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Spritzen für ein Gerät zur Selbsttötung - das Angebot eines Sterbehilfevereins.

© Kay Nietfeld/dpa

Urteil zur Tötung auf Verlangen: Wie sich die Sterbehilfe selbst regelt

Die Justiz ist in der Diskussion um das Recht auf Selbsttötung weiter als die Politik. Am Bundesgerichtshof kündigt sich die nächste Wende an. Ein Kommentar

Während der Bundestag berät, welcher Entwurf für eine Sterbehilferegelung der menschlichste, selbstbestimmteste oder das Leben vielleicht doch am wirksamsten schützende sein soll, kündigt sich in der Justiz die nächste Wende an: Es muss nicht nur erlaubt sein, sich zu töten. Es könnte in bestimmten Fällen sogar erlaubt sein müssen, sich töten zu lassen.

Vom Bundesverfassungsgericht hatte sich der Gesetzgeber 2020 erklären lassen müssen, dass der frühere Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs (StGB), das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe, gegen das Grundgesetz verstößt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das die Freiheit einschließe, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung, seinem Leben entsprechend dem eigenen Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, sei als Akt der Selbstbestimmung zu respektieren.

Die Empörung hat sich gelegt

Mit dem damaligen Urteil haben Sterbehilfevereine wieder freie Bahn, Gelegenheiten zur Selbsttötung zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln, wie es im alten Tatbestand hieß. Die Empörung darum hat sich gelegt, während die Inanspruchnahme des Angebots begrenzt geblieben ist. Wohl aber stand und steht dabei immer die Selbsttötung im Zentrum.

Juristisch unberührt blieb dagegen Paragraf 216 StGB , die Tötung auf Verlangen: „Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.“ Töten soll strafbar sein, auch wenn der Getötete es ausdrücklich so gewollt hat. Deshalb dürfen Sterbehelfer ein tödliches Medikament zwar zur Selbsteinnahme bereitstellen, sie dürfen es aber nicht injizieren.

Das Strafrecht hat Grenzen, wo es die Autonomie des Einzelnen unmöglich macht

Man kann darüber streiten, ob es eines solchen Verbots überhaupt bedarf. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun erstmals angedeutet, dass die Vorschrift mit Blick auf das Autonomieprinzip bei der Selbsttötung jedenfalls ebenso auf Bedenken stößt wie Paragraf 217 es tat (Az.: 6 StR 68/21). Denn der legitime Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über sein Lebensende finde dort seine Grenze, wo die Entscheidung nicht geschützt, sondern unmöglich gemacht werde. Mit anderen Worten: Wer sich selbst nicht oder nicht mehr töten kann und dabei auf einen anderen angewiesen ist, muss ein Recht dazu haben, jemanden zu seiner Tötung zu bestimmen. Eine Strafnorm, die das verhindert, ist da im Weg. Anders als das Verfassungsgericht bei Paragraf 217 hält es der BGH aber für möglich, die „Tötung auf Verlangen“ verfassungskonform so auszulegen, dass der Tatbestand als solcher bestehen bleibt. Es müssten dann nur Fälle ausgenommen werden, in denen es einer Person „faktisch unmöglich“ sei, durch die eigene Hand aus dem Leben zu scheiden.

Er wolle nicht als Zombie zurückkehren, sagte der Mann

Es sind seltene Fälle, aber es dürfte sie geben. Zu beurteilen hatte der BGH die Tat einer früheren Krankenschwester, die ihrem wegen kaputter Wirbel schmerzgeplagten diabeteskranken Mann nach Jahren der Bettlägerigkeit eine Überdosis Insulin verabreicht hatte. Der Mann sagte wiederkehrend, er wolle gehen, erwog, sich an Sterbehelfer zu wenden. Nach zunehmend qualvollen Tagen trug er seine Frau auf, alle hochdosierten Schmerzmittel im Haus zusammenzusuchen und ihm obendrein Insulin zu spritzen, „nicht, dass er noch als Zombie“ zurückkehre. Um seine Frau zu entlasten, schrieb er seinen Sterbewunsch mit zittrigen Händen in ein Notizbuch.

Ein Jahr Haft wegen Paragraf 216, urteilte das Landgericht Stendal. Dieses Urteil hob der BGH auf und sprach die Angeklagte frei. Ihr Verhalten sei nicht einmal eine Tötung, sondern lediglich straflose Beihilfe zum Suizid. Der Erwägungen zur Verfassungsmäßigkeit der Strafvorschrift bedurfte es hier nicht einmal, um das Urteil schlüssig zu begründen. Aber sie zeigen deutlich, dass es längst nicht mehr der Gesetzgeber ist, der die Sterbehilfe regeln wird. Sie regelt sich selbst.

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