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Polizei und Demonstranten geraten aneinander.

© Foto: INA FASSBENDER/AFP

Schlagstöcke hier, Pyrotechnik da : Wie der Polizei in Lützerath kurzzeitig die Kontrolle entglitt

Viele tausend Menschen haben am Samstag gegen den Braunkohleabbau in Lützerath demonstriert. Dabei ging es noch einmal hitzig und unübersichtlich zu.

Was Greta Thunberg zu sagen hat, interessiert viele tausend Klimaschutzaktivisten an diesem Samstag nicht. Die Spitze des Demonstrationszugs für den Erhalt des Braunkohledorfs Lützerath erreicht gerade den Kundgebungsbereich in Sichtweite zu dem bedrohten Dorf, da biegen immer größere Teile des Protestzugs über Feldwege in Richtung Abbruchkante ab.

Jugendliche, Menschen mit Kreuzen, Vermummte, selbst zwei Rollstühle werden durch den durchnässten matschigen Acker geschoben. Die Menge ist heterogen – und der Polizei deutlich überlegen. Kurz stehen sich beide Gruppen gegenüber, dann beginnt die Gewalt.

Drei Stunden zuvor deutet sich bereits an, dass diese Demonstration am Tagebau Garzweiler II größer wird, als es viele Beobachter erwartet hatten. Trotz Dauerregens, Sturm und Kälte machen sich aus ganz Deutschland Kohlegegner auf den Weg.

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Die Züge nach Erkelenz sind überfüllt, hunderte Busse mit Aktivisten aus Berlin, Frankfurt, München, Dresden und anderen Städten parken in der Nähe des Ortes Keyenberg, wo der Protestzug beginnt.

Wenn Lützerath fällt, fallen auch die deutschen Klimaziele.

Klimaaktivistin aus Berlin

Zu Fuß strömen immer mehr Menschen in das kleine Dorf, das im Zuge einer Vereinbarung der Bundesregierung mit dem Energiekonzern RWE vor der Abbaggerung gerettet wurde. Doch dass dafür der leergezogene Weiler Lützerath und die rund 280 Millionen Tonnen Braunkohle darunter abgebaggert werden sollen, wollen die Demonstranten verhindern.

Demonstrierende stehen vor einem Bagger in Lüzerath.

© Foto: INA FASSBENDER/AFP

„Wenn Lützerath fällt, fallen auch die deutschen Klimaziele“, sagt eine Aktivistin, die mit einem Bus aus Berlin angereist ist. Die Biologiestudentin ist zum ersten Mal auf einer so großen Demonstration, um Mitternacht sind sie gestartet, um in Lützerath dabei zu sein. „Wir wollen ein Zeichen setzen, so lange es noch geht“, sagt sie.

Polizisten stehen hinter Greta Thunberg (braune Mütze) und weiteren Klimaaktivisten.

© Foto: Karsten Wickern/dpa

Viele haben die Bilder der Räumung der Baumhäuser und Gebäude in den vergangenen Tagen mobilisiert, andere wollen vor allem einen Blick auf die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg erhaschen. Die erreicht den Ort ebenfalls zu Fuß, an der Seite von Luisa Neubauer, die zuvor noch einmal klar gemacht hat, dass Lützerath mehr sei als ein Symbol, wie es Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gesagt hatte.

„Es geht nicht schlicht um ein Dorf, sondern um 280 Millionen Tonnen Kohle darunter. Wenn die in die Atmosphäre gelangen, gefährden sie Lebensgrundlagen weltweit“, sagte sie dem Tagesspiegel. Um kurz nach 12 Uhr setzt sich das Menschenmeer mit Fahnen, Plakaten, Transparenten und Trommel langsam in Bewegung.

Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten; Wer war mit dabei – die Grüne Partei.

Ruf auf der Demonstration

„Alle Dörfer bleiben“, „Lützi lebt“ und „Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten; Wer war mit dabei – die Grüne Partei“, skandieren Tausende beim Marsch durch den Ortskern. Zunächst bleibt alles friedlich.

Polizei steht vor einem Abrisshaus in Lützerath.

