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Die Palmen dienen nicht etwa der Späherei, sondern dem Auge. Sie stammen vom Künstler Ulrich Brüschke, der die misstrauische Reaktion des Betrachters bewusst provozieren wollte.

© dpa

Architektur in der Hauptstadt: Wie Regierungsbauten Berlin einen Stempel aufdrücken

Vom Kanzleramt bis zum BND in der Chausseestraße – Berlin hat sich die Bauten des Bundes gefügig gemacht. Das befürchtete Beamtenghetto ist nicht entstanden, die Stadt ist stark genug und hat alles aufgesogen.

Ein neues Berlin dämmerte am Horizont herauf – wieder einmal. Von einem Tag auf den anderen wurde der Bund zum bedeutendsten Bauherrn in Berlin. Das war am 20. Juni 1991, als der „Hauptstadtbeschluss“ des Bundestags eine Zäsur in der Berliner Stadtentwicklung auslöste. 24 Jahre später hat Berlin im Spreebogen zwar längst ein stadtbildprägendes Regierungsviertel erhalten. Doch der große Baumeister – der Bund – gräbt sich auch heute noch weiter in das Gesicht der Hauptstadt hinein.

Anfangs wurde gemutmaßt, nur der stillzulegende Flughafen Tempelhof böte genügend Fläche für ein neues Regierungsviertel. Große Worte waren dann im vergangenen Jahr vom damaligen Bauminister Peter Ramsauer zu hören: „Eine derartige umfangreiche Aufgabe war noch nie zuvor in der Geschichte zu lösen“, gab er sich überzeugt – und ließ dabei leider historischen und geografischen Weitblick vermissen, kennt die Geschichte doch zahlreiche Hauptstädte aus der Retorte, von Brasilia über Washington und Neu-Delhi bis Canberra, um nur einige der größeren zu nennen, und selbst Bonn ist ja per Dekret zur Hauptstadt geworden.

In der Tat ist der neuerliche Hauptstadtausbau in Berlin weniger spektakulär als von vielen erwartet ausgefallen. Schließlich war die Stadt vor dem Krieg und zu DDR-Zeiten schon Hauptstadt gewesen und besaß jede Menge Regierungsgebäude. Politisch für den Umzug Verantwortliche wie die damalige Bauministerin Irmgard Adam-Schwaetzer hielten diese zwar für politisch kontaminiert und forderten einen kompletten Neubau für Bundestag und Regierung. Dass die Sozialministerin ihren Schreibtisch im ehemaligen Reichspropagandaministerium von Joseph Goebbels und der Finanzminister seinen im Haus Hermann Görings stehen haben würden, konnten sie sich damals nicht vorstellen. Eine Studie der Bundesbauverwaltung 1990/91 ermittelte jedoch einen stattlichen Baubestand an Regierungsbauten von 470.000 Quadratmetern Hauptnutzfläche, dessen Nutzung aus vielerlei Hinsicht geboten war.

Keiner der Bauten tanzt aus der Reihe

„Gleichberechtigte Eingliederung von Parlament und Regierung, Ländervertretungen und sonstigen hauptstadtbezogenen Institutionen in der Mitte Berlins“, darauf einigten sich Bund und Land Berlin schließlich. Das hieß, Integration der Hauptstadtfunktionen in die Stadtstruktur anstatt eines isolierten Regierungscampus. Zwei Entwicklungsbereiche wurden ausgewiesen: das historische Regierungsviertel entlang der Wilhelmstraße mit einer Ausweitung Richtung Spreebogen, Humboldthafen und Moabiter Werder, sowie weiter östlich die südliche Spreeinsel und der Friedrichswerder.

Dass der Spreebogen doch ein eigenes, zeitgemäßes Gesicht bekommen konnte und heute als Regierungsviertel wahrgenommen wird, liegt daran, dass hier großflächig neu gebaut werden konnte. Und am glücklichen Ausgang des großen Architektenwettbewerbs, aus dem Axel Schultes als Sieger hervorging. Sein „Band des Bundes“, das mit der Aufreihung der Regierungsbauten zweimal die Spree überspannt und dabei Ost und West verbindet, ist ein äußerst starkes Bild. Wie wichtig ein solches kraftvolles städtebauliches Zeichen für die Anordnung der Einzelgebäude ist, sieht man immer dort, wo diese Struktur nicht vorgegeben ist. Am Alexanderplatz zum Beispiel, wo Hans Kollhoffs starkes Bild aufgegeben wurde und man vor sich hinwurstelt. Oder um den Breitscheidplatz, wo jetzt Wildwuchs herrscht, weil es nie gelungen war, ordnend einzugreifen.

Ein zweiter starker Ordnungsfaktor ist der Spreebogen selbst. Hier ist es gelungen, mit einer wohlkomponierten Gebäudekette, unter anderem aus dem Bürogebäude „HumboldtHafenEins“ (KSP Jürgen Engel Architekten), dem gerade eröffneten Bildungsministerium und der Bundespressekonferenz die signifikante Struktur eines großen Bogens zu schaffen, die als Großform gelesen und verstanden wird. Keiner der Bauten tanzt aus der Reihe oder erhebt sich über die anderen.

