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Auf einer Pressekonferenz in London verteidigte Wikileaks-Gründer Julian Assange die Veröffentlichung von geheimen US-Militärdaten gegen Kritik aus Washington.

© Reuters

Update

Leserdebatte: Wikileaks-Chef verteidigt Veröffentlichung

Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat fast 400.000 US-Militärdokumente zum Irakkrieg veröffentlicht, die zivile Opfer und Misshandlungen belegen. Wikileaks-Gründer Julian Assange verteidigt die Veröffentlichung gegen Kritik aus den USA.

Wikileaks hatte bereits im Juli 77.000 geheime US-Dokumente zur Lage in Afghanistan veröffentlicht. Auch diesmal arbeitete Wikileaks-Gründer Julian Assange mit international etablierten Medien zusammen. Die „New York Times“, der „Spiegel“, der britische „Guardian“ und die französische „Le Monde“ durften die aus „einer Datenbank des Pentagon“ stammenden Unterlagen aus der Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2009 im Vorhinein auswerten. Laut dem „Guardian“ stammen die Irak-Dokumente aus derselben Quelle wie im Juli.

Die Dokumente enthüllen, dass im Irak mindestens 15 000 Zivilisten mehr getötet wurden als bisher bekannt. Einer der internen Aufstellungen der Armee zufolge wurden zwischen der Invasion 2003 und Ende 2009 insgesamt etwa 109.000 Iraker getötet, 63 Prozent von ihnen Zivilisten. So seien an Straßensperren mit US-Soldaten hunderte irakische Zivilisten getötet wurden.

Zusätzlich werden Berichte über Folter und Erniedrigung durch irakische Sicherheitskräfte veröffentlicht. Wikileaks zitierte Augenzeugen mit den Worten: „Die einzigen Grenzen, die es gab, waren die Grenzen der Vorstellungskraft.“

US-Außenministerin Hillary Clinton kritisierte die Enthüllungen scharf. Es sei strengstens zu verurteilen, wenn durch solche Veröffentlichungen das Leben von Soldaten und Zivilisten aus den USA und seinen Partnerländern gefährdet werde, sagte Clinton in Washington.

Assange verteidigte auf einer Pressekonferenz am Samstag in London die Veröffentlichung der geheimen Militärdokumente. Die Dokumente offenbarten klare Beweise für Kriegsverbrechen, sagte Assange. Sie seien zudem redaktionell so bearbeitet, dass niemand gefährdet werde.

Die Veröffentlichung zeige die „Wahrheit“, sagte Assange. „Der Irakkrieg war an jeder Ecke ein Blutbad.“ Die jetzt öffentlich gemachten Dokumente zeigten lediglich ein umfassendes Bild aus dem Blickwinkel der US-Armee. Die Verwicklung von Geheimdiensten oder anderen nicht offiziellen Organisationen sei dabei nicht berücksichtigt.

Auffallend ist auch dieses Mal die unterschiedliche Bewertung der Daten: So spricht der "Guardian" von "Folter" durch irakische Sicherheitskräfte, die von den US-Truppen trotz entsprechenden Dokumenten bewusst ignoriert ("turned a blind eye") und nun durch Wikileaks belegt werde. Der "Spiegel" formuliert vorsichtiger und legt seinen Schwerpunkt auf die "Hilflosigkeit der hochgerüsteten Supermacht" in dem Konflikt. Für die "New York Times" stehen die Leiden der Zivilbevölkerung im Vordergrund, die in der Hauptsache von irakischen Milizen verursacht würden. "Le Monde" spricht vom "l'horreur ordinaire" im Irak, dem "alltäglichen Horror", der hier belegt werde.

Wikileaks-Gründer Assange sagte dem US-Nachrichtensender "CNN", die Dokumente belegten ein „Blutbad“ in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Wikileaks will die Unterlagen heute bei einer Pressekonferenz in London erläutern.

Der Ansturm war am frühen Samstag für Wikileaks zwischenzeitlich zu groß. Die Seite war zeitweise nicht zu erreichen. „Tut uns leid“, hieß es dort. Wegen "routinemäßiger Wartungsarbeiten" sei der Zugang nicht möglich. „Wir werden so schnell wie möglich wieder online sein.“

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) forderte die USA auf, die Übergriffe in irakischen Gefängnissen zu untersuchen. Washington müsse aufklären, „was US-Verantwortliche über Folter und Misshandlung von Gefangenen in irakischen Haftanstalten wussten“, erklärte die Generalsekretärin von ai in Deutschland, Monika Lüke, in Berlin. Ihre Organisation habe die jetzt veröffentlichten Dokumente noch nicht prüfen können, „auf den ersten Blick“ bestätigten sie aber, dass die USA bei der Übergabe tausender Gefangener an die irakischen Behörden gegen internationales Recht verstoßen hätten. Die Dokumente lieferten „weitere Beweise dafür, dass den US-Behörden die über Jahre andauernden systematischen Menschenrechtsverletzungen“ bekannt gewesen seien.

Gegenüber „Spiegel Online“ erklärte die US-Regierung, die knapp 400.000 Dokumente seien „im Prinzip Momentaufnahmen, die mal tragisch und mal belanglos sein können, aber kein Gesamtbild ergeben“. Sie lieferten „kein neues Verständnis der Geschehnisse im Irak“. Zudem kritisierte die US-Regierung, dass Wikileaks Menschen zur illegalen Weitergabe von Geheimdokumenten gebracht habe, die nun „leichtfertig mit der ganzen Welt“ geteilt würden. Damit gefährde Wikileaks das Leben von US-Soldaten, Alliierten und Irakern. Die US-Regierung forderte Wikileaks auf, die Irak-Protokolle sofort von seiner Web-Seite zu entfernen. (Tsp/AFP)

Zu einer Leserdebatte mit unserem US-Korrespondenten Christoph von Marschall zum letzten großen Wikileaks-Fall

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