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Wenn Trump nur noch Amerika kennt, sollte Europa die Welt retten.

© dpa

Trump, Nato und die EU: Europa muss den Mut haben, Anführer der freien Welt zu werden

Europas Widerstand gegen Trumps Versuch, die Weltordnung neuzugestalten, darf nicht untergehen. Vielmehr muss dieser Widerstand endlich lauter werden. Ein Gastbeitrag.

Trumps Tour durch Europa war von europäischen Regierungschefs wie von der Nato gefürchtet und wurde – wie erwartet – zum Desaster: In Brüssel rügt der US-Präsident Deutschland und andere Länder für ihre mangelnden Militärausgaben und stellt die Rolle der Nato in Frage. In Großbritannien ruiniert Trump ein Treffen mit der britischen Premierministerin und propagiert einen desaströsen, harten Brexit. In Helsinki versäumt er es, die Sorgen der Europäer und der Nato-Partner anzusprechen.

Über Jahrzehnte hat die Politik der USA Frieden in Europa gesichert, teilweise durch die militärische Macht der Amerikaner, teilweise politisch durch ihre Unterstützung bei der Entstehung der Europäischen Union – eine Projektion von traditionellen amerikanischen Werten wie Freiheit und Demokratie. Diese langjährige Politik der USA hat sich nun geändert. Historiker werden diese Woche wahrscheinlich als Wendepunkt der Weltordnung post 1945 bezeichnen.

Trumps anbiedernde Pressekonferenz mit Putin wird viele Europäer, insbesondere die Menschen in der Ukraine und in den an Russland angrenzenden Staaten, tief verunsichert haben. Der amerikanische Präsident missachtete die russische Einmischung in die demokratischen Prozesse freier Länder einfach, weder warnte er den Kreml vor weiteren Hackerangriffen, noch gab es Forderungen danach, dass Putin für die Ermordung britischer Bürger auf europäischem Boden zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Ebenfalls gab es keinen Vorwurf an Putin für seine mörderische Außenpolitik in Syrien, die Europas Flüchtlingskrise verschärft hat.

Der Widerstand muss lauter und deutlicher werden

Europa kann etwas Trost aus der Wut vieler Demokraten und Republikaner über Trumps Vorgehen in Europa ziehen, aber es ist keineswegs klar, ob und wie sie die Politik des amerikanischen Präsidenten beeinflussen können. Die Antwort der EU wurde am besten durch den deutschen Außenminister Heiko Maas zusammengefasst, der sagte: „Wir können uns auf das Weiße Haus nicht mehr uneingeschränkt verlassen.“ Europas Widerstand gegen Trumps Versuch, die Weltordnung neuzugestalten, darf nicht untergehen. Vielmehr muss dieser Widerstand lauter und deutlicher werden – nicht unbedingt in unserer Politik gegenüber US-Bürgern oder Institutionen außerhalb des Weißen Hauses, sondern schlicht in der Anerkennung der Notwendigkeit, ein „geeintes, selbstbewusstes und souveränes Europa“ zu schaffen, wie das deutsche Auswärtige Amt bereits gesagt hat.

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Militärisch muss Europa daran arbeiten, effektivere und besser koordinierte Verteidigungskapazitäten aufzubauen, die sich an Fähigkeiten und Ergebnissen orientieren, anstatt an Ausgaben. Eine eigenständige europäische Säule innerhalb der Nato würde einen Teil zur Gewährleistung dieser europäischen Sicherheitsunabhängigkeit beitragen.

Trump wetterte gegen Deutschland aufgrund der Nord-Stream-Pipeline und der Abhängigkeit von russischem Gas – da hat er einen Punkt. Putin hat schon lange die Abhängigkeit einiger europäischer Länder von Russlands riesigen Energieressourcen genutzt, um Abhängigkeiten zu fördern und seine außenpolitischen Ziele durchzusetzen. Die EU setzt Vorschläge zur Verringerung dieser Abhängigkeit von Energieimporten um, indem Energieeffizienz und erneuerbare Ziele festgelegt werden. Dies muss nun weiter gestärkt, mehr gefördert werden.

Trumps Aversion gegen Europa ist nicht wirtschaftlich begründet

Das bestehende EU-Sanktionsregime gegen den Kreml muss gewahrt und neue Sanktionen vorbereitet werden, um einer künftigen russischen Aggression entgegenzuwirken. Hier wird die Rolle Großbritanniens und Frankreichs entscheidend sein. Nationalistische Populisten, die vom Kreml politisch unterstützt werden, wie zum Beispiel der italienische Vizepremier Matteo Salvini, fordern bereits die Aufhebung der EU-Sanktionen. Diesen Versuchen muss Widerstand geleistet werden.

Gleichzeitig muss die EU eine glaubwürdige Strategie entwickeln, um über Sanktionen hinaus mit Russland zu interagieren. Wir brauchen eine proaktive Strategie, um die Beziehung der EU zu Russland aus ihrer derzeitigen Pattsituation zu bringen – eine Strategie des „bedingten Engagements“ mit Russland, inspiriert durch den Helsinki-Prozess der 1970er Jahre. Wir müssen gegenüber korrupten russischen Beamten hart sein, aber sicherstellen, dass russische Bürger nicht mit Sanktionen gegen das Regime bestraft werden.

Wahrscheinlich am wichtigsten ist, dass die liberale Demokratie den Kampf gegen den politischen Nationalismus in Europa gewinnen muss. Indem Donald Trump Boris Johnson und seine wahnhafte Vorstellung eines harten Brexits unterstützt und seine Botschafter anscheinend motiviert, nationalistische Bewegungen in Deutschland anzufeuern, mischt sich Trump in die europäische Politik ein – mit dem Ziel, Rechtspopulismus zu unterstützen.

Die Europäische Union ist der größte Feind Trumps, wie er in den letzten Tagen gesagt hat. Doch das ist nicht etwa so, weil sie ein wirtschaftlicher Konkurrent der USA wäre, sondern weil es ein Projekt ist, das den populistischen Nationalismus schwächen soll. Obwohl die Europäische Union bei Weitem nicht perfekt ist und dringend reformiert werden muss, hat sie sich als erstaunlich wirksam bei der Förderung der liberalen Demokratie und Werte in ihrer Nachbarschaft sowie weltweit erwiesen.

Unsere Aufgabe ist es jetzt, Steve Bannons kranken Traum von einer rechtspopulistischen Revolution in Europa und einem Rückzug in den mörderischen Nationalismus der europäischen Vergangenheit zu besiegen. Diese ideologische Auseinandersetzung wird nicht dadurch gewonnen werden, dass Rechtspopulisten beschwichtigt werden oder ihnen nachgelaufen wird. Sie wird gewonnen, indem wir die spalterische Politik der Rechtspopulisten enttarnen, ihre propagandistischen Taktiken entlarven und stattdessen die positive Vision eines vereinten, toleranten, freien und demokratischen europäischen Kontinents auf der Grundlage von Werten und Grundrechten entgegenstellen. Die europäischen Staats- und Regierungschefs müssen endlich den Mut haben, diese Vision eines vereinten Europas, das die freie Welt anführen kann, umzusetzen und dafür einzustehen.

- Guy Verhofstadt leitet die liberale Fraktion ALDE im Europäischen Parlament. Von 1999 bis 2008 war er Premierminister Belgiens

Guy Verhofstadt

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