„Rutschbahneffekt“ bringt restliche Mitarbeiter aus Bonn nach Berlin

Das Bildungsministerium als größte Baumasse wurde von den HWP Architekten bewusst zweigeteilt, um sich in den Rhythmus der Uferbebauung einzutakten. Die Lücke zwischen den beiden Trakten haben sie zur Adressenbildung, zur Formulierung eines repräsentativen Eingangs, genutzt. Immerhin 1000 Arbeitsplätze waren zu schaffen. 650 davon sind vorerst an andere Bundesbehörden vermietet. Sie werden künftig gebraucht, wenn der „Rutschbahneffekt“ die restlichen Mitarbeiter aus Bonn nach Berlin gebracht haben wird. Durch die Gliederung des Gebäudes und vor allem eine abwechslungsreiche Fassadengestaltung (mit Fotovoltaikpaneelen) haben die Architekten versucht, die Baumasse zu differenzieren.

Auch beim neuen Innenministerium zwischen Bahnviadukt und Kanzlergarten hatten die Architekten Müller Reimann die schiere Größe architektonisch zu bewältigen. Durch Gliederung der Baumasse in drei gestaffelte, hakenförmige Baukörper ist erreicht, dass der Bau mit seinen mehr als 4000 Bürofenstern nicht in massiver Gänze in Erscheinung tritt.

Müller Reimann waren es auch, die 1999 der vom Außenministerium genutzten ehemaligen Reichsbank am Werderschen Markt einen kongenialen Erweiterungsbau angefügt hatten.

Nur langsam gewöhnen sich die Berliner an die Dimensionen, mit denen eine Bundesregierung in der Stadt angekommen ist. Als unangemessen monumental und protzig wurde das Kanzleramt anfangs kritisiert. Aber eine Behörde mit 450 Mitarbeitern nimmt nun mal ein unübersehbares Volumen ein. Insgesamt ist es jedoch gelungen, die Regierungsfunktionen in die Stadt zu integrieren. Das befürchtete Beamtenghetto ist nicht entstanden, Berlin ist stark genug und hat alles aufgesogen.

Angenehme Arbeitsplätze sehen anders aus

Mit einer Ausnahme. Es war ein städtebaulicher Fehler erster Ordnung, den Bundesnachrichtendienst an der Chausseestraße anzusiedeln. Welch monströse Bauaufgabe: 3000 Bürozellen in einem einzigen Gebäude, terrorsicher, mitten in Berlin! Nicht weniger als 4000 Mitarbeiter werden in dem Milliardenbau künftig tätig sein. Der Kiez wird wenig davon merken, bis auf den Anstieg der Mietpreise. Die Mehrzahl der Schlapphüte wird einpendeln und wegen der rigiden Sicherheitsmaßnahmen beim Ein- und Ausgang das Gebäude nicht mal eben zum Mittagessen verlassen. Der BND ist eine große autistische Festung, ein zehn Hektar großes hermetisch verschlossenes Areal, das in dieser Hinsicht fatal an die ummauerten Stasi-Einrichtungen erinnert.

Architekt Jan Kleihues hat getan, was möglich war. Ein angeböschter „märkischer Kiefernhain“ verdeckt das massive Sockelgeschoss des Hauptgebäudes, das wie von einem Zwinger umgeben ist. Poller, Zäune und Überwachungskameras tun ein Übriges. Die schimmernden Metallfassaden sollen dem Haus je nach Licht und Wetter eine andere poetische Anmutung geben. Es gibt im Inneren sehr schöne, haushohe Atrien, wie sie in dieser Größe in Berlin kaum je gebaut wurden. Schade nur, dass die eindrucksvollen Räume niemand erleben darf, sie sind nur interne Verkehrsfläche.

Manche Büros haben einen hübschen Ausblick in die Stadt, aber wer in einer der zahlreichen, nüchtern grau eingerichteten, elf Quadratmeter messenden Einzelbürozellen sitzt und nur die monotaktische Fassade des nächsten Gebäudeflügels als freudloses Gegenüber hat, dessen Büroalltag hat mönchische Züge oder kommt bedenklich einem Strafvollzug nahe. Angenehme Arbeitsplätze sehen jedenfalls anders aus.

Höhepunkt und Ende der Ära des Senatsbaudirektors Stimmann

Auf seine Art ist das Hauptgebäude des BND untadelig. Das Erdgeschoss und die beiden Torhäuser an der Straßenfront zeigen exquisite Fassaden aus feinstem Zwiefaltener Travertin. Die endlos getakteten Fassaden des Hauptgebäudes aus glänzend eloxiertem Aluminium könnten perfekter nicht in den Himmel ragen. Sie signalisieren Präzision und symbolisieren trefflich die Unnahbarkeit des Geheimdienstes – aber will man das eigentlich hier haben? Ein „Haus“ mit 14.000 identischen Fenstern bleibt in Berlin-Mitte ein Alien.

Wer aber glaubt, mit den Regierungsbauten habe der neue übermächtige Bewohner der Hauptstadt einen Tort angetan, der irrt. Das hypertrophe Gebäude des BND markiert Höhepunkt und Ende der Ära des Senatsbaudirektors Hans Stimmann, der dem Nachwende-Berlin diese Art preußisch-rationalistisch verstandener Architektur verordnet hat – auch den Ministerien. Nicht der Bund hat also Berlin architektonisch geprägt, sondern die Hauptstadt hat den Bauten des Bundes ihren Stempel aufgedrückt.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom06. Januar 2015 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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