© Foto: Roberto Pfeil/dpa

Doch als der Schaufelradbagger von RWE und in der Ferne die Baumhäuser von Lützerath in Sichtweite kommen, spaltet sich die Menge. Ein großer Teil, mehrere tausend Menschen, stapfen über die Felder in Richtung Abbruchkante. Eine Reiterstaffel der Polizei soll sie eigentlich schützen, doch es sind viel zu viele Menschen.

Kurzzeitig verliert die Polizei die Kontrolle

Ein Pferd gerät in Panik, bricht aus und wirft seine Reiterin ab. An der Abbruchkante entlang drängen immer mehr Menschen in Richtung Lützerath. „Wir sind mehr“, rufen sie. Es werden Menschenketten gebildet, auf mehreren hundert Meter Länge stehen die Demonstranten auf einem Feld einer Polizeikette gegenüber.

Eine Pferdestaffel der Polizei stößt mit Demonstrierenden zusammen.

© Foto: INA FASSBENDER/AFP

Als die Demonstranten in Richtung Polizei loslaufen, preschen auch die Einsatzkräfte nach vorn. Mit Tritten und Schlagstöcken schiebt die Polizei die Demonstranten zurück, die wehren sich mit Pyrotechnik und Schlammwürfen. Es sind unübersichtliche Szenen, mehrfach geht es hin und her. Im Internet kursiert ein Video, auf dem zu sehen ist, wie auch Greta Thunberg, umgeben von anderen Aktivisten, von der Polizei geschubst wird.

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Die Polizei wirkt überrascht und ist erdrückend in der Unterzahl. Kurz entgleitet ihr die Kontrolle, beinahe mühelos gelingt es einer Menge vermummter Aktivisten durchzubrechen. Unter großem Jubel rennen Tausende in Richtung Zaun, den RWE vor einigen Tagen um Lützerath angebracht hat.

Aufgeschreckte Rehe und Hasen ergreifen die Flucht. Angefeuert werden sie dabei aus dem besetzten Dorf, von wo Feuerwerksraketen abgefeuert werden. Ein Aktivist, der auf einem Holzstamm steht, ist vom Feld bereits zu erkennen.

Polizisten stehen bei Einbruch der Dunkelheit am Zaun berei , um Aktivisten einer Demonstration von Klimaaktivisten am Rande des Braunkohletagebaus bei Lützerath zurück zu halten.

© Foto: Federico Gambarini/dpa

Doch weiter kommen die Demonstranten an diesem Tag nicht. Mit etlichen Hundertschaften schützt die Polizei den Doppelzaun, droht mehrfach mit dem Einsatz von Wasserwerfern und unmittelbarem Zwang. Dennoch kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen, bei denen es auf beiden Seiten Verletzte gibt.

Mindestens einen verletzten Aktivisten muss ein Hubschrauber abholen. Genaue Verletztenzahlen liefern zunächst weder Polizei noch Aktivisten, doch es dürften Dutzende sein. Szenenweise gleicht das Feld, das sich in eine tiefe Matschgrube verwandelt hat, einer Kampfzone.

Rauch von Pyrotechnik ist zwischen Polizisten und Demonstranten bei der Demonstration von Klimaaktivisten bei Lützerath unter dem Motto „Räumung verhindern! Für Klimagerechtigkeit“ zu sehen.

© Foto: Henning Kaiser/dpa

Nach ein paar Stunden spürt man auf beiden Seiten die Erschöpfung. Immer mehr Aktivisten treten den Rückweg durch den Schlamm an. Ein harter Kern versucht bis in die Dunkelheit, an der Polizei vorbeizukommen. Wasserwerfer und Pfefferspray kommen zum Einsatz.

Es gibt zahlreiche Festnahmen. Ein paar hundert Meter weiter, auf der Bühne, auf der vor einigen Stunden Greta Thunberg ihre Rede gehalten hat, läuft Musik. Hier hat man von den blutigen Auseinandersetzungen nichts mitbekommen. Eine Band spielt „Power to the people“ von John Lennon.

Die Gegensätze beider Protestgruppen könnten kaum größer sein. Ihr gemeinsames Ziel, die Kohle unter Lützerath im Boden zu behalten, haben sie nicht erreicht. Ein kraftvolles Zeichen dagegen ist ihnen gelungen.

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