unter Evo-war-alles-besser“-Stimmung entstehen lassen, um nochmal ein Comeback feiern zu können. Während das Phänomen des Populismus heute weltweit um sich greift, ist es in Lateinamerika schon früh entstanden, oft in Form eines nationalen Linkspopulismus mit Caudillos als charismatischen Führungsfiguren, von Juan Domingo Perón über Hugo Chávez bis Evo Morales. Meist unterstützt von unteren Schichten, die sich lange vernachlässigt fühlten.

Gefahr eines Bürgerkriegs

Lateinamerikanische Diplomaten in Berlin loben zwar die Entscheidung des linken mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, politisches Asyl zu gewähren, da sonst bei einer denkbaren Festnahme oder Tötung von Morales in Bolivien ein Bürgerkrieg hätte drohen können.

„Das hat ein Blutbad verhindert.“ Doch Mexiko hat sich nun auch ein großes Problem ins Haus geholt. Morales sagte bei der Ankunft: „Ich bin noch am Leben, der Kampf geht weiter.“ Und via Twitter wettert er gegen die „Selbsternennung“ von Añez, das verstoße gegen Artikel 161, 169 und 410 der Verfassung, seinem Widersacher bei der Präsidentschaftswahl vom 20. Oktober, Carlos Mesa, wirft er vor, die „Demokratie zu zerstören und das Volk zu massakrieren“.

Mesa war schon einmal Präsident, wurde dann aber auch von Blockaden und Protesten der von Morales angeführten sozialen Bewegungen im Juni 2005 zum Rücktritt getrieben.

Nun könnte er wieder Präsident werden – und wieder würden Morales' Leute den Kampf von der Straße aus gegen ihn führen, fürchten Experten des Andenstaates.

So würde die lange Phase der Stabilität unter Morales, der seit 2006 regiert hatte und die längste Amtszeit in der Geschichte Boliviens erreichte, in einem positiveren Licht erstrahlen. „Schluss mit der Zerstörung Boliviens“, fordert Morales zwar via Mexiko, doch er selbst tut gerade wenig, um dies zu verhindern.